254
226/26
Franckfurt am Mayn den
26.
Aug
1763.

27
HochEdelgebohrner Herr

28
Hochgeschäztester Herr und Freund.

29
Nicht leicht bin ich auf eine angenehmere Art überrascht worden als da mir

30
vom 25. Jul.
vgl.
HKB 251 ( II 218/30 )
Ew
HochEdelgebh. geehrtestes vom 25.
Jul.
überbracht wurde. Der

31
Layenbruder hatte sein Schreiben an HEn Nicolai in Berlin überschickt, durch

32
welchen ihm die Magi,
l’Essai à la mosaïque
u. einige andere Geisteskinder des

33
lieben Philologen bekannt gemacht worden und von der Hochachtung, mit

34
welcher die ganze Secte der Nicolaiten sich auf deßen
Sujet
geäußert, ließe sich

S. 227
weniger nicht, als eine richtige Besorgung jener gedruckten Antwort verhoffen.

2
Es ist aber nicht geschehen und genug! daß sie auch ohne ihre Vermittlung an

3
Ort u. Stelle gekommen, mir aber dadurch die Freude und der Vortheil einer

4
unmittelbaren Bekanntschafft mit Ew. HochEdelgebh. erwachsen ist.

5
So schäzbar mir solche zu jeder Zeit gewesen seyn u. bleiben wird, so

6
ungleich wird sie mir über dieses durch den Zeit-Punct, in welchem ich Dero

7
Schreiben erhalten habe. Sie erlauben mir, Hochgeschäzter Freund, daß ich

8
von dem Krieg, wann je einer unter uns war, dißmahl schweige und mir bloß

9
den Sieg zu nuz mache, den
Sie
mir auf eine so edle und herzliche weise

10
beilegen. An dem Tag, an welchem ich Ihr Schreiben erhielte, ware mein

11
Gemüth in einem würklichen Gedräng wegen eines Auftrags, der mir schon seit

12
ein paar Monathen geschehen ware und deßen Befolgung überall Hinderniße

13
und Bedenklichkeiten fande. Die Frau Erb. Prinzeßin von Heßen-Darmstadt

14
ersuchten mich in Ihrem u. Ihres Gemahls, des künfftigen Landes-

15
Nachfolgers Nahmen, Ihnen einen
Instructorem
zu Ihrem ältesten Prinzen zu

16
verschaffen; die Eigenschaften, so sie von ihm verlangen, will ich mit eigenen

17
Il instruira…
dt. Er soll meinen Sohn gemäß den Anweisungen und unter Anleitung seines Erziehers unterweisen, er soll ihn nach und nach in allem, was zur schönen Literatur, Geschichte, Philosophie, Mathematik gehört, unterrichten, er soll Kenntnisse des öffentlichen Rechts haben, er soll einem wahren Christen gemäß empfinden, ohne Frömmelei und ohne Bigotterie, er soll ein besonnenes Betragen an den Tag legen, das ein gutes Beispiel gibt, er soll sehr sanftmütig sein und wenn möglich die Kunst beherrschen, seine Unterweisungen nützlich und unterhaltsam zu gestalten. Er ist verpflichtet, sich täglich 4 bis 5 Stunden um meinen Sohn zu kümmern. Der Unterricht soll auf Deutsch erteilt werden, es wird jedoch erwartet, dass er gut genug Französisch kann, um die in dieser Sprache verfassten Werke der Literatur gründlich zu kennen. Wir wollen keinen Theologen.
Worten dieser weisen und vortrefflichen Fürstin darlegen:
Il instruira mon

18
fils sous les ordres et la Direction de son Gouverneur, il lui enseignera

19
successivement tout ce qui fait partie des belles lettres, de l’histoire, de la

20
philosophie, de la mathematique, il aura connoissance du droit public, il

21
aura des sentimens dignes du vrai Chretien, sans cagoterie, sans bigoterie,

22
une conduite sage, qui serve de bon exemple, beaucoup de douceur, et

23
l’art, s’il se peut, de rendre ses instructions utiles & amusantes. Il sera tenu,

24
de s’occuper
4.
à
5.
heures du tems avec mon fils. Les lecons seront

25
données en Allemand, mais on desire, qu’il sache le français assés bien, pour

26
connoitre à fond les ouvrages de literature écrites dans cette langue. On

27
ne veut point de Theologien.

28
Nach vielem Erforschen und Nachdenken hatte endlich zwo Personen

29
ausfindig gemacht, welche die mehreste der verlangten Eigenschafften hatten und

30
deren Herzens-Redlichkeit mir die Probe zu halten schiene. Bey beiden fanden

31
sich zufällige Neben-Umstände, welche hinderten, auf sie Bedacht zu nehmen

32
u. ich wurde um weitere Erkundigungen ersucht. Mitten in diesen Erwegungen

33
erhielte ich Ew. HochEdelgebh Schreiben, ich blätterte in denen mir

34
mitgeschickten Blättern und, ohne zu einem solchen Gedanken zubereitet zu seyn,

35
aber auch ohne mich deßen erwehren zu können, dringt mir mit Macht aufs

36
aus Mitternacht kommt Gold
Hiob 37,22
Herz:
Der ists
, den du suchst; aus Mitternacht kommt Gold. Ich seze mich

37
augenblicklich hin, schreibe der Fürstin meinen Gedancken, schildere, so gut ich

S. 228
Humanisten au torrent de Kerith
vgl.
1 Kön 17,3
kan, den
Humani
sten
au torrent de Kerith
und empfehle der gnädigen und

2
herzlenkenden Vorsehung was aus dieser
Inspiration
werden solle. Heute

3
erhalte aufs geschwindeste Antwort und zu meiner
Legitimation
so wohl als

4
in dem gänzlichen Vertrauen zu Dero Rechtschaffenheit lege das
Original-

5
PSpt
Postskriptum
Billet,
das im
PSpt
eines schon geschriebenen Briefs ist, hier bey.

6
lettre néologique
Hamann,
Lettre néologiques
, S. 21
Sie schreiben, Theurer Mann, in der
lettre néologique: Venés changer les

7
ronces de ma petite ferme en parterres de fleurs; venés égayer le berceau

8
d’un Humaniste; Sie
rechtfertigen damit im voraus die Freyheit eines ohne

9
Ihr Vor- und Mitwißen erweckten Berufs. Ein anders ist aber nun, wie
Sie

10
es ansehen? ob
Sie
Lust, Trieb, Freyheit und innern Ruf bey sich finden, aus

11
dem Bach in den Strohm, aus der Stille in den Lermen, von dem Wahlplaz

12
der Schriftsteller in das schwere Joch des Hofs und den MärtyrerRuf des

13
Unterrichts eines Prinzen einzutretten. Ich würde Ih
nen
über das leichte und

14
beschwerliche, über das süße und saure dieser Stelle an diesem Hof

15
lettre provinciale
Hamann,
Lettre néologiques
insbesondere mehr als nur Eine
lettre provinciale
zu schreiben haben, es würde aber

16
In der Welt …
Joh 16,33
am Ende allemal auf die zwo kurze Säze hinauskommen: In der Welt habt

17
ihr Angst, aber in Mir habt Ihr Friede. Ich weiß kein
Sans Souci
als auf

18
Golgatha; alles andere
reduci
rt sich nur auf das
plus & minus
menschlichen

19
Elends u. Freuden; Sie vergönnen mir daher, daß ich dieses wichtige Anliegen

20
eben so starck auf Ihr Herz
lege,
als es auf dem meinigen hafftet. Die

21
Wohlfarth eines nahmhafften Landes ist mit dieser Wahl so überaus wesentlich

22
verbunden, u. wann man, nach etlichen schlechten Hirten noch Barmherzigkeit

23
vor eine übel gehütete und aufs Blut geschorne Heerde verhoffen darf, so

24
würde diß die
Epoque
seyn, wann das nun 10jährige Kind endlich einmal

25
der Pflege, Wartung, Unterricht u. Treue eines Mannes zu Theil würde, der

26
Großmuth und Menschenliebe genug hätte, in die villeicht noch nicht ganz

27
einzupropfen
vgl.
Hamann,
Französisches Project
verhärtete
Massa
dieser Fürsten-Natur Wahrheit einzupropfen. Wie sehr, wie

28
sehnlich wünsche ich, daß
Sie
Aufschluß und Freudigkeit in
S
ich finden mögen,

29
Kriton … Socrat
Kriton nahm sich der Erziehung des Sokrates an und bezahlte dessen Lehrmeister, vgl.
Hamann,
Sokratische Denkwürdigkeiten
, ED S. 39 und
Charpentier,
Vie de Socrate
, S. 3
Kriton zu werden, wann auch aus dem Heßischen Marmor kein Socrat zu

30
schnizen wäre. An der Fürstin werden
Sie
eine treue und sorgfältige Mutter,

31
u. gewiße Unterstützung Ihrer Bemühungen, ein edles, großes u.

32
erkänntliches Herz finden, das den Werth des Ihrigen zu schäzen wißen wird. Darf

33
ich mich mit in Rechnung nehmen, so würde dadurch einer meiner

34
allerangelegensten
W
ünsche erfüllt. Ich habe mich seit 10. Jahren dem Dienst dieses

35
Hauses gewidmet und, ohngeachtet ich seit einigen Monathen
aus
der

36
Verbindung mit dem Regierenden Herrn entsaget habe, so verbleibe ich gleichwohl

37
in den fernern Pflichten des Nachfolgers und die
Connexion
der Sache macht

S. 229
mirs nothwendig, Ew HochEdelgb in engem Vertrauen zu melden: Daß mir

2
auf den bey dem 72jährigen Alter des Reg. Landgrafen nicht sehr entferntem

3
Veränderungsfall der erste und beschwerlichste Theil der
Direction
zugedacht

4
und so aufgehalset ist, daß ich nach langem Verbitten und Wehren mich nicht

5
davon loszusagen vermocht. Zu welchem Trost, Aufrichtung und Freude es

6
mir also seyn würde, unsere Bemühungen zum Besten des künftigen und

7
nachkünftigen Regenten u. so vieler nach Göttlicher Langmuth ihnen

8
unterthänigen Menschen zu vereinigen ermeßen Ew. HochEdelgbh von
S
elbsten.

9
Ich schreibe noch mit heutiger Post an die Fürstin wegen der
Conditionen
:

10
Daß ich davor hielte, daß Ihnen nebst der ohnehin sich von selbst verstehenden

11
cum pertinentiis
d.i. mit Nebenräumen und Zubehör
freyen
W
ohnung
cum pertinentiis
und der Tafel mit den jüngern Fürstlichen

12
Kindern (welche eine sehr Einsichtsvolle und rechtschaffene
Gouvernante

13
GuldenRhein.
Rheinischer Gulden; Goldmünze, v.a. im Handel verbreitet
Thl. gut Sächsisch Geld
d.h. nach dem Leipziger 12-Taler-Fuß
haben) jährlich 5. à 600 GuldenRheinl. oder 400. Thl. gut Sächsisch Geld zum

14
Salario
auszusezen – u. daneben die schriftliche Versicherung einer weitern

15
nach Ihrem Geschmack, Neigung und Talenten einzurichtenden Versorgung

16
u.
Placir
ung zu geben wäre; es bestehe nun solche im
Cabinet,
oder bey

17
einem
Collegio
oder auf der
Universitaet,
je nachdeme Ih
nen
eins oder das

18
andere vorzügl.
conveni
rte. Von den Reise- und
Transport-
Kosten Ihrer

19
Bücher p ist ohnehin keine Frage.

20
Ich melde alles dieses in der Absicht voraus, um Ew. HochEdgb desto

21
mehreren Raum zur vorgängigen Prüfung zu verschaffen, anbey etwa auch zu

22
veranlaßen, daß mit der Anbindung bey dem Kriegs
Collegio
nicht zu sehr

23
geeilet würde, weil das Losbinden so dann um so schwerer fallen möchte.

24
Beurtheilen
Sie
übrigens den ganzen Vorgang nach der wahren u.

25
aufrichtigen Hochachtung, die ich Ih
nen
gewidmet habe, die ich Ihr
em
schönen Geist

26
und noch mehr Ihr
em
redlichen Herzen schuldig bin und die ich durch eine

27
persönliche und Dienst-Verbindung noch mehrers zu begründen wünsche.

28
ungenannte Freundin, deren Nahme sich auch mit K. anfängt
wohl Karoline Henriette Christine Philippine Luise von Pfalz-Zweibrücken (1721–1774) oder Susanna Katharina v. Klettenberg (1723–1774). Die Anspielung auf den Anfangsbuchstaben ‚K‘ gilt auch Hamanns
Klaggedicht
, das beginnt mit: „Meine K...“ (ED S.51).
Eine ungenannte Freundin, deren Nahme sich auch mit K. anfängt und die des

29
Nahmens meiner
einzigen
Freundin durch ein Herz voll Himmel so sehr

30
würdig ist, vereinigt mit mir Ihren
W
unsch u.
Sie
soll es seyn, die Ih
nen
den

31
ersten Trunck in einer der Freundschafft u.
W
ahrheit geheiligten Hütte einschencke.

32
Sobald ich von der Fürstin (deren u. Ihrer Kinder jezige Residenz 26.

33
Meilen von hier zu Bußweiler, eine Tagreise von Straßburg ist) Antwort erhalte,

34
werde ich über alles um so
positiv
er zu schreiben die Ehre haben.

35
Doch noch Ein Wort, das ich meinem Eingennuz nicht versagen kan: Wann

36
Ew HochEdelgb beharrliche Abneigung bey sich fänden, jener Stelle sich zu

37
unterziehen, könnten
Sie
S
ich gleichwohl nicht entschließen, auf einen andern

S. 230
u. noch
independen
tern Fuß in hiesige Gegenden sich versagen zu laßen? Ehe

2
ich mich aber darüber näher zu erklären im Stande wäre, müßte ich mir vorher

3
eine vertrauliche Eröfnung Ihrer dermaligen
Situation
und deren Vortheile

4
oder wahrscheinlichen Hoffnungen erbitten; da außerdem mein Antrag, so

5
freundschaftlich er auch wäre, doch beleidigend werden könnte.

6
Wenn es meinem Wunsch und Ahndung nachgeht, so hören
Sie
nicht nur

7
nicht auf,
Auctor
zu seyn, sondern
Sie
werdens noch in dem Grad der

8
Brauchbarkeit, der das bleibende Verdienst eines Ewigkeitsmäßig-
classi
schen

9
Schriftstellers ausmacht. Hier zu Land nisten keine Adler u. ihr Flug ist uns zu hoch,

10
Yah!
Esel
bey vielen Gänsen und Yah! findt und liebt man aber doch die gleich-originale

11
Philomele
Philomela ist in der gr. Mythologie die Tochter des attischen Königs Pandion, die von Zeus in eine Schwalbe verwandelt wird.
Philomele und, wanns nicht anders ist, geht man auch manchmal, an statt zu

12
fliegen, auf vier Füßen u. erschleicht das, was andere erfliegen.

13
Ich schließe einen gegen meinen Vorsaz schon zu lang gewordenen Brief

14
mit den Versicherungen der treuen u. aufrichtigsten Hochachtung darinnen ich

15
unabläßig seyn werde Ew. HochEdelgebohren ergebenster Diener

16
F C v Moser

17
Drsdt
Darmstadt
Fürstl. Heßen Caßel. u. Drstdt

18
Geheimer Rath.


19
Copia
der Beylage.
Le
23.
aout.

20
Ma lettre écrite et fermèe je reçus hier au soir la votre du
20
; j’en ai

21
Ma lettre…
dt. Als mein Brief geschrieben und verschlossen war, erhielt ich gestern Abend den Ihren vom 20.; ich habe es dem Erbprinzen gemeldet, der geneigt zu sein scheint, Herrn Haman als Ludwigs Erzieher anzunehmen, ich hoffe, dass er bei all seinen Talenten in der Lage sein wird, einen Teil seiner Wissenschaft mit Leichtigkeit an meinen Sohn weiterzugeben, teilen Sie mir also, mein Herr, die Bedingungen mit, die man ihm bieten müsste; gebe Gott, dass dieser Mann so ist, wie ich ihn wünsche, um den moralischen Charakter meines Kindes zu formen.
rendu compte au pr. hered: qui paroit porté à prendre le S
r
Haman

22
pour instructeur de Louis, j’espere qu’avec tous les talens qu’il possede

23
il aura celui d’enseigner avec facilité une partie de ses Sciences à mon

24
fils, marqués-mois donc Monsieur les Conditions qu’il y auroit à Lui

25
faire; Dieu veuille que cet cet homme soit tel que je Le desire pour

26
former le Caractere moral de mon Enfant.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II (28).

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VIIIa 164–169.

ZH II 226–230, Nr. 254.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
226/30
Ew
]
Geändert nach Druckbogen 1940; ZH:
Ew.