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Geliebter Freund,
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Das beste Glück zum neuen Jahre. Leben Sie so gesund, so glücklich und
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zufrieden, als ichs Ihnen wünsche, das ist hinlänglich. Geben Sie mir doch
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einmal Nachricht, wie Sie leben, und was Sie machen. Hier nahe an den
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Grenzen der vernünftigen Welt, hört man nichts von Männern Ihrer Art.
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Ich und
Willamov
sprechen oft von Ihnen, und wünschten daß alle
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rechtschaffene Leute Sie kennen möchten. Ich wünschte, daß Sie in einer leeren
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Stunde einmal an mich denken und gleich schreiben möchten. Sie wißen
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geliebter Freund, wie aufrichtig ich Sie liebe und Ihren Werth verehre. – Ich
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lebe so wie ein Mensch von meiner Denkungsart und Stande in
Peterburg
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leben kann, vergnügt kaum, doch auch nicht gar zu traurig, weil das
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Nachdenken hier
Contrebande
zu seyn scheint. Was auf dem Lande ein Monath
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war, scheint mir hier eine Woche zu seyn. Ich habe hier viel ausgestanden,
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und das weiß hier niemand als ich allein. Die hiesige Lebensart ist nicht ganz
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nach meinem Sinn. Nehmen Sie einem Peterburger s. Carten, s.
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Leckerbißen, und s. Spazierfahrten, so fält das ganze Gebäude seiner irrdischen
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Glückseeligkeit hin. Das beste ist, daß der, der nicht so denkt, als ein todter
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Mensch angesehen wird, zu dem ein jeder sein
molliter ossa cubant
von
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ganzem Herzen sagt, oder denkt. Außer der Gesellschaft eines lebhaften Hauses
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habe ich hier wenig Bekante, auf Freunde soll mann in einer Stadt wie
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Peterburg
keine Rechnung machen, auswärtige
Corespondence
fält wegen der
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Entlegenheit weg. Viele von den wenigen Stunden, die verdrüßliche
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Geschäfte, gezwungene, und nöthige Zerstreuungen mir leer laßen, wende ich
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jezt auf die rußische Sprache, die mir im Ernst anfängt zu gefallen.
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Vor einigen Tagen erhielt ich von unserm
Paz
nach langem Stillschweigen
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den ersten Brief in
Peterburg,
der arme Mann, sein Schicksal dauert mich,
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aber besonders rührt mich seine traurige Elegie, über Ihr verlohrnes
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Zutrauen zu ihm. Vieleicht ist das, eine von den gewöhnlichen
Chimer
en seiner
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fruchtbaren Einbildungskraft, aber vieleicht hat Ihm ihre strenge
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Gerechtigkeit einen Streich gespielt. Solten Sie indeßen Geliebter Freund nur 8 Tage
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seinen traurigen Zustand, die Folter die er ausstehen muß, und die ihm seine
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Einbildung dazu schaft, ansehen, ich weiß sie würden billiger mit ihm
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verfahren. Der Abfall fast aller seiner Freunde, und das schielende Gemählde,
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das viele derselben von ihm machen, kann den standhaftesten erschüttern,
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und hat mich oft ganz irre gemacht. Ich kenne indeßen den guten
Paz
seit
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vielen Jahren, habe ihn in verschiedenen Lagen gesehen, oft gemißbilliget, oft
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öffentlich getadelt, aber jederzeit geliebt. Viele Schlacken weggeräumt,
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findt man immer auf dem Grunde gutes Gold. Nicht gesagt, daß er nicht
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theils Schuld an seinem Unglück wäre, und an dem fast allgemeinen
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Mißvergnügen seiner Bekanten. Oft, unglaubliche Unvorsichtigkeit, Unbeständigkeit
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in Planen von denen selten der Grund taugte, das habe ich ihm oft gesagt,
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und noch öfter gedacht. Es solte ein schönes Glücksschloß aufgebaut werden,
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en espagne,
da wurde alles alte zum theil gute
Bauzeug
weggeräumt,
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Luftblasen zu Ecksteinen gesezt u.s.w. Aber man giebt der Sache überhaupt
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einen zu übeln Anstrich, Unvorsichtigkeiten müßen Bosheit, geringe Fehler
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schlechte Streiche, und deutsche Ehrlichkeit Narrheit heißen. Ich habe freylich
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die mehresten Nachrichten zu seinem Lebenslauf von ihm selbst, ich bin aber
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eben nicht parteiisch gegen meine Freunde, und nehme mirs niemals übel
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bey ihren Erzählungen auf der Stelle eine geheime
Inquisition
zu halten, das
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sezt die natürliche Eigenliebe dazu – denn deckt sie einen Schleyer über – das
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war nun wohl ein Fehler, aber vergeblich, und niemand in der Welt ist wohl
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weniger geschickt als
Paz
einer
officieus
en Unwarheit einen guten Anstand
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zu geben. Was die Bücher anlangt mein liebster Freund, die Gelegenheit
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zu einigem Mißvergnügen sollen gegeben haben, so verdient der Punkt gewiß
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Vergebung. Sie hatten sie ihm mit der Bedingung geschickt, das was ihm
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nicht gefiele zurück zu schicken. Der Geschmack ist verschieden bester Freund,
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und nicht allezeit gleich. Mir schmecken jezt viele Speisen nicht nach denen ich
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vorzeiten die Finger geleckt habe, und gehts Ihnen nicht auch so, würdiger
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Freund? Unser
Paz
hatte damals kein Vergnügen an ascetischem denken und
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leben, seine Art zu denken und zu predigen die ich nicht ganz mißbilligen kann,
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konte auch durch viele von den überschickten Predigtbüchern keine Hülfe
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erhalten. pp. Er gab mir also die Bücher, die sie zurückerhalten haben wieder
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meinen Rath, weil ich das
Terrain
kante, mit an
Hartknoch,
um mit
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Verlust des Bandes, und noch eines ansehnlichen
Rabats,
sie gegen andre Bücher
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umzutauschen.
Hartknoch
sagte mir, daß er keins von allen den Büchern in
S. 430
seinen Laden nehme, wenn sie ihm geschenkt würden. Sie können denken daß
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ich hier meine geheime Critik anbrachte, denn
Hartkno
chen hat
Paz
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wenigstens zu s. Zeit
reelle
Dienste gethan. Ich reißte also nach
Peterburg,
und die
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Bücher blieben in
Mitau
stehen. Einige Bücher die ich
Steideln
an Sie zu
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bestellen bath, waren mit in dem Pack, und Steidel schickt Ihnen das ganze
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Pack zu. Das ist die ganze Geschichte – Wenn Sie einige Freundschaft für
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mich haben, würdigster Freund, so laßen Sie den armen
Paz
nicht länger
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zappeln. Ich weiß wie er Sie liebt, und stelle mir vor, was er sich für Vorwürfe
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und
Chimeren
macht. Seine Gesundheit, seine Zufriedenheit, und sein geringes
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Vergnügen leidet darunter. Schreiben Sie ihm wieder einen
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freundschaftlichen Brief; daß die G…ne fröhlich werden p. Vergeben Sie mir diesen
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langen und verwirten Brief. Vieleicht gefält ihnen die Art nicht, wie ich von
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meinen Freunden rede, wenn
Paz
mein
Portrait
machen solte, vieleicht sähe
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es noch magerer aus, aber ich weiß nicht, ob ich darüber empfindlich werden
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könte. Meine Freunde müßen Fehler haben, sonst wären es Menschen von
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anderer Art als ich, und denn könten sie nicht meine Freunde seyn. Bleiben
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Sie der meinige würdigster Freund, und glauben Sie daß niemand mit mehr
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Aufrichtigkeit der Ihrige ist als Ihr ergebenster Freund
u
Diener
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Arndt
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St: Peterburg den:
25t D. st. v:
1768.
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Adresse mit Mundlackrest:
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a Monsieur / Monsieur Hamann / homme de lettres / a /
Koenigsberg.
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Vermerk von Hamann:
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den 26
Januar
769. beantw. den 19
Febr.
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2553 [Gildemeisters Hamanniana], I 25.
Bisherige Drucke
ZH II 428–430, Nr. 354.
Zusätze fremder Hand
430/24 |
Johann Georg Hamann |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
430/18 |
u ]
|
Geändert nach Druckbogen 1940; ZH: u. |