304
338/20
Mitau den
30
Junii
65.

21
Mein lieber Freund Herder;

22
h.
huius, d.i. diesen [Monats]
Ich bin seit dem 19
ten
h.
hier und habe noch keine Lust gehabt Ihnen zu

23
melden meine Ankunft. HE Hartknoch wird Sie auch im Namen meiner

24
umarmt haben, und ich hoffe daß wir uns nächstens sehen werden einander.

25
Meine Ruhe, der ich feyerlich
hier pflegen
will, erlaubt mir jetzt keine so weite

26
Reise um Sie zu sehen. Sie werden sich also vorstellen müßen, daß Sie mir

27
näher sind als ich Ihnen bin, und die Augstferien nicht versäumen. HE Kanter

28
HE M. Schlegel
Gottlieb Schlegel
und ich hätten Ihren neuen
Rector,
den HE
M.
Schlegel vielleicht eingeholt,

29
Haff
Brackwasserbereich an der Küste
wenn wir nicht zu viel Zeit auf dem Haff verlohren. Wünschen Sie Ihrem

30
Freunde unterdeßen zu seiner Ankunft und zu seinem Anfange Glück.

31
Es läßt sich mit mir hier gut an, und ich habe viel Hofnung durch Zeit und

32
meine gegenwärtige Lage, die mir mehr und mehr gefällt, mich zu erholen.

33
poetische Maasregeln
vgl.
HKB 302 ( II 334/18 )
Ihre poetische Maasregeln haben auf mein ausgetrocknetes Gehirn wenig

34
Wirkung gehabt; unterdeßen freut es mich innerlich, daß meine Nachbarschaft

35
Ihrem guten Herzen nicht gleichgiltig ist und Ihre Erfindungskräfte in ein

S. 339
so gutes Spiel gesetzt hat. Hierinn haben Sie Recht, daß Arbeit und Umgang

2
zu meiner Zufriedenheit unentbehrlich sind; zu beyden läßt es sich hier und

3
bey mir an. HE Hofr.
Tottien,
in deßen Hause ich zu erfragen bin, hat alle

4
Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit eines Freundes und rechtschaffnen Mannes

5
für mich. Sie können leicht erachten, daß ich seine große Bibliothek mehr nutze

6
als seinen großen Garten, an deßen schöner Aussicht ich mich begnüge.

7
Die längst erwünschte Edda habe bereits hier gelesen, und bin auf gutem

8
Wege die vaterlandsche Geschichte zu meinem Augenmerk zu machen, wozu

9
es mir an Gelegenheit und Hülfsmitteln nicht fehlt. Mein alter Vater hat

10
mir heute geschrieben, und mich mit seiner guten Hand erfreut. HE Arndt

11
hat eben von mir Abschied genommen um morgen aufs Land zu reisen, und

12
seine hier angetretene
Condition
dort fortzusetzen.

13
Ihr Vorsatz die lettische Sprache zu erlernen, liebster Freund, gefällt mir;

14
ich habe mir gleichfalls des Pastor Stendters Sprachlehre dazu ausgesucht;

15
zweifele aber daß außer besondern Veranlaßungen weit darinn kommen

16
werde. Der Verfaßer hält sich gegenwärtig hier auf und verspricht sich eine

17
Versorgung, wenn seine Ansprüche auf den engl. Preiß der Meereslänge nicht

18
HE Pastor Neander
Christoph Friedrich Neander (1724–1802), evang. Theologe, Pastor und Superintendent in Kurland (Grenzhof)
erfüllt werden möchten. An HE
Pastor Neander
habe mir einen Freund

19
erworben; und ich glaube, daß eine Spatzierfahrt in hiesige Gegenden zur Zeit

20
der Ferien nicht gantz fruchtlos für
s
Sie seyn möchte.

21
An HEn
Prof L.
habe noch nicht geschrieben, weil ich vor der Hand noch zu

22
wenig Stoff dazu habe, und mir ein Gesetz daraus machen will alle überflüßige

23
Bassa
George Bassa
Zerstreuungen zu vermeiden. Wenn Sie Gelegenheit haben den ehrl.
Bassa

24
zu sehen; so grüßen Sie ihn von mir, und melden ihm, daß der Cammer HE

25
von Witten jetzt seine Güter antritt. Er kommt tägl. in unser Haus, ich sehe

26
ihn aber
sehr selten
.

27
Melden Sie mir doch etwas von ihrem
Interregno
der Schule, und wie es

28
Landsmann
Gottlieb Schlegel
Neujahrsstück
„Lobgesang am Neujahrsfeste“, in:
Gelehrte Beyträge zu den Rigischen Anzeigen
, 1765, Stück I, S. 1–3
unserm Landsmann gefällt. Ihr Neujahrsstück im
Intelli
genzwerk habe hier

29
erst zu sehen bekommen, und bitte mir solches au
ch
s, wie auch alles übrige,

30
woran Sie einigen Antheil genommen; weil ich jetzt sehr geneigt bin

31
dasjenige vorzuziehen, das Sie vielleicht nicht der Mühe wehrt halten mir zu

32
communici
ren.

33
Leben Sie wohl. Grüßen Sie Hartknoch. Ich umarme Sie und bin der Ihrige

34
J G Hamann.

35
Erfreuen Sie mich bald mit einem Briefe, und übersehen Sie die Leere des

36
Auscultator Titels
vgl.
HKB 302 ( II 336/30 )
meinigen. Ihre Anfrage wegen des
Auscultator
Titels wird bereits

37
deutschen allgemeinen Bibliothek
Allgemeine deutsche Bibliothek
beantwortet seyn; und Ihre Neugierde wegen der
deutschen allgemeinen

S. 340
Abhandl. vom Verdienst
Abbt,
Vom Verdienste
Bibliothek
gestillt.
Abbt
macht einen wiedrigen Anfang in seiner Abhandl.
vom

2
Verdienst
,
attachi
rt aber immer mehr und entwickelt sich als einen

3
Mitarbeiter der Literatur Briefe; dafür man ihn zuerst kaum erkennen kann. Was

4
halten Sie HE
Candidat
und
Collaborator,
von
Jacobi
Catechismus
? Ich

5
habe erst 7 Seiten mir daraus vorbuchstabiren laßen, und finde noch nicht,

6
Vale et fave
dt. lebe wohl und sei mir gewogen
daß er den leichtesten Weg für die Jugend eingeschlagen.
Vale et fave.

7
Dieser Brief ist so alt geworden, weil es mir einfiel ihn nicht anders als

8
durch meinen Reisegefährten und Freund, HE
Kanter
zu bestellen. Wollen

9
Recension des Mallets und der Edda
vgl.
HKB 294 ( II 317/13 )
, die Rezension von Mallets Werk erschien in den
Königsbergsche Gelehrte und Politische Zeitungen
, 64. St. vom 12.8.1765
Sie ihm nicht dafür eine
Recension
des
Mallets
und der Edda machen?


10
Adresse mit Siegelrest:

11
A Monsieur / Monsieur Herder, / Candidat de St Ministere, Biblio- /

12
thecaire du Magistrat et Regent / vicaire du College Cathedral de la

13
ville / Imperiale de et / à /
Riga
.

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 13–14.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 342 f.

Johann Gottfried von Herder’s Lebensbild. Sein chronologisch geordneter Briefwechsel, […]. Hg. von seinem Sohne Dr. Emil Gottfried von Herder. Ersten Bandes zweite Abtheilung. Erlangen 1846, 89 f.

ZH II 338–340, Nr. 304.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
338/25
hier pflegen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
pflegen
339/26
sehr selten
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
selten
340/1
vom
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
vom