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352/14
Warschau den
10
Novbr.
65.
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Herzlich geliebtester Vater,
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Im Fall Sie mein letzterer Brief beunruhigt haben sollte, ergreif ich
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gegenwärtige Muße uns beyderseits wieder aufzumuntern. Ich bin Gott Lob!
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gesund und warte mit Sehnsucht gute Nachrichten von Ihnen zu hören.
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Nacht
der große Brand in Königsberg von 1764
Heute vor einem Jahr wartete eine schreckliche Nacht auf uns, die Gott auch
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hat überstehen geholfen – und eben derselbe wird uns von allem Uebel
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erlösen, das uns drückt oder droht, aber auch zugleich bewährt und läutert
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von den Schlacken unserer Natur und dieser vergänglichen Erde. Die schlimme
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Witterung, das garstige Pflaster, und was beyde übertrift meine Faulheit
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und Gleichgiltigkeit erlauben mir wenig hier auszugehen; unterdeßen fehlt
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es auch den muntersten Jünglingen nicht weniger an langer Weile in
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Warschau. Die meinige ist unter Eßen, Trinken, Schlafen, Lesen und Schreiben
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Proceß ... Relations Gerichte
In Warschau stritten die kurländischen Landstände um ihre Souveränität gegenüber dem Herzog, also bis 1762 gegenüber dem polnisch beeinflussten
Karl von Sachsen
, danach gegenüber dem früheren und wieder eingesetzten, russisch orientierten
Ernst Johann von Biron
. Dabei ging es auch um die konfessionelle Einrichtung der Landschaften, bspw. die Zurückdrängung der katholischen Kirchengründungen unter dem Einfluss der polnischen Krone. Tottien vertrat Herzog Ernst Johann von Biron vor dem Relationsgericht, das von der polnischen Krone beaufsichtigt wurde. Die protestantische Dominanz in den kurländischen Gemeinden konnte restituiert werden.
getheilt. Der Proceß geht seinen Gang. Gestern ist der dritte Sitz der Königl.
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Relations
Gerichte gewesen, und die Gegenparthey ist mit ihrem Vortrage
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und der Verlesung ihrer Schriften fertig. Nächsten Mittwoch wird die Reyhe
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Herzogs Advocaten
Christoph Anton Tottien
an des Herzogs
Advocat
en kommen. Wir leben wohl der guten Hofnung,
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daß die Sache geschieden werden dörfte, können aber doch nicht völlig sicher
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dafür seyn, ob das Urtheil nicht auf künfftigen März verzogen werden möchte,
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und daher das Ende unsers hiesigen Aufenthalts auch noch nicht füglich
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Printz Carl
Carl v. Biron, Prinz von Kurland (1728–1801)
absehen. Des Erbprintzen von Curland Bruder, Printz Carl wird hier erwartet,
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ersterer mit seiner jungen Gemalin in Mitau
Peter von Biron
und Karoline Lowise Biron (1724–1822), geb. Fürstin von Waldeck; Mitau, heute Jelgava, Lettland [56° 39′ N, 23° 43′ O] (40 km südwestlich von Riga)
und ersterer mit seiner jungen Gemalin in Mitau.
S. 353
Herr Hofrath
Christoph Anton Tottien
Herr Hofrath befindt sich Gott Lob! auch gesund und munter. Er ist
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ausgefahren, und wollte mich mitnehmen, um frische Luft zu schöpfen. Ich
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genieße alle mögliche Freundschaft und Achtsamkeit von seiner Seite.
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Ohngeachtet ich ihm nicht gantz unnütz bin; seh ich gleichwol gar nicht ab, weder
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für
noch
durch
ihn brauchbarer zu werden. Und dies ist der Knoten, auf den
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sich meine gegenwärtige Grillen beziehen, und meine künftige Maasregeln
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erstrecken müßen. Unterdeßen kann ich es immer als eine Wohlthat der
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Vorsehung erkennen, die mich zu einem leidenden Zuschauer dieses kleinen
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Schauspiels beruffen hat, und ich kann mich an den Vortheilen meiner Rolle
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begnügen, die mich zu nichts als Gedult verpflichtet. Die Stunde wird auch
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kommen, wo ich einer
beßern Ruhe
in meinem
Vaterlande
genüßen werde,
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wenigstens nach der heutigen Sonntagsepistel.
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HE Vetter Nuppenau
Joachim Anton Nuppenau
Grüßen Sie Unser ganzes Haus, besonders HE Vetter Nuppenau und
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Jungfer Lieschen nebst ihren Eltern und allen Angehörigen. Von
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Staatssachen ein Wort miteinfließen zu laßen, sind alle Strümpfe zu kurz gerathen,
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Anne Regine
Anna Regina Schumacher
welche mir die Anne Regine hat stricken laßen. Ich bin ihr aber deswegen
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nicht böse, daß sie das Maas meiner Füße und die Länge meiner Knie nicht
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beßer weiß. Ich empfehle Sie und alles was Ihnen lieb und werth ist,
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Göttlicher Obhut und Gnade. Nach kindlich zärtlichstem Handkuß ersterbe mit
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herzlicher Ehrerbietung Geliebtester und GeEhrtester Vater Ihr gehorsamster
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Sohn
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Johann George.
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 1 (84).
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 344 f.
ZH II 352 f., Nr. 311.