127
272/6
Lieber Herr Baron,

7
Ich weiß die Zufriedenheit mit Ihrem letzten Briefe nicht beßer

8
auszudrücken
als durch eine geschwinde Beantwortung deßelben. Wegen der Aufnahme

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meines letzten Packs bin etwas besorgt gewesen, weil ich weiß, daß man mit

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den besten Absichten zuweilen in der Art selbige zu erreichen sehr ungeschickt

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oder unglücklich seyn kann. Sie werden recht wohl thun sich immer zu

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erinnern, daß Sie vermöge Ihres Standes Gott, dem Nächsten und sich Selbst

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Pflichten schuldig sind und in der Ausübung derselben Ihren Ehrgeitz und

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Ihre Wollust setzen.

15
Brief
125
u.
126
Ich habe Sie ersucht, Lieber Herr Baron, diejenigen zwo Briefe ins reine

16
zu schreiben, mit Verbeßerung meiner Fehler, und mir selbige mit Ihrer

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Unterschrift zuzuschicken, falls Sie solche derselben nicht für unwürdig

18
erkennen, und bitte Sie nochmals darum, weil ich Ihnen von dieser Mühe

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einigen Nutzen versprechen kann. Sie werden darinn auf eine reine

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Rechtschreibung sehen, und ihre Hand so abzumeßen suchen, daß Sie mit jeden

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auf einem halben Bogen auskommen, wie ich es gethan. Die Frage vom

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Beruff möchte jetzt zu unserer Materie hinlänglich erschöpft seyn. Wir wollen

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also auf den Edelmann jetzt kommen, und ich erwarte davon Ihre Gedanken

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nach Gelegenheit, wenn Sie mit der ersteren Arbeit fertig sind, nämlich,

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die beyden ersten abzuschreiben.

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Jetzt will ich noch einige nichtsbedeutende Anmerkungen über Ihr letztes

27
Schreiben
nicht überliefert
Schreiben auf das Papier werfen.

28
„Was der Beruf sey, so ist selbiges – – Das erste ist kein Deutsch, man sagt

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beßer, was den Beruf anbelangt, oder betrift. Das letzte ist ein polnischer

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Druckfehler. Beruff ist männlichen Geschlechts, es muß daher heißen, selbiger.

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Sie werden auf der gleichen handgreifliche Schnitzer sich bey Zeiten gewöhnen

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Acht zu haben, weil solche ein deutsches Ohr sehr beleidigen.

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Nächste kommt von nahe her. Sie haben also Unrecht Nechster zu schreiben.

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Commata
werden Sie gehörig anzumerken suchen. Es sind ein Dutzend in

S. 273
Ihrem Briefe ausgelaßen; die
Puncta
stärker zeichnen. Es dient so wohl zur

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Zierde als zum Verstande.

3
„Folglich ist es
ein
der Grund zu einem wahren Beruf, welches auch ein

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kurländischer von Adel auszuüben „schuldig ist“ – – Wenn das:
welches
auf

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Beruf geht, so ist es der schon oben angemerkte Fehler. Geht es aber auf alles

6
vorhergehende, so ist es gleichfalls undeutlich und übellautend.

7
Wie aber diese drey Theile in eines wahren Erfüllung zu bringen,
comma

8
– oder
Semicolon.
Hier ist entweder etwas ausgelaßen oder verschrieben.

9
Namen und Ort mit deutschen Buchstaben. Der Monath November wird

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mit keinem
w
geschrieben; sondern mit einem
v.
Sollten wir nicht schon lange

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über dergleichen Kleinigkeiten hinweg seyn? Und wird es uns nicht leicht

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werden denken zu lernen, so bald wir im stande seyn werden aufmerksam zu

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seyn? Was können wir von unserm Verstande fordern, wenn uns unsere

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Sinnen nicht ein mal gehören? Diese 3 Fragen laßen Sie sich nicht umsonst

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geschehen. Sie füllen das übrige Leere meines Briefes aus.

16
Ist es ein bloßer Gedächtnis Irrthum oder haben Sie Ursachen von der

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gewöhnlichen Rechtschreibung des Wortes überzeugen abzugehen, welches

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bey Ihnen überzeigen aussieht. Wir haben 2 Wörter im Deutschen, die einen

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sehr ähnlichen Laut haben, in der Bedeutung und Buchstabierung aber

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unterschieden sind. Zeigen, wenn es die Handlung eines Fingers, der davon auch

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seinen Namen führt, und die Vorrichtung eines Theils von der Zählscheibe

22
einer Uhr
anzeigt
bedeutet, wird mit dem i geschrieben. Zeugen aber, wenn

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es die Außage eines Menschen, der etwas gesehen oder gehört, in sich schlüßt,

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mit einem u. Wir werden am besten thun, wenn wir es bey dem alten

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bewenden laßen und das Wort überzeugen von dem letzteren herleiten. Den ich

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überzeugen will, muß von meiner Meynung abweichen. Es kommt also auf

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Gründe an, wie bey Gericht auf Zeugen, und wie fern ich meinen Gegner an

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der Menge und dem Ansehen derselben überlegen bin. Es liegt also ein sehr

29
Etymologie
in Grammatiken des 18. Jhds. wird darunter überwiegend noch das verstanden, was heute als Morphologie bezeichnet wird.
lehrreiches Bild von der Art jemand zu überzeugen, in der
Etymologie
dieses

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Worts. Man sagt aber auch überweisen, oder beweisen, wie im lateinischen

31
demonstrare et probare.
Ich könnte Ihnen noch mehr Schulfüchsereyen hier

32
sagen, die hieher nicht gehören.

33
Ich erwarte die Abschrift so gut und rein, wie Ihnen möglich. Sie werden

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sich einen Zeitvertreib daraus machen.

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Meinen unterthänigen
Respect
an Dero Gnädige Eltern beyderseits nebst

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meinen verbindlichen Empfehlungen an Dero sämtliches Hochwohlgebornes

37
Geschwister.

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Grüßen Sie Herrn Lindner, von dem ich eine Antwort und meine Bücher

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nebst Laute erwarte, um die ich neulich gebeten. Ich bin mit einer aufrichtigen

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Hochachtung und Zuneigung Gütiger Herr Baron Ihr ergebenster Diener.

4
Hamann.

5
Riga den,
28.
Octobr.
1758.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 41.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, I 325–328.

ZH I 272–274, Nr. 127.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
272/8
auszudrücken
]
In ZH am Zeilenfall nach der alten Rechtschreibung getrennt:
auszudrük-|ken