300
328/24
Die adressierte Behörde ist nicht spezifiziert: In HKB 300 (II 330/3) spricht Hamann lediglich von „E. Erlauchte Königl. Regierung“; die Anrede an
Friedrich II.
ist nur pro forma. Von den diversen Ämtern und Kollegien der
Ostpreußischen Provinzialregierung in Königsberg
kommt am ehesten das Kanzleramt als verantwortlich für das Passwesen in Frage, vgl. Ludwig Baczko: Versuch einer Geschichte und Beschreibung der Stadt Königsberg, 7 Bde. Königsberg 1787–1790, IV, S. 322.
Johann Georg Hamanns allerunterthänigste Bittschrift ihm die Wohlthat

25
Ostracismi
Ostrakismos, Verbannung von Politikern aus Athen, die tyrannischer Ambitionen verdächtigt wurden
des
Ostracismi
und einen Reise Paß nach Curland angedeyhen zu laßen.


26
Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster König,

27
Allergnädigster Herr,


28
Meine Mutter war aus Lübeck gebürtig und starb 1756. Nach einer

29
gesetzmäßigen Theilung mit meinem Vater, einem gebornen Lausnitzer, und

30
meinem jüngeren Bruder, belief sich mein Antheil etwas weniges über

31
fl. pr.
preußische Gulden, Goldmünze
Fünftausend fl. pr.

32
Dieser Seegen meines mütterlichen Erbes hat durch Mittel der Vorsehung

33
nicht nur
diese
9 Jahr
lang
zu meinem nothdürftigen Unterhalte

S. 329
hingereicht; sondern auch von
ao.
1756 bis 58 zu einer Reise
nach England

2
über Berlin, Hamburg Amsterdam nach London, wozu ich durch Vorschuß

3
Handelsleute
Arend Berens
und
Carl Berens
und Beysteuer grosmüthiger
Freunde
Handelsleute in
Riga
Liefland

4
unterstützt wurde,
und
endlich noch zu einer andern Ausflucht nach

5
Deutschland, Elsaß und Basel, die aber nicht länger als 16 Wochen gewährt und von

6
Michaelistage
29. September
der ich am Michaelistage des verfloßnen Jahres wieder heimgekommen bin.

7
copeylichen Beylagen
wohl die Entlassungsurkunde aus dem Kanzleidienst
Ew. Königl. Majestät werden aus copeylichen Beylagen näher zu ersehen

8
geruhen, daß weder Uebermuth noch Faulheit, sondern ein bloßes Ungeschick

9
meiner Neigungen und Fähigkeiten mich bisher von einem öffentl. Amt

10
ausgeschloßen haben. Ich hätte auch gern die Fruchtlosigkeit meiner Probedienste

11
CammerCanzeley
Kanzlei der
Kriegs- und Domänenkammer in Königsberg
bey E. Hiesigen CammerCanzeley
vielleicht
länger als Sechs volle Monate

12
verschmerzt, falls es nicht dem barmherzigen Gott gefallen meinen alten

13
a. pass.
dt. vergangenen Jahres
Vater den 25.
Januar. a. pass.
durch einen Schlagfluß an der rechten Seite

14
zu lähmen, und hierauf zugleich mich selbst von dem
freywilligen

15
mühseeligen Joche meiner Canzeley-Proben zu erlösen.

16
Ohn
ge
erachtet ein sauer und gewißenhaft erworbenes Vermögen durch

17
Contribution
en,
Reduction
en, Mildthätigkeiten u. s. w. leicht geschmälert

18
werden kann; auch mein Vater zu unvermögend geworden, seinen

19
Haus
wesen
stand und die Handthierung seiner Kunst länger fortzusetzen: so

20
gereicht es mir doch zur grösten Beruhigung, ihn auf ein gemächliches Alter

21
ziemlich durch die Nachfolge eines
Bluts
Anverwandten und
Vetters

22
Blutsfreundes versorgt zu sehen. Es scheint mir daher
aber
keine unzeitige

23
Pflicht, nunmehr auch für die künftige Sicherheit meines eigenen Unterhalts

24
selbst Sorge zu tragen, weil mir von meinem nothdürftigen Vermögen nach

25
Bezahlung meiner jährl.
Pension
und etwa einiger Schulden nicht mehr übrig

26
bleiben wird, als höchstens eine Einzige
Actie
in Ew. Königl.
Majestät

27
Allerhöchst
verordneten
privilegi
rten Bank zu er
handeln
kaufen. – Ich

28
werde dieses Opfer von dem Ueberrest meines ganzen Glücks mit willigem

29
Herzen thun, und erflehe
jetzt
von Ew. Königl.
Majestät
jetzt keine größere

30
Belohnung meiner
eben so
obschon vergeblichen dennoch freywilligen
als

31
vergeblichen
Probedienste,
denn
als die gnädige Freyheit mein Vaterland

32
verlaßen zu
dörfen
können. Da ich keinen ausdrücklichen Befehl vom Hofe

33
vermuthen
kann
darf, der mich verbinden sollte in meiner Heimat zu

34
verhungern oder betteln zu gehen, unterdeßen ich die außerordentlichsten und

35
vortheilhaftesten Anerbietungen auswärtiger Gönner mit einer patriotischen

36
Stupidité
Ignoranz
Stupidité
und ebenso lebhaften Gefühl meiner Unwürdigkeit ausgeschlagen

37
habe
und
da es ferner an merklichen Beyspielen von Landeskindern gar

S. 330
nicht fehlt, die ihrer Verlegenheit hier aus- und unterzukommen durch

2
gesuchte und
erhaltene gewährte
verwilligte Erlaubnis sich auf eine Zeitlang

3
zu
expatri
iren abhelfen müßen: so wird E. Erlauchte Königl. Regierung mit

4
gleicher Gnade geruhen mir einen Reise Paß nach Curland zu ertheilen, weil

5
ich daselbst die nächste Hofnungen habe, mir durch Vorschub gutgesinnter

6
Subsistance
Auskommen
Freunde vor der Hand eine anständige
Subsistance
zu vermitteln.

7
Ich werde niemals die Treue eines Preußen
gegen
für das
Interesse
und

8
die Befehle seines unsterblichen Monarchen in dieser Brust erkalten laßen, und

9
auch in fernen Landen nicht vergeßen den Ruhm Preußischer Helden und die

10
noch weit glücklichere Ruhe Preußischer
Invaliden
bis an mein Ende zu

11
verkündigen. Sollte aber dem Gemeinen Wesen jemals an meiner Asche und

12
übrigen Nachlaß etwas gelegen seyn; so werde keinen
Zeit
Augenblick

13
versäumen mich unter dem Schatten der Heiligsten Eiche dieses Königreichs zu

14
Druiden
In früheren Briefen Selbstbezeichnung Hamanns
verpflanzen und daselbst mit der
Devotion
eines aufrichtigen
Druiden

15
ersterben
zu können
als Ew. Königl.
Majestät
allerunterthänigster Knecht.


16
Königsberg den 1
ten
May 1765.
Johann Georg Hamann.

Eine Abschrift des Briefes von Hamanns Hand. Provenienz: Negativ der Handschrift in der Universitäts- und Landesbibliothek Münster, Signatur: Hamann-Nachlass, Kaps. 2, 6. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 20:

502/33
Allerunterthänigste Bittschrift an E. Königl. Regierung,

34
mir die Wohlthat des
Ostracismi
und einen Reisepaß nach Curland

35
angedeyen zu
laßen

S. 503
Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster König,

2
Allergnädigster HErr

3
Meine Mutter war aus Lübeck gebürtig, und starb 1756. Nach einer

4
gesetzmäßigen Theilung mit meinem Vater, einem geborenen

5
Lausitzer und meinem jüngeren Bruder, belief sich mein Antheil etwas

6
weniges über 5000
fl. pr.

7
Dieser Seegen meines mütterlichen Erbes hat durch Mittel der

8
Vorsehung nicht nur neun Jahre zu meinem nothdürftigen

9
Unterhalte hingereicht; sondern auch von
ao
1756 bis 58 zu einer Reise

10
über Berlin, Hamburg, Amsterdam nach London, wozu ich durch

11
Vorschuß und Beysteuer grosmüthiger Handelsleute in Riga unterstützt

12
wurde, endlich noch zu einer andern Ausflucht nach Deutschland bis

13
Basel, die aber nicht länger als 16 Wochen gewährt und von der ich

14
am
Michaelistage
des verfloßenen Jahres wider heimgekommen bin.

15
Ew. Königl.
Majestät
werden aus
copeyl.
Beylagen (am Rande:

16
A nebst der Erlaßung meiner geleisteten Probedienste bey der

17
Cammer Canzley unterm 8
Febr.
64) näher zu ersehen geruhen, daß

18
weder Uebermuth noch Faulheit, sondern ein Ungeschick meiner

19
Fähigkeiten und Neigungen mich bisher von einem öffentlichen Amte

20
ausgeschloßen haben. Ich hätte auch gern die Fruchtlosigkeit meiner

21
Probedienste länger als sechs volle Monathe verschmerzt, falls es

22
nicht dem barmherzigen Gott gefallen hätte
meinen
alten Vater den

23
25
Januar a. p.
durch einen Schlagfluß an der rechten Seite zu

24
lähmen, und dadurch mich selbst von dem mühseeligen Joche meiner

25
Canzeleyproben zu erlösen.

26
Ohngeachtet ein sauer und gewißenhaft erworbenes Vermögen

27
durch
Contributionen,
Münz
reductionen
u. s. w. leicht geschmälert

28
werden kann; auch mein Vater zu unvermögend geworden seinen

29
Hausstand und die Handthierung seiner Kunst länger fortzusetzen: so

30
gereicht es mir doch zur größten Beruhigung, ihn für ein gemächliches

31
Alter ziemlich durch die Nachfolge eines nahen Anverwandten und

32
Blutfreundes versorgt zu sehen. Es scheint mir daher keine unzeitige

33
Pflicht, nunmehr auch für die künftige Sicherheit meines eigenen

34
Unterhalts Sorge zu tragen, weil mir von meinem nothdürftigen

35
Vermögen nach Bezahlung meiner jährlichen
Pension
und etwa

36
einiger Schulden nicht mehr übrig bleiben wird, als höchstens eine einzige

S. 504
Actie
in Ew. Königl. Majestät allerhöchst
privilegirten
neuen Bank

2
zu erkaufen. Ich werde dieses Opfer von dem Ueberreste meines

3
ganzen Glücks mit willigem Herzen thun, und erflehe von Ew. Königl.

4
Majestät jetzt keine größere Belohnung meiner vergeblich und

5
freywillig geleisteten Probedienste, als die gnädige Freyheit mein

6
Vaterland verlaßen zu
können. Da
ich kein ausdrückliches Gesetz vermuthen

7
kann, das mich verpflichten sollte in meiner Heimath zu verhungern

8
oder betteln zu gehen, unterdeßen ich die außerordentlichsten und

9
vortheilhaftesten Anerbietungen auswärtiger Gönner mit

10
patriotischer Stupidität und
eben so lebhaften
Gefühl meiner Unwürdigkeit

11
ausgeschlagen habe; da es ferner an Beyspielen von Landeskindern

12
nicht fehlt, die ihrer Verlegenheit hier aus- und unterzukommen,

13
durch gesuchte und gewilligte Erlaubnis sich zu
expatrii
ren abhelfen

14
müßen: so wird E. Erlauchte Königl. Regierung mit gleicher Gnade

15
geruhen mir einen Reisepaß nach Curland zu ertheilen
p p p

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 85.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 334–337.

ZH II 328–330, Nr. 300.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
502/35
laßen
]
Geändert nach dem Negativ der Handschrift in Münster; ZH:
laßen.
503/6
fl. pr.
]
Geändert nach dem Negativ der Handschrift in Münster; ZH:
fl.
503/14
Michaelistage
]
Geändert nach dem Negativ der Handschrift in Münster; ZH:
Michaelistag
503/22
meinen
]
Geändert nach dem Negativ der Handschrift in Münster; ZH:
meinem
504/6
können. Da
]
Geändert nach dem Negativ der Handschrift in Münster; ZH:
können, da
504/10
eben so lebhaften
]
Geändert nach dem Negativ der Handschrift in Münster; ZH:
ebenso lebhaftem