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Geliebtester Freund,
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Sie erhalten einen zurück, den ich immer um mich zu haben wünsche.
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Erinnern Sie sich meiner in Ihren vertrauten Gesprächen, und qvälen und
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lieben Sie sich, wie es zärtlichen Eheleuten und Freunden zukommt.
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Ich habe Ihnen unzählich viel zu schreiben. Abbitte, Ehrenerklärung und
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was Sie wollen. Es hat mir an Angst so wenig als Ihnen Selbst gefehlt.
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Hat es nicht eben dies unsere Mütter gekostet – und doch waren sie uns gut,
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so bald wir da waren – ja vergaßen solche, und gaben uns Brüder, die Ihnen
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eben so theuer zu stehen kamen. Sie haben selbst schlecht von sich gedacht –
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Sie sind unwillig auf Sich selbst gewesen – Daher kommt die Voraussetzung
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in Ansehung meiner. Ich kenne diese Modefiguren. Ich unterstand mich nicht
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Briefe
nicht überliefert
so laut als Ihr Herr Bruder von dem Briefe des ältesten Barons zu denken,
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den ich weder lesen noch verstehen können, daher auch nicht beantworten kann.
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Er glaubte Galle darinn zu finden – ich wiedersprach ihm ohne ihn
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polypragmasie
sinnlos wechselnde Deutungsansätze
wiederlegen zu können. Er machte mir den Einwurf einer
polypragmasie,
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Nasenweisheit, Oberklugheit und Obergerechtigkeit, eines Sichelgebrauches auf
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fremden Ackern – – kurz alle die vernünfftige Gründe, die dem David von
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seinem älteren Bruder geschahen, wie er sich um Dinge bekümmerte, die ihn
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Zuschrifft
nicht überliefert
nichts angiengen – – Sie haben sich durch Ihre letzte freundschafftl. Zuschrifft
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gegen Ihren Herrn Bruder
legitimirt,
und mir Muth und Herz eingeflößt.
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Ich danke Ihnen dafür, daß Sie diese Probe meiner Freundschafft
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auswendig …
2 Kor 7,5
ausgehalten haben. Man fühlt als ein Christ tägl. was Paulus sagt: auswendig
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Streit, inwendig Furcht. Die Kinder sind da, klagte Hiskias, aber es fehlt an
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Krafft sie zu gebähren. Er klagte nicht umsonst, sondern erhielt eine entzückte
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Liebeserklärung wie eine junge Buhlerinn von einem alten Liebhaber vom
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Manne erwarten konnte, an statt einer Antwort. Die Gedanken und
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Empfindungen zittern und beben darinn, so wuste der Prophet die Freude Gottes
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nachzuahmen und sinnlich zu machen.
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Ich bin jetzt unendlich mehr gedemüthigt durch einen, der mir am nächsten
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ist. Gott sey uns allen gnädig! und vergebe uns die Sünden unserer guten
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Absichten und guten Werke. Es muß ja – – es muß ja Aergernis kommen.
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Spies
1 Sam 19,10
So unvermeidlich dies ist, so wahr ist das Wehe! Gott Lob! daß dieser Spies
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nicht uns sondern die Wand trift. So viel ich auch leide v. noch leyden solle,
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Hi 27,6
u.ö.
so laße er mir den Trost derjenigen Gerechtigkeit, auf welche Hiob pochte – –
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Ich werde mich so gut schicken wie ich kann. Sehen Sie auf nichts als auf
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Brief
nicht überliefert
das Buchstabieren des ältesten Barons. Das ist alles. Sein eigener Brief ist
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Abschrift
abscheulich geschmiert, ich mag an den nicht denken. Die Abschrift meines
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ersten Briefes ist eben so voll Fehler und ohne Unterscheidungszeichen, ohne
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allen Augenmaas. Da Sie mir jetzt ein wenig Luft gemacht haben, will ich
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sehen, wie ich ihn am Besten ankommen kann. Ich weiß noch selbst nicht;
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so viel weiß ich, daß ich weder schonen noch hinken kann; so viel weiß ich, daß
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man so am sichersten fährt, wenn es auch noch so schief geht.
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Folgen Sie meinem Rath – laßen Sie Leßinge und
Rapine
liegen. Geben
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Sie Ihr Geld, (Kräffte und Zeit) nicht für Dinge aus, die kein Brodt sind.
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Gehen Sie zu Ihrer
Theologie
zurück, und bleiben Sie in Ihrem Beruff.
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Der Arbeiter sind wenig und die Erndte ist groß. Hören Sie Jakobs Stimme
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und laßen Sie sich durch Esaus Hände nicht irre machen. Es steht bey Ihnen
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mich zu richten – – ich mache mich aus dem Urtheil der Menschen nichts, sagt
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der Apostel. Ich weiß daß ich mich selbst verdamme – – immerhin, wenn es
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nicht anders seyn kann, es kann mir auch nicht schaden, nicht Sie, nicht mein
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Nächster, nicht ich selbst, sondern der Herr ist Richter. So werden wir durch
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dasjenige aufgerichtet was uns niederschlägt und durch den getröstet, der
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uns betrübt.
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Verzeyhen Sie mir, liebster Freund, schreiben Sie mir fleißig. Ich bin Ihr
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aufrichtiger Freund v Diener.
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Hamann.
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Adresse mit rotem Lacksiegelrest:
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à Monsieur / Monsieur Lindner / Candidat en Theologie / à /
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Grunhoff. / par ami.
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 4 (1).
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, I 328–331.
ZH I 280–282, Nr. 130.