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Grünhof. den 28 April. 1755.
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GeEhrtester Freund,
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Dies ist der dritte Brief, auf den ich mich wenigstens einer Antwort versehe.
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Einlage
nicht überliefert
Der Herr von Völkersamb ist Ueberbringer deßelben. Einlage werden Sie so
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gütig seyn nebst beyliegenden Büchern an HE. Berens zu bestellen.
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Ich weiß wahrhaftig nicht, was ich von Ihrem hartnäckigen Stillschweigen,
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Liebster Freund, denken soll. Ich schreibe meine Federn an Sie stumpf ohne
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eine Zeile seit dem letzten Bußtag, den wir bey Ihnen gefeyret, erhalten zu
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Marianchen
Marianne Lindner
haben. Selbst Marianchen nimmt ihren Mann zum Muster; sie ist mir als
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Braut keine Antwort schuldig geblieben. Seitdem sie einen Gelehrten
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Beyschl… hat, fällt ihr das Schreiben so schwer als mir, einem armen ledigen
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Menschen. Beßern Sie
nicht
sich, wenn ich nicht ehsten Tags zu Fuß nach
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Riga kommen soll um zu sehen, was für ein Leben sie leben, bey dem man
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seine Freunde vergeßen kann.
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Peter Ernst Wilde
, der als Nachfolger Hamanns als Hofmeister bei den v. Witten vorgeschlagen war (wohl durch Lindners Vermittlung).
In Ansehung des HE. Wilde ist meine Abrede schon geschehen. Es ist mir
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lieb, daß Sie v ich von dieser
Commission
v der
Ant
Verantwortung einer
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ungleichen Wahl befreyt sind. Gott helf mir mit gutem aus diesem Hause.
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Des Herrn General Excell. haben wieder Lust zu demselben bekommen; ich
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habe ihm aber dieses gänzlich aus dem Sinn geredt. Morgen wird sein Herr
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Bruder abreisen mit sr Gemalin nach Riga, dem man vermuthlich auftragen
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wird sich nach einem Hofmeister umzusehen. Er hat mir heute einen besondern
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Besuch in der Schule gegeben. Ein sehr vernünftiger v. braver
Herr
Mann!
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Sonntags hat der HE. General einen Brief erhalten von einem Menschen,
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der sich zu der Hofmeisterstelle in seinem Hause aufdringen will. Erlauben Sie
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mir einen Auszug aus demselben Ihnen mitzutheilen. Sie werden ihn
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vermuthlich kennen. Es ist der Lebenslauf dieses
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Avanturiers.
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Der Brief ist in sehr holprigem und fehlerhaftem Französisch verfasst. Übersetzung (von Joscha Sörös): „Ich bin ein preußischer Edelmann, dessen katholischer Vater Geheimrat des Königs war. Ich habe mich also mit christlicher Verbundenheit zu diesem Glauben bekannt und da ich an verschiedenen Universitäten studiert habe, habe ich mit Zustimmung meines Vaters verschiedene fremde Länder gesehen. Als ich nach drei Jahren von meiner Reise zurückkehrte, bin ich auf Befehl seiner Majestät des Königs von Preußen in den Militärdienst bei einem Kürassierregiment eingetreten. Ich war gezwungen, diesen Dienst zu quittieren, da ich keinen Vorteil darin sah. Danach habe ich nach Anstellungen gesucht und bin beim königlichen General Herrn Pranitzki als Hauptmann in den Dienst getreten. Da ich nach fünf Jahren keine Beförderung erhalten hatte, habe ich den Dienst quittiert und mir wurde vom Herrn Prinzen Radziwill, Pfalzgraf von Nowgorod, angeboten, der Erzieher des minderjährigen Prinzen Radziwill zu werden. Diese Stelle habe ich angenommen, aber unglücklicherweise ist dieser Graf bankrottgegangen und drei Monate nachdem die Eltern den jungen Prinzen in ein College gegeben haben, gestorben. Folglich bin ich ohne Beschäftigung. Falls ich also die Ehre habe, Eurer Exzellenz durch mein Wissen zu gefallen, ich beherrsche Latein, Französisch und Deutsch sowie die anderen Wissenschaften, die einem jungen Kavalier von hoher Geburt nützlich sind, und die angemessene Erziehung eines jungen Herrn.
Was mein Betragen betrifft, so kann ich ohne Eitelkeit sagen, dass ich mich in meinen Ämtern stets gut betragen habe, wie es Eure Exzellenz an meinen beglaubigten Nachweisen erkennen wird. Ich kann kaum ausdrücken, wie viel Freude es mir bereiten würde, in den Dienst eines liebenswerten Herrn einzutreten, von dem man so viel Gutes erzählt und dessen Haus so wohlgeordnet ist.
Was die Vergütung betrifft, wäre es mir gemäß meiner bescheidenen Umstände unmöglich, Ihnen für weniger als 160 Silbertaler zu dienen, dazu 100 Dukaten. In Ermangelung eines ehrbaren Mannes ist das nicht zu teuer, falls Eure Kinder Nutzen aus der Begabung ziehen wollen, die ich durch die Gnade Gottes erhalten habe. Ich bitte Eure Exzellenz die Güte zu haben, so schnell wie möglich zustimmend zu antworten, denn Ihre liebenswerte Antwort an die Adresse von Monseigneur de Negelein, Hauptmann des Königs von Polen, wird über meine Reise nach Warschau entscheiden. Ich empfehle mich etc. etc.“
– – je suis gentilhomme de Prusse née d’un Pere qui a eté Conseiller
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privé du Roi, de la religion Catholique, donc j’ai fait profession de cet loi
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avec attachement chretien et avoir fait mes etudes dans des differents
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Universités, j’ai vu de differents pays etrangeres avec le consentement
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de mon Pere et au retour de 3 ans de mon voyage je me suis mis au
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service par ordre de Sa Majesté le Roi de Prusse, militaire et avoir eté dans
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un Regiment de Cuirassie, j’ai eté obligé de prendre la partie de quitter
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ses services, ne voyant pas mon avantage, après j’ai cherché et trouvé de
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services chez Monseigneur le Grand General de la Couronne Praniztki en
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qualité du Capitain et ayant servi 5 ans sans voir un avancement j’ai eu
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lieu de quitter encore ses services et il me fut offert par Monsgr. le Prince
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Radziwill Palatin de Nowogrod d’etre gouverneur auprès son minorin
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jeune Prince Radziwill, quel place j’ai accepté, mais malheureusement
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cet Palatin à manqué et mort environ 3 mois ensuite les parens de mon
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Eleve ont jugé à propos de mettre cet jeune Prince dans un College, par
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consequence je me vois sans employ. Ainsi si j’ai l’honneur de plaire à
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Votre Excell. de mon schavoir, schachant la langue latine francoise et
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allemande avec les autres sciences necessaires à un jeune Cavalier de
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haute naissance et education convenable à un jeun Seigneur.
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A l’egard de ma Conduite je me suis sans vanité d’écrire, je me suis
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toujours bien emporté dans mes fonctions, comme V. E. verra cela par
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mes certificats authentiques. Je ne saurois assez exprimé combien de
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plaisir j’aurois d’etre au service d’un gratieux Seigneur, du quel on parle
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tant de bien et de la regularité et actitude de sa maison.
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Pour les abontements il me seroit impossible de servir svivant mon
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petit Etat moin de 160 ecus alb. en ayant 100 Duc: faut d’honet d’homme
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et ce n’est pas payé trop cher, si Vos enfans profitent de cet talent que
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j’ai reçu de la grace de mon Dieu. Si V. E. voudroit bien me daigner d’un
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reponse avantageûse au plus vit, car la reponse gratieuse de Monseigneur
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sous l’adresse à Mons: de Negelein Capitain du Roi de Pologne decidera
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mon voyage pour Warsowie. Je me recommande cet. cet.
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Negelein
nicht ermittelt
Ich habe mich erinnert, daß dieser HE. von Negelein auch ein Stück von
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Secretair bey dem Grafen von Hülsen gewesen. Sie werden vielleicht mehr
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von seinen Umständen wißen. Er muß catholisch geworden seyn.
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Nehmen Sie mir nicht übel, daß ich Ihnen mit so viel gleichgiltigen Dingen
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beschwerlich bin. Sie werden es wenigstens lesen, weil ich einigermaaßen
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Antheil nehme; was den Brief anbetrift, so habe ich geglaubt, daß er Sie
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belustigen würde.
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Sie haben an Ihren HE. Bruder geschrieben, daß Sie für HE Wilde schon
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andere Vorschläge hätten. Ersterer kennt ihn. Werden Sie für ihn gut sagen
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Reuter
nicht ermittelt
können? Wo haben Sie den HE. v. Reuter kennen gelernt? oder ist es Ihnen
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durch die dritte Hand aufgetragen worden?
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Wollen Sie mich aufnehmen, wenn ich um 4 oder 5 Wochen zu Ihnen käme.
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Ich mag daran nicht denken, was aus mir werden wird. Mit viel
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Wiederwillen möchte mich zu einer neuen
Condit.
wieder entschlüßen, wenn
ich
sie
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Riga
nicht meiner Hofnung weiter zu kommen gemäß wäre. R. ist mir der ekelste
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Ort von der Welt v außer meinen Freunden würde nichts seyn, was mich
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wieder dahin locken könnte. Das ist auch das einzige, was ich daselbst eine
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Zeitlang genüßen will. Mein Vater schreibt mir jetzt nichts von nach Hause
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kommen, erinnert mich aber immer
indirecte
daran, indem er in jedem Briefe
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von der Abnahme seiner v ihrer Kräfte v Gesundheit redt.
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Stellen Sie sich meine LebensArt vor? Wie traurig ich meine Tage
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hinbringe was ich nicht alles vornehmen v anfangen muß um das Leere was um
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mir ist nicht zu empfinden v für langer Weile zu sterben. M. Haase ist auf die
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andre Güter ss Hauses. Ich habe keinen Rittmstr. Oven in der Nähe wie
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vorigen Jahres. Vielleicht lebt er den letzten Frühling. Wie gern würde ich ihn
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in seiner Krankheit besuchen, wenn er nicht 5 Meilen von mir wäre. Also bin
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ich ganz allein, ohne die geringste Aufmunterung, ohne Gefühl des
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Vergnügens, selbst des Frühlings. Noch ein viertel Jahr würde mich um so viel älter
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machen als Tithon von
einer
jeder Umarmung der Aurora wurde. Ich
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werde also mit dem Ende des May gewiß frey seyn.
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Schreiben Sie mir aufrichtig ob Sie v Ihr Marianchen mich noch haben
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wollen. Vielleicht sind in der Zeit Umstände vorgefallen, die ihrer
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Freundschaft Einspruch thun. Nun ich sehe mit Verlangen einmal einem Schreiben
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von Ihnen entgegen.
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Ich hoffe daß ich viel mit uns. Gelegenheit von Neuen Büchern erhalten
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werde; da ich diese Nacht schon von ihren Büchern geträumt habe. Die
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Gelegenheit muß heute oder morgen kommen.
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Haben Sie die Weisheit des Menschen nach der Vernunfft von May gelesen.
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Wenn Sie es nicht haben, schaffen Sie es sich doch an. Ein Buch, welches zu
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Vorlesungen für Leute die nicht studieren, sehr beqvem seyn sollte. Es ist ein
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ganzes
Compend.
der Philos. nach einem guten Begrief von dieser
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Wißenschaft. Sie werden sich ihn nicht leyd thun laßen.
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Der freyen Gesellschaft zu Königsberg in Preussen eigene Schriften in gebundener und ungebundener Schreibart in eine Sammlung verfasset
, hg. v.
Königsberger freye Gesellschaft
(Königsberg: Hartung 1755)
Wißen Sie auch, daß die freye Gesellschaft gleichfalls einen Theil ihrer
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eignen Ausarbeitungen, der eben so stark als der kgl. ist, jetzt herausgegeben.
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Ich habe ihn bloß gesehen.
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HE. Prof. Kypke hat eine kleine Abhandlung des Locks aus dem Engl.
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übersetzt. Ich glaube es ist dieselbe welche Knutzen willens gewesen
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Mietau
heute Jelgava, Lettland [56° 39′ N, 23° 43′ O] (40 km südwestlich von Riga)
herauszugeben. Ihre Redekunst ist sehr zahlreich nach Mietau gekommen. Ich traue
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ihr guten Abgang unter meinen Amtsbrüdern zu.
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Den Versuch vom Schönen habe jetzt auch deutsch gelesen. Flottwell hat
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unstreitig die Vorrede gemacht. Ich traue der Uebersetzung nicht ganz. Ist der
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2 Abschnitt von HE. Secre. Sahme. Am Anfang deßelben ist ein lächerl.
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Fehler stehen geblieben, den ich damals schon bemerkt habe, wie ich Original v
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Uebersetzung von Ihnen hatte. Die Rede ist von der Schönheit. ein
, eine gar zu starke Nahrung, übermäßige Arbeit oder
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Traurigkeit
Wie kann
l’air trop vif,
hier was anders heißen als eine gar zu
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strenge Luft, der Articel v der
sensus
zeigt es
Indolence
Traurigkeit? zu wenig
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Bewegung, zu vieles Sitzen.
pag: 33. depayser,
irre führen? in ein
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unbekanntes fremdes Land führen werde pp. Es sind sehr viele Stellen geschwächt
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ungeachtet ich nur damals biß auf die Helffte mit meinen Anmerkungen
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gekommen war. Mich wundert, daß Sie mein HE. Ältester! diesen Fehlern kein
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† gesetzt haben. Die große Absicht des HE. Herausgebers v der große
Wunsch
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Seufzer, mit dem er der Welt diese Arbeit überreicht, decken
beydes
alles zu,
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wie die Größe meiner Briefe ihre Güte derselben entbehrlich macht. Ich bitte
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Sie deswegen nicht kürzer v beßer zu schreiben. Leben Sie wohl, Sie v. Ihr
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erwünschtes Frauchen! Lebt wohl! Lebt wohl! Lebt wohl!
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (10).
Bisherige Drucke
Heinrich Weber: Neue Hamanniana. München 1905, 23–25.
ZH I 103–107, Nr. 42.