298
323/12
Θρασεια γαρ …
Maximos von Tyros,
Philosophische Vorträge
, Kap.: „Haben Dichter oder Philosophen besser von der Gottheit gedacht“, S. 35: „Die menschliche Seele ist nämlich kühn und ehrt das Gegenwärtige nicht so sehr, bewundert jedoch das Entfernte; indem sie aber das Unsichtbare entschlüsseln will, jagt sie ihm mit dem Denken nach. Erjagt sie es nicht gleich, müht sie sich erst recht, es herauszufinden, und findet sie es, liebt sie es als ihre eigene Schöpfung. Dies nun erkannten die Dichter und fanden ein Hifsmittel für die Seele in den Erzählungen von den Göttern, Mythen, die undeutlicher sind als eine Erläuterung, deutlicher jedoch als verschlüsselte Darstellungen. Sie liegen in der Mitte zwischen Wissen und Unwissen, werden geglaubt wegen ihrer hübschen Art, bezweifelt aber wegen ihrer Unwahrscheinlichkeit; sie bringen die Seele dazu, das Seiende zu suchen und noch weiter zu forschen. Die Dichter nun suchten schon lange unvermerkt die Ohren zu betören, und sie waren eigentlich Philosophen, hießen aber Dichter, weil sie eine ungeliebte Sache in eine allgemein erfreuende Kunst verwandelten. Der Philosoph nämlich hält der Menge einen unerfreulichen und widerwärtigen Vortrag, wie auch ein Reicher unter Armen einen unerfreulichen Anblick bietet oder der Beherrschte unter Zügellosen oder unter Feiglingen ein Held. Die Laster nämlich können es nicht ertragen, wenn Tugenden sich mitten unter ihnen brüsten. Der Dichter hingegen bietet einen zierlichen und dem Volk willkommenen Vortrag, den man wegen der Ergötzung liebt, seinen Wert jedoch nicht erkennt. Wie aber die Ärzte den Kranken, die ungern Medizin nehmen, bittere Arznei mit wohlschmeckender Speise mischen und so den widrigen Geschmack des Heilmittels überdecken, so barg auch die alte Philosophie ihre Lehre in Mythen, Versen und Liedern und versteckte den bitteren Geschmack ihrer Lehren unter der gefälligen Form.“
Θρασεια γαρ ουσα η ανθρωπινη Ψυχη,
quae exposita sunt
τα μεν εν ποσιν

13
ησσον τιμᾳ, του δε αποντος
(quae abstrusa)
θαυμαστικως εχει.

14
καταμαντευομενη δε των ουχ ορωμενων και θηρευουσα ταυτα τοις λογισμοις, μη

15
τυχουσα μεν σπευδει ανευρειν, τυχουσα δε αγαπα ως εαυτης εργον.
Dies hat

16
die Poeten bewogen zu erfinden
μηχανην εν τοις θειοις λογοις
, μυθους

17
λογων μεν αφανεστερους,
αινιγματος
μεν σαφεστερους, δια μεσου οντας

18
επιστημης προς αγνοιαν, κατα μεν το ηδυ πιστευομενους, κατα δε το

19
παραδοξον απιστουμενους.
Er kommt auf die alte Philosophie wieder zurück und

20
wiederholt das obige:
η παλαια φιλοσοφια καταθεμενη την αυτης γνωμην

21
εις
μυθους
και
μετρα
και
σχημα
ῳδης
, ελαθε τῃ περιβολῃ
ψυγαγωγιας

22
κερασασα την αηδιαν των διδαγματων.

23
Um die Uebereinstimmung der Poeten und Philosophen zu bewähren,

24
beruft er sich auch folgende Probe:
ων αν
μεταβαλης τα ονοματα
, ευρησεις

25
την ομοιοτητα και γνωριεις το διηγημα.
Weil ich nicht weiß, ob Sie diesen

26
alten Sophisten dort so leicht finden können: so hab ich Ihnen diesen

27
kleinen Auszug mittheilen wollen. Es sind wirklich einige Ideen, die

28
brauchbar seyn möchten. Z. E.
Λογοι
für die Philosophie und
Μυθοι
für die

29
Poesie. Die Erklärung der letztern durch eine
μηχανην εν τοις θειοις λογοις

30
und
τας περι θεων δοξας
verdient auch einige Aufmerksamkeit. Den

31
Ursprung der Dichtkunst in der
Ode
zu suchen, geht in so fern an, als man

32
unter ersterer eine
φιλοσοφιαν μουσικην
versteht. Aber
μυθος,
Fabel und

33
Erfindung scheint mir immer dem
παθος
und Schwung der Empfindungen

34
vorzugehen.

S. 324
Weil ich aber heute in diesen Untersuchungen nicht weiter als sonst

2
kommen werde: so überlaß ich selbige Ihnen liebster Freund.

3
Nach dem deutschen
Mallet
habe geschickt, aber noch nichts bekommen. Den

4
französischen nebst anderen habe auch umsonst fordern laßen. Sie stehen alle

5
im
Catalog.
Weil es andern eben so geht: so weiß ich nicht was
ich
davon

6
denken soll. Des
Klotzens Strabo
habe. Aber der Herausgeber ist

7
Lamberts Organon
Lambert,
Neues Organon
HE M. Kant
Immanuel Kant
unausstehlich. An
Lamberts Organon
erinnere
HE
M.
Kant so oft ich Gelegenheit

8
dazu habe.

9
Den
Pausanias
habe in ungefehr 10 Tagen durchgelesen. Sie können leicht

10
denken wie? Da die alte Geschichte Griechenlands für mich das liebe Ein mal

11
eins ist: so habe blos auf die Geschichte der Kunst und
Litteratur
und den

12
Idiotismen
individuelle Ausdrucksweise
Idiotismen des Schriftstellers mein Augenmerk gehabt. So schön
diese

13
Kuhnii
Joachim Kühn (1647–1697), Philologe
meine Ausgabe des
Kuhnii
ist: so unzulänglich ist die Anzeige der Kapitel

14
vor
jedem Buch, und ich vermiße den Mangel eines vollständigen Registers,

15
wenn ich dasjenige wiederfinden will, was mir darinn vorgekommen. Ich

16
denke auf die Woche den
Athenaeum
anzufangen und selbigen in gleicher

17
Absicht zu durchlaufen.

18
Ich werde vielleicht blos meinen Freund abwarten um gleichfalls nach

19
Ihren Gegenden
aufzubrechen.
Das Leben wird mir sehr sauer und ich weiß

20
nicht, wozu ich auf der Welt bin. Ich will wieder mit Hofmeistern anfangen

21
und
in
Curland einen neuen Versuch dazu machen.

22
Halten Sie mir, liebster Freund, mein abscheulich Geschmier zu gute. Ihre

23
Beylage habe kaum Zeit gehabt flüchtig durchzulesen, behalte mir also künftig

24
davon noch zu reden vor. Fahren Sie fort alles was Ihnen einfällt bey mir

25
zu
deponi
ren. Wir werden noch Zeit genug haben uns einander Rechenschaft

26
davon zu geben.

27
Zum Schluß umarme Sie unter herzl. Begrüßung der Meinigen und bin

28
Ihr aufrichtiger Freund und Diener

29
Hamann.


30
Δαιδαλος δε …
dt. „Was Daidalos machte, ist eher seltsam anzusehen, doch zeigt sich auch etwas Göttliches an diesen Werken“ (
Paus.
Graeciae descriptio
, II,4,5, Bd. 1, S. 181).
Pausanias Lib. II p.
121.
Δαιδαλος δε οποσα ειργασατο, ατοπωτερα μεν

31
εστιν ες την οψιν, επιπρεπει δε ομως τι και ενθεον τουτοις.

32
ξοανα γαρ …
Lies δη τοτε. dt. „[ich meine jedenfalls], daß damals alles Holzbilder waren, besonders die ägyptischen“ (
Paus.
Graeciae descriptio
, II,19,3, Bd. 1, S. 214).
Lib.
2.
p.
152.
ξοανα γαρ δη τοτι ειναι πειθομαι παντα, και μαλιστα τα

33
Αιγυπτια.

34
(Θεοδωπος Σαμιος) …
dt. „[Diese Skias soll ein Werk] des Samiers Thoedoros sein, der als erster erfand, Eisen zu gießen und daraus Bildwerke zu formen“ (
Paus.
Graeciae descriptio
, III,12,10, Bd. 1, S. 296f.).
Lib.
3.
p.
237.
(Θεοδωπος Σαμιος) πρωτος διαχεαι
σιδηροu
ευρε και

35
αγαλματα απ’ αυτου πλασαι.

36
Καλλιμαχος …
dt. „Kallimachos […], daß er zuerst Steine durchbohrte (und sich entweder selbst den Namen Katatexitechnos beilegte oder ihn auf sich anwandte, nachdem andere ihm den Namen gaben)“ (
Paus.
Graeciae descriptio
I,26,7, Bd. 1, S. 124).
Lib.
3. 63.
Καλλιμαχος (κατα τεχνος
oder
κακιζοτεχνος) λιθους πρωτος

37
ετρυπησε.

S. 325
Αθηναιων γαρ …
Lies σχημα ... τοις. dt. „denn die Athener haben die viereckige Form bei den Hermen, und von ihnen haben es die anderen gelernt“ (
Paus.
Graeciae descriptio
, IV,33,3, Bd. 1, S. 414).
Lib.
4. 361.
Αθηναιων γαρ το χημα το τετραγωνον εστιν επι ταις Ερμαις,

2
και παρα τουτων μεμαθηκασιν οι αλλοι.

3
νεωτατον …
dt. „[er sagt], Kairos sei der jüngste Sohn des Zeus“ (
Paus.
Graeciae descriptio
, V,14,9, Bd. 3, S. 40).
p.
413.
νεωτατον παιδων Διος
κ
Καιρον

4
Τα γαρ …
lies επαγεσϑαι. dt. „[Es ist nämlich Sitte] bei den Griechen, in die Dichtung die älteren Namen statt der späteren einzuführen“ (
Paus.
Graeciae descriptio
, VII,17,7, Bd. 3, S. 188).
565.
Τα
γαρ αρχαιοτερα ονοματα ες ποιησιν επαγεθαι των υστερων,

5
καϑεστηκος εστιν Ελλησιν.

6
Τα δε …
dt. „In den älteren Zeiten wurden auch bei allen Griechen unbearbeitete Steine statt Statuen göttlich verehrt“ (
Paus.
Graeciae descriptio
, VII,22,4, Bd. 3, S. 202).
Lib. VII.
519.
Τα δε ετι παλαιοτερα και τοις πασιν Ελλησιν, τιμας θεων

7
αντι αγαλματων ειχον αργοι
λι
δ
θοι
.

8
Von Erz siehe
Pausanias Lib. III. p.
251. und
Lib. VIII. p.
628. 629.

9
Conchitis
lat. conchita. Pausanias berichtet vom Muschelstein, den die Megarer verwenden.
Nur
Conchitis
wurde viel zu
Megara
gearbeitet
Pausan.
107.

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 9–10.

Die Pausanias-Exzerpte auf einem eigenen Blatt, Ms. Germ. quart. 1304, 47.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 332 f.

Johann Gottfried von Herder’s Lebensbild. Sein chronologisch geordneter Briefwechsel, […]. Hg. von seinem Sohne Dr. Emil Gottfried von Herder. Ersten Bandes zweite Abtheilung. Erlangen 1846, 24–26.

ZH II 323–325, Nr. 298.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
323/17
αινιγματος
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
αινιγματος,
323/21
ψυγαγωγιας
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
ψυχαγωγιας
323/21
ῳδης
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
ωδης
324/5
ich
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
ich
324/7
HE
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
HE.
324/11
Litteratur
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Litteratur,
324/13
Kuhnii
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Kühnii
324/14
vor
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
von
324/19
aufzubrechen.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
aufzubrechen:
324/21
in
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
in
324/34
σιδηροu
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
σιδηρον
325/3
κ
Καιρον
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
καιρον.
325/4
Τα
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
τα
325/7
λι
δ
θοι
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
λιθοι