146
338/18
den
5 Junius. 1759.

19
Herzlichgeliebter Freund,

20
Brief
nicht überliefert
Ich habe Ihren Brief gestern erhalten, und sehe selbigen als das

21
schätzbarste Denkmal Ihrer Redlichkeit. Was für ein Göttlich Geschenk ist

22
Freundschaft, wenn sie alle die Prüfungen aushält, die unsere schon durchgegangen,

23
und wenn alles dasjenige, was auf ihre Vernichtigung zu zielen scheint, nichts

24
als Ihre Läuterung und Bewährung hervorbringt. Sie ist alsdann eine Frucht

25
Joh 14,16
u.ö.
des Geistes, der auch
Freund
und Tröster heißt. Er, den wir nicht sehen, ob

26
er gleich mit uns, in uns und unter uns ist, Er, der den Raum füllt, der uns

27
beyde von einander trennt, wolle unsere Herzen auch seinen Gruß hören laßen:

28
Friede sey mit Euch! uns senden zu seinem und seines Vaters Geschäfte und

29
unser ganzes Leben mit der Würde und Treue seiner Gesandten und

30
Botschafter uns führen
hei
laßen. Er laße uns auch durch das Blasen seines Athems

31
– so verborgen uns auch der Aus- und Hingang deßelben bleiben wird und

32
seyn möge – den heiligen Geist hinnehmen, und in Kraft deßelben Sünde

33
erlaßen
, und die Vergebung derselben d
ie
enjenige zu genüßen
laßen

34
geben, denen wir sie erlaßen,
und
Sünde hingegen behalten, und den Zorn

S. 339
derselben diejenigen
t
schre
ff
cken laßen, denen wir sie behalten. Dieses

2
schrieb am letzten Tage des Festes, welcher der herrlichste war.

3
Wie schlecht verstehen Sie mich noch, Liebster Freund, wenn Sie sich im

4
Ernst Mühe geben sich gegen mich zu rechtfertigen. Wenn nur
zwischen
von

5
uns
die
beyden die Rede wäre, so sind Sie in jedem Stück gerechter als ich;

6
so haben Sie die größte Freyheit und Befugnis mir alle mögliche Vorwürfe

7
zu machen; die ich nicht anders als mit Stillschweigen und Schaam zu

8
beantworten wüste. Ich bin der vornehmste unter den Sündern, sagte der gröste

9
Apostel; nicht ich war, sondern ich
bin es noch
. Und in dieser Empfindung

10
seiner Schwäche lag eben die Stärke des Trostes, den er in der Erlösung

11
genoß. Was kann uns mehr drücken und unser Gewißen mehr beschweren als ein

12
unzeitiger Eyfer für Gott, ein unreifer
Enthusiasmus.
Gott! Dein Name

13
wird durch selbigen mehr gelästert als geheiligt, Dein Reich mehr

14
aufgehalten als die Ankunft deßelben befördert pp. Wie
feyerlich
übergab er im ersten

15
Briefe einen öffentlichen Sünder dem Satan zum Verderben des Fleisches.

16
Wie ungleich ist er sich im andern Briefe, da er seine Gemeine
ermahnet
,

17
daß sie diesen Bösewicht
trösten
sollten – War dies Leichtsinn? oder ein

18
Wiederspruch fleischlicher Anschläge, die aus seinem Temperament floßen?

19
Nein; daß ich euch in so einem harten und seltenen Ton geschrieben, das ist

20
nicht geschehen um des willen der beleidiget hat – auch nicht um des willen, der

21
beleidiget worden, sondern darum, daß eure
Neigung, euer Herz gegen uns

22
offenbar würde vor Gott
. Gott wollte versuchen, was in meinem Herzen

23
die Liebe Christi gegen euch für Bewegungen hervorbringen würde, und was

24
die Liebe Christi in euch gegen uns hervorbringen würde. Denn der Lohn, der

25
einen der Geringsten im Namen seines Meisters aufnimmt, ist bey Gott hoch

26
angerechnet, wenn die Sache auch die geringste Kleinigkeit beträfe. Was für

27
ein Gemisch von Leidenschafften hatte dies in dem Gemüthe Pauli so wohl als

28
der Corinther zu wege gebracht? Erschrecken Sie nicht liebster Freund!

29
Verantwortung, Zorn, Furcht
, Verlangen, Eyfer,
Rache
. Wenn der natürl.

30
Mensch 5 Sinnen hat; so
ha
ist der Christ ein Instrument von 10 Sayten.

31
Und ohne Leidenschaften einem klingenden Ertz ähnlicher als einem neuen

32
Menschen. Kein beßer Schwerdt als Goliaths; so braucht der Christ die
Ironie

33
um den Teufel damit zu züchtigen. Diese Figur ist die erste in seiner Redekunst

34
gewesen; und mit dieser Figur führte Gott die ersten Eltern zum Paradiese

35
heraus; nicht sie sondern ihren Verführer damit zu spotten. Für
die
ersten mag

36
dieser Einfall vielleicht damals verloren gewesen seyn, oder sehr dunkel

37
geblieben, wenn ihn der Glaube nicht aufgeklärt; der letzte mag ihn zu seiner

S. 340
Unruhe mehr nachgedacht haben. War Goliath nicht so witzig als die schönen

2
Geister oder die großen unserer Zeit: Bin ich ein Hund pp. Der Prügel that

3
Gewehr
Waffe
ihm nichts, sondern die Schleuder, und sein eigen Gewehr.

4
Zur
Unzeit reden
. So zerbrach ein Weib ein Glas mit köstl. Waßer zur

5
Unzeit und ärgerte die Jünger mit ihrem Unrath. Die Weiber, die aber frühe

6
aufgestanden waren, glaubten die
rechte Zeit
getroffen zu haben. Die Engel

7
sagten ihnen aber: Was sucht ihr den Lebenden unter den Todten.

8
Ich führe das bloß an, um von weiten zu zeigen, wie mislich unser Urtheil

9
ist, über das, was uns
Unzeit
und
Unrath
vorkommt. Daß
selbst
Jünger

10
Christi hierinn falsch denken, und daß alles, was im Glauben geschieht, Gott

11
gefällt, daß es im geistl. schwer ist die Geister zu prüfen, da es in natürl.

12
Dingen so öfters den scharfsinnigsten Kennern mislingt pp Daß wir alle diese

13
Künste nicht nöthig haben, wenn wir glauben, daß alle Dinge denen, die

14
Gott lieben, zum Besten dienen müßen, und nicht Zeit nicht
Zeug
was wieder

15
uns ausrichten kann; daß Sünde Tod und Teufel in den Händen und der

16
Gewalt desjenigen sind, der Leben und Gnade auszutheilen hat.

17
Du, du
schaffest
es
alles
, was ich
vor
oder
hernach
thue. Kein
Wort

18
auf meiner Zunge, das Du Herr! nicht wißest. Du
zählst
meine
Flucht
,

19
Du sammlest meine Thränen – Solches Erkenntnis ist mir zu wunderlich

20
und zu hoch – –

21
Ich weiß, daß ich über der Abgötterey des Volkes die Tafeln des ganzen

22
Gesetzes zerbrochen habe – und daß mir Worte entfahren sind – und daß ich

23
mit unreinen Kleidern vor dem Engel stehe, und daß ich mein Gewand

24
besudelt, da ich in meinem Zorn gekeltert und in meinem Grimm zutreten,

25
und daß ich mich
so
vieler fremden Sünden theilhafftig gemacht – Desto

26
größer aber die Gnade; und je mehr Vergebung, desto mehr Liebe.

27
Sie haben mir einen Gefallen gethan, Liebster Freund, in Entdeckung

28
einiger Gloßen, mit denen Sie bisher so zurückhaltend gewesen. Hätten Sie

29
nicht dies mit lauterer Freundschaft ehe thun können; ist Ihnen an der

30
Wahrheit nicht ehe gelegen, als biß Sie durch Empfindlichkeit zum Geständnis und

31
zum Zeugnis gebracht werden müßen. Je mehr ich Ihren Brief lese, desto

32
mehr bewundere ich ihren Witz, mit dem Sie sich in meinen Schwung zu

33
setzen wißen. Ich weiß, wie natürlich Ihnen dies ist, und daß Sie bald beßer

34
allegorisi
ren würden wie ich. Gott hat mich zum
bibelfesten
Mann gemacht

35
– Aus ihrem Munde sollen Sie gerichtet werden. Und Sie werden bibelvest

36
um mich zu versuchen, und richten Sich Selbst, indem Sie mich anklagen.

37
Ich soll Ihnen beweisen, daß ich in
aller
meiner bisherigen Aufführung

S. 341
alles
Recht auf
Ihrer
meiner Seite gehabt. Und wenn ich
wüste
, daß ich

2
Gottes Sohn wäre
, was darf ich den
Wiedersacher Beweise
davon

3
führen. Ist es meine Schuld, daß Gott irdische, schwache Gefäße zu seinen

4
Werkzeugen wählt, die durch
ihre Thorheit
die Weisheit der Schriftgelehrten zu

5
Schanden machen soll.

6
Ich soll
Göttl
. und
Menschl
. Dinge unterscheiden. Die gröste Stuffe des

7
Gottesdienstes, den Heuchler Gott bringen, besteht in der Verfolgung wahrer

8
Bekenner; und der Christ thut alles in Gott; Eßen und Trinken, aus einer

9
Stadt in die andere reisen, sich darinn ein Jahr aufhalten, und handeln und

10
wandeln, oder darinn stillesitzen und harren sind göttl. Geschäfte und Werke.

11
Wer Arges thut, haßet das Licht – Wer Wahrheit liebt, kommt an das Licht,

12
daß seine Werke offenbar werden – denn sie sind in Gott gethan.

13
Laßen Sie mir meinen Stoltz in den alten Lumpen. Diese alte Lumpen

14
haben mich aus der Gruben gerettet, und ich prange damit wie Joseph mit

15
Verfälscher
Vgl.
Hamann,
Sokratische Denkwürdigkeiten
, SD S. 22/11–23, N II S. 67/15–23, ED S. 31f.
seinem bunten Rock.
Alexander
dachte edler als der Verfälscher der

16
Socrati
schen Weisheit. Sturm, Affekt, Bitterkeit, Wuth, als es nützlich ist. Ihr

17
Urtheil soll also die Wage seyn. Thun wir zu viel, so thun wirs dem Herrn; sind

18
wir mäßig, so sind wir euch mäßig. Verflucht sey, wer des Herrn Werk

19
nachläßig treibt, Verflucht sey, der sein Schwert aufhält, das nicht Blut vergüße.

20
Haben Sie nicht Galle, Saltz, Affekt, da es ihre Haut galt. Würden Sie über

21
Schmerzen
an einigen Stellen klagen, und meiner Hand das zuschreiben, was

22
der Eiter in
eu
Ihren Beulen thut. Myrrhen sind von Natur bitter, sie

23
schmecken wie Galle, aber ich habe nicht nöthig gehabt die meinigen damit

24
aufzukochen. Sturmwinde, die des Herren Wort ausrichten.
Ψ
. 148, 9. Der Sturm

25
weiß freylich nicht, was er thut, aus deßen Munde er kommt, hat ihn in

26
seiner Gewalt.
Jer. VIII.
Herr, du hast mich überredet – Sint ich geredt, ist

27
mir des Herrn Wort zum Spott worden – –
Jer. XX.

28
Paule! Du warst nicht
schuldig
. Welcher Teufel setzt den Leuten im Kopf,

29
daß ich sie mit Sprüchen bezahlen will, mit dem letzten Heller, den mir Gott

30
und mein Vater auf der Welt geben wollen. Warum muste Moses an einem

31
Hofe gehen, wo er alles Gute genoßen hatte, fürstl. auferzogen war, wo er als

32
ein Mißethäter, der einen Egypter tod geschlagen, erscheinen muste. Worinn

33
bestand sein Beruf: Ich will Dich zum Gott über Pharao machen – Aaron

34
soll Dein Mund seyn. Rede ich meine Worte – Nein ich nehme es nicht von

35
dem Meinigen. Suche ich meine Ehre – es ist aber einer, der sie sucht –

36
War es Mahomet, ein Mensch, von dem Moses sagte: Einen Propheten wie

37
mich
aus euren Brüdern
. Er braucht ja Menschen ihn vorzustellen, und

S. 342
wie er Selbst kam, nahm er die Gestalt des sündlichen Fleisches an. Auch

2
verklärt
, hatte Er Fleisch und Bein, wie sie es sahen und fühlen konnten.

3
Freylich hab ich gesagt: Ihr seyd Götter – aber ihr werdet sterben wie

4
Menschen und wie ein Tyrann zu Grunde gehen.

5
Antworte ihnen – aber antworte ihnen nicht; sagt mir mein
Genius.
Aus

6
Deiner närrischen Antwort sollen sie sehen, daß ihre Fragen Narrheiten sind.

7
Was sind das für Fragen: Du lehrst den Weg Gottes recht. Christus ist die

8
Thür
Joh 10,7
Thür, und nicht Moral, bürgerl. Gerechtigkeit, freundschaftliche

9
Dienstbeflißenheit, Menschenliebe – Du siehst nicht das Äußerliche des Menschen an.

10
Ist es recht, daß man dem gemeinen Wesen, seiner Familie, seinen Bürgern,

11
seinen Brüdern diene. Soll ich sagen: Ihr Heuchler! Das kann Gott thun durch

12
sein Wort und seinen Geist, ich nicht, ich bin selbst einer. Soll ich Menschl. und

13
Göttl. Handlungen
distingui
ren; so sagt
χ
stus: Ihr seyds, die ihr euch selbst

14
rechtfertiget für den Menschen aber Gott kennet eure Herzen. Was hoch ist

15
unter den Menschen, das ist ein Gräuel vor Gott.
Luc. XVI.
15. Was Göttl.

16
gut, weise ist, dafür eckelt Gott und dem Geiste Gottes als für Menschendreck,

17
Thorheit pp. Ihr irrt, ihr verschreibt euch – wir wollen uns beyde
Gottes

18
Regierung so wie dem Taumel
der Welt empfehlen. Ihr seyd die kleinen

19
Füchse, die meinen Weinberg verderbt. Durch euch will ich mich eben an meinen

20
Feinden rächen. Keine Niederträchtigkeit, biß auf diejenige, die Simson zu

21
Timnath
Ri 14,5
Timnath begieng, soll mich abschrecken mich an den Philistern zu rächen.

22
Mein Vater und Mutter, meine Freunde und Brüder wißen es nicht, daß es

23
vom Herren
ist
war p.
Jud. XIV.
4.

24
Ich habe Gift im Munde – Was hilft euch eure Butter im Munde, wenn das

25
Herz Gift kocht. Ich antworte euren Gedanken, nicht euren Ausdrücken. Ich

26
richte mich nach euren Schalksaugen, nicht nach der Lage, in der ihr die Klinge

27
anlegt.

28
Sara lachte, Abraham lachte; die erste wurde darüber zur Rede gestellt,

29
bey dem letzten war es eine Freude seines Glaubens, oder wurde ihm

30
wenigstens von Gott nicht zur
Sünde gerechnet?
Warum? weiß ich nicht. Es

31
stehet geschrieben, wuste der Versucher auch; und Ahas war bescheiden, da er

32
sprach: Ich will kein Zeichen fordern – Was sagte der Prophet: Ists euch zu

33
wenig, daß ihr die Leute beleidiget, müst ihr auch meinen Gott beleidigen.

34
Jesaias drung sich vielleicht, da er sprach: hie bin ich, sende mich. Und Gott

35
sprach: Gehe hin und sprich zu diesem Volk – – Worte, von denen der

36
Weltmann
nicht versteht, wie sie
hieher gehören
.
Jes. VI.
9. 10. Laßt sie

37
immerhin
nichts
vernehmen – es kommt der Geist der
Erinnerer, der Tröster
, der

S. 343
die Welt
strafen
wird – Er lehrt seine Zeugen
wie?
und hernach was sie

2
sagen wollen. Er richtet sich nach dem Geschmack der Menschen, die immer

3
mehr auf die
Art
als die
Sache
selbst sehen, und durch die erste mehr als die

4
letztern
bewegt werden.

5
Die Leute haben niemals die Bibel gelesen – und daß sie sie jetzt nicht lesen

6
werden, soll
mich
mein Misbrauch derselben daran schuld seyn. Durch das

7
Grabmal, das Sie mir bauen, und durch die Ehre die Sie meinen Knochen,

8
meinem Staube, meiner Asche anthun, rechtfertigen Sie also ihre

9
Verschwörung gegen mein Leben.

10
Mach dich auf, zeuch mit den Männern – sagte Gott zu Bileam. Der

11
Prophet war gehorsam, und doch ergrimmte der Zorn des Herren über ihn, weil

12
sein Weg verkehrt war. Die Eselin wird scheu; hatte sie nicht Ursache

13
Geben
Gaben,
2 Petr 2,15
auszuweichen, sie sahe was der
Mann von
Geben
nicht
sahe, der den Lohn der

14
Ungerechtigkeit liebte.
E
Sie drückt ihm den Fuß, weil sie nicht anders konnte

15
an
der Mauren der Weinberge
– Er laß ihr einen neuen Text aus der Moral,

16
mit der man Roß und Mäuler zieht. Jetzt fällt sie auf die Knie, da kein

17
Weichen statt hatte – Beten willst du, rief der Prophet, gehen sollst du. Du
hörst

18
mich. Wie beweglich fieng die Eselin an zu reden und ihm die Dienste

19
vorzustellen, die sie ihm als
Eselin
gethan hatte. Philosophen wundern sich nicht,

20
daß Thiere reden; so dumm ihnen ihre Sprache auch vorkommt, laßen sie sich

21
doch zu einem kurzen Gespräch mit ihnen ein. Und der Engel des Herrn sprach

22
zu ihm: Warum hast du deine Eselin geschlagen dreymal. – – Als Könige

23
noch auf Eseln ritten, und kaltes Blut die erste Tugend der Helden, selbst der

24
cholerischen war, so prangten sie in den
Metaphern
der Dichter. Jetzt würde

25
das eben so abgeschmackt seyn als mit einem begeisterten Apostel über so eine

26
weltliche
und
bürgerl
. Sache als der
Kopfputz des Frauenzimmers
ist,

27
Gründe aus der Geisterlehre und Recht der Natur zu klügeln.

28
Bin ich nicht furchtsamer, wie Sie, Liebster Freund! Wankelmüthiger wie

29
Sie? Habe ich mich in das Haus meiner Freunde eingeschlichen oder

30
aufgedrungen? Wie sollte ich mir denn jetzt in unendlich höhere Angelegenheiten

31
aus eigenem Durste mischen. Meynen Sie nicht, daß zu dem Werk

32
außerordentliche Prüfungen nöthig sind, Offenbarungen göttlicher Kräfte und

33
Fäustenschläge des Satans – Unser Leben ist verborgen – Es ist noch nicht

34
erschienen, was wir seyn werden. Davon weiß kein Agrippa, kein
beynahe

35
ein Christ
. Die Furcht für die Christen ist das Uebel was einen Jünger Christi

36
druckt, wie damals die Furcht für die Juden. Die Namen werden bloß

37
verändert, die Sache ist dieselbige. Der Schauplatz 1000 Jahre ist nur bloß von

S. 344
dem Gemälde eines einzigen Tages dem Raum dem Maasstab und andern

2
zufälligen Bestimmungen nach unterschieden. Wenn wir wie
Anacreons
mit

3
den Lüsten des Lebens scherzen, so kann uns vielleicht auch ein Stein von

4
seinem Gewächs einmal unvermuthet ersticken.

5
Und wenn ich noch so ordentlich, noch so gründlich und bündig denken

6
könnte und meine Gedanken aufsetzen: so wird mir Gott Gnade geben mich

7
deßen so viel möglich zu entäußern – Soll nun meine Vernunft das Licht

8
seyn, darnach sie sich richten sollen. Das wäre gefährlicher als da sie jetzt ihre

9
eigene zur Richtschnur und Bleygewicht Göttlicher Wege machen. Ein Narr

10
achtet das nicht und ein Thörichter
glaubt es
, wie tief Gottes Gedanken und

11
wie groß ihre Summe gegen uns ist. Ist das mein Wort – oder predige ich es

12
aus Neid. So mag mich Gott dafür züchtigen; ich weiß aber daß Seine

13
Barmherzigkeit Sein Name ist, und Gnade Seine Gerechtigkeit. Wer Sie ängstiget,

14
ängstiget Ihn heist es; wer sie erbittert, erbittert ihn. Ich weiß, daß ich

15
unnütz bin, aber es ist Sünde auch über den geringsten Racha! auszuschreyen.

16
Gott kann uns Narren schelten aber kein Bruder den andern. Ich predige nicht

17
Länge
Mt 6,27
in Gesellschaften, weder Catheder noch Kanzel würden meiner Länge etwas

18
hinzufügen. Eine Lilie im Thal und den Geruch des Erkenntnißes verborgen

19
auszuduften, wird immer der Stoltz seyn, der im Grund des Herzens und dem

20
innern Menschen am meisten glühen soll.

21
Wenn es auf eine Rechtfertigung ankäme, so könnte ich Gott dafür danken,

22
daß er mir eine Aufmerksamkeit und Gegenwart auf feine Gegenstände

23
gegeben, die in seinem Licht am meisten erkannt werden und die er durch ihre

24
Beziehung auf mich und andere nicht ohne Frucht seyn laßen, wenn sie gleich

25
übersehen werden.

26
Alphonsus
Alfons X. (1221–1284), König von Kastilien, der die Ptolemäischen Planetentafeln verbessern wollte; etwa in Zedlers
Universallexikon
überliefert,
Bd. 1, Sp. 1345
: „wenn ihn Gott zur Erschaffung der Welt mit gezogen hätte, wolte er vieles anders gemacht haben.“ Leibniz benutzt die Anekdote in
Von dem Verhängnisse
; Hamann kannte sie aus
Rapin,
Les Reflexions sur l’eloquence
, die er übersetzte (
Hamann,
Rapin
, N IV S. 119), und bezieht sich auch in
Hamann,
Biblische Betrachtungen eines Christen
, LS S. 68/9, darauf. In
Knutzens
Systema Cavsarum Efficientivm
(1745, S. 115) taucht sie auf, wie auch in
Lilienthals
Wahrscheinliche Vorstellung der Geschichte unsrer ersten Eltern im Stande der Unschuld
(1722, S. 513).
HKB 169 ( I 447/18 )
Ich weiß daß es meinen Freunden wie dem Alphonsus geht, der ein falsches

27
vgl.
Hamann,
Biblische Betrachtungen eines Christen
, LS S. 68/9 u.
Hamann,
Sokratische Denkwürdigkeiten
, SD S. 28/8, N II S. 70/26, ED S. 41
Schul- und Zeit-
System
für den Plan der Natur ansahe, und durch diesen

28
Irrthum sich klüger dünkte als der Baumeister. Unglaube ist Unwißenheit;

29
eine Finsternis die durch nichts als das Wort am Anfange Licht! werden kann

30
– daß unser Evangelium verdeckt ist in denen, die verloren werden, bey

31
welchen der Gott dieser Welt der Ungläubigen Sinne verblendet hat. Nicht

32
Geb
evtl. Geblütes;
Joh 1,13
der
Wille des Geb
nicht der Wille des Fleisches, nicht der Wille des Mannes

33
– sondern aus dem Thau der Morgenröthe und von Gott müßen wir geboren

34
werden. Kinder sind eine Gabe Gottes; seine eigenen vor allen andern.

35
Joseph
mit Maria verlobt seyn, er muß ihr aber nicht zu nahe kommen;

36
sondern der heilige Geist muß sie überschatten. Dieser Geist der Liebe sucht

37
Ob Hamann die petrarkistische Motivik dieser Zeilen einem best. Text entlehnt hat, konnte nicht ermittelt werden.
die Einsamkeit gleich irdischen Liebhabern, das dunkle, die Schatten, das

S. 345
Geheimnis. Er spricht durch
Blicke
, durch
Winke
, und Seufzer. Die Spiele

2
seines Witzes sind
gleich
den Namenszügen, die beym ersten Schnitt der

3
Rinden kaum ins Auge fallen, und mit den Jahren der Bäume auswachsen, daß

4
vorüber […] kann
Hab 2,2
jeder der vorüber läuft, sie lesen kann. Fern vom Weltgetümmel, wo Stille,

5
Ruhe, Friede, Liebe und Einigkeit herrscht


6
2. Str. des Kirchenliedes „Wer recht die Pfingsten feiern will“ von Ernst Lange (1650–1727)
Da ist sein Tempel aufgericht

7
Da dient man Ihm nach rechter Pflicht

8
Da giebt er Klugheit und Verstand

9
Da wird der
Sprachen Grund
erkannt

10
Der Zungen Feuereyfer glimmt.

11
Er zeigt, was
niemand sonst
vernimmt.

12
Schenkt das
Vermögen auszusprechen

13
Was der
Vernunft
, dem Witz
der Frechen

14
Und aller
List

15
Zu
mächtig ist
.


16
Ich habe im Schweiß meines Angesichtes an diesem Brief gearbeitet; Sie

17
werden in eben der Ordnung denselben lesen müßen. An dieser
tumultua
rischen

18
Antwort des Ihrigen werden Sie sich begnügen, und mir unter allen

19
Gestalten Ihre Freundschaft zu erhalten suchen, die mir immer verehrungswürdig

20
Moses
4 Mo 12,3
und theuer seyn wird. Moses war der sanftmüthigste Mann und der Apostel

21
Donnersohn
Mk 3,17
der Liebe hieß der Donnersohn.

22
Wulf
hat heute Abschied genommen; ich habe ihn nicht besucht auch seine

23
Frau nicht kennen gelernt.
Wolson
kennt mich nicht mehr und flieht mich als

24
Miethling
Joh 10,12
Staub
Mt 10,14
einen Miethling, als einen abentheuerlichen, der den Staub von seinen

25
Schuhen schüttelt und davon geht. Lauson hat mir diesen Einfall aus Ihrem

26
Briefe an
Wolson
vorgesagt – Ich glaube nicht, daß Sie an mich dabey

27
gedacht haben; unterdeßen ist dieser willkürl. Misbrauch und Deutung auf

28
Metromanie
bez. im Franz. auch Nymphomanie; hier ist aber wohl Schreibwut gemeint.
mich geschehen. Ich habe mit letzterm mehr Umgang. Seine
Metromanie

29
Fürst
Dass mit der Anspielung auf
Joh 12,31
Friedrich II. gemeint ist, ergäbe sich aus Lausons Panegyrik, etwa im 1763 erscheinenden Preisgedicht
Paean. Friedrichs Palmen geheiligt
(Königsberg: Kanter)
ist vorbey oder schläft wenigstens: Der Fürst dieser Welt kommt und hat nichts

30
Anspielung auf den Siebenjährigen Krieg, die Schlacht bei Kay stand kurz bevor (Juli).
an mir. Wenn er nicht bald das Gleichgewicht in Europa herstellt; so wird die

31
Noth des Staats all unser Gold und Silber ausfegen. Ich umarme Sie und

32
wünsche Ihnen Gesundheit, Friede und Freude.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (37).

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, I 391–399.

Paul Konschel: Der junge Hamann. Königsberg 1915, 125–133.

ZH I 338–345, Nr. 146.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
343/4
letztern
]
Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955):
lies
letztere

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): letztere
343/13
Mann […] nicht]
ZH:
Mann von Geben [?] nicht
Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955):
lies
Mann von Gaben nicht

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): Mann von Gaben nicht
344/10
glaubt es
]
Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955):
lies
glaubt es
nicht

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): glaubt es
nicht
344/32
Wille des Geb
]
Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955):
lies
Wille des Geb
lütes

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): Geb
lütes