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Mietau
heute Jelgava, Lettland [56° 39′ N, 23° 43′ O]
Mietau. Sonnabends. den 25
Nov.
1752.
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Herzlich geliebteste Eltern,
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Heute zu Mittag bin ich hier Gott Lob! gesund angelangt; wiewohl ich mich
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nicht so aufgeräumt befinde, als ich es bisweilen unter wegens gewesen bin.
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Die Schuld kann vielleicht seyn, weil ich meiner Ruhe täglich näher komme,
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die ich mir auch bald zu wünschen anfange. Der Fuhrmann wird morgen
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nach der Mahlzeit weiter fahren, und ich verspreche mir Dienstags frühe bey
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Herrn Belger zu seyn. Weil ich nicht weiß, mit wie vielen Zerstreuungen
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meine Ankunft in Riga begleitet seyn wird, so will ich den Herrn Gehrke
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bitten gegenwärtigen Brief zu bestellen, in dem ich von meiner zurückgelegten
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Reise Rechenschaft geben will.
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Liebau
heute Liepāja in Lettland [56° 31′ N, 21° 1′ O]
Ich wurde Sonntags in Liebau mit meinem Gefährten von dem Herrn
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Licent Inspector
Kolbe in die Kirche und
auf
zur Mahlzeit gebeten. Wir
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waren aus Unwißenheit zu frühe ausgegangen, weil der deutsche
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Gottesdienst vor 11 Uhr nicht viel angeht; weil wir daher einen kleinen
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Spatzierweg in der Stadt machten, und wir eben des Herrn
Licent Inspectors
Haus
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vorbeykamen, als er jemanden begleitete, der ihn besucht hatte; so musten wir
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eintreten. Ich mache mir ein Glück daraus, daß ich diesen Mann habe kennen
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lernen, der den schönsten Umgang von der Welt und eine sehr edle Art zu
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Baronin
v. Budberg
Vater
Diedrich von Zimmermann
denken besitzt. Er hat bey meiner gnädigen Frau Baronin Vater 20 Jahre
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Albertusthrl.
1616 in den Niederlanden eingeführt, im 18. Jhd. zeitweise auch in Preußen und Dänemark geprägt.
gedient, und beschrieb sie mir als eine
Dame
von 200 000 Albertusthrl., von
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Verstand und Schönheit. Der Baron von Buttberg hat sie als eine Wittwe
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des Herrn von Brevern geheyrathet. Unser Wirth schien mir zu verstehen zu
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geben, daß der Frau Baronin eben nicht damit gedient seyn möchte, wenn ich
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mir die Erziehung ihres Sohnes gar zu sehr wolte angelegen seyn laßen. Ich
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werde daher beyde schonen müßen. Die Erfahrung muß mich klug machen;
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wünschen Sie mir doch das gelehrige und aufmerksame Gemüth, mein lieber
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Vater, das man in dieser Schule nöthig hat, wenn man in derselben etwas
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lernen will. Wir wurden bey unsern liebenswürdigen Wirth vor und nach der
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Stutzerchen
vll. ein Glas Schnaps
Kirche mit einem Stutzerchen nach Kurländischem Gebrauch bewillkommt,
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den ich in Gedanken mit machte. Unsere Mahlzeit war weder prächtig noch
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überflüßig, aber desto schmackhafter und ungezwungen. Wir hörten den
Mag.
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Tätsch von der Großmuth eines Christen predigen. Er ist ein wortreicher
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Mann, der auf der Kanzel ziemlich großthut, und weder sehr angenehm noch
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erbaulich zu hören ist. Ich habe unterwegens erfahren, warum er unter andern
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sagte, daß der Weg nach dem Himmel nicht mit Wirthshäusern besetzt wäre.
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In Kurland fehlt es eher an Kirchen als an Krügen. Der Herr Gehrke gieng
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dem Herrn
Mag.
Tätsch seine Aufwartung zu machen; mein Wirth, der Herr
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Wintziger,
ist
war ein grober Windbeutel, der sich auf die Ehre bey dem
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Herrn D.
Bohlius Collegia
gehört zu haben, und ein
Chirurgus
zu seyn so
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viel einbildete, daß ich ihm den Abend vorher den Badern zum besten einige
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Pillen geben und einige Grobheiten für lieb nehmen muste. Seine Gast Stube
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war voller, als eine rußische Badstube. Kurz ich nahm mir vor den vergnügten
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Tag, den ich gehabt hatte, mit einem vergnügten Abend zu beschlüßen. Ich
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wählte ein Wirthshaus, das richt über meine Herberge zum Glück stand, v
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wollte meine Einsamkeit mit einer beßeren Gesellschaft vertauschen.
Madame
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Grundin
sollte meine Wirthin seyn. Ich gieng gerade darauf zu, v frug nach
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Wein. Man zeigte mir ein Zimmer, in das ich mit einer kleinen Bestürzung
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tratt, weil ich keine Gesellschaft fand, die ich mir in einem öffentlichen Hause
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vermuthete. Ein Frauenzimmer saß dafür mit einem gestützten Arm am Tisch,
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das die Tochter im Hause war und laß eine Wochenschrift: der
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Menschenfreund, genannt. Ich war mit der Wahl zufrieden, die ich wieder die lange
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Weile angestellt hatte, und mit der sie sich die Zeit vertrieb. Der Herr
Provenienz
Unvollständig überliefert. Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 1 (3).
Bisherige Drucke
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, I 31.
ZH I 14 f., Nr. 6.