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205/12
Meyhof
Gutsbesitz der v. Wittens; wohl Meijas muiža (Maihof) in Jelgava/Mitau, Lettland [56° 39’ N, 23° 42’ O]
Meyhof den
1 Junius. 756.
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Herzlich geliebtester Freund,
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Gräfin
Apollonia Baronin v. Witten
Es ist mir heute von der Fr. Gräfin eine Gelegenheit angemeldet worden,
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die morgen abgehen soll. Ich eile um solche nicht vorbeygehen zu laßen, weil
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es mit selbigen sehr unsicher ist. So übereilend als zaudernd bisweilen für
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Brief
nicht überliefert
meine Beqvemlichkeit. Ein Brief den ich vorige Woche erhalten macht mich
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so besorgt. Mein letzteres
Couvert
v alle damit verknüpfte Unordnungen, die
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ich selbst nicht mehr weiß, wird davon gezeigt haben, daß ich nicht Zeit gehabt
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daran zu denken. Gesetzt auch so war unschlüßig über die Post selbige gehen
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zu laßen; weil ich nicht weiß was für Einlagen darinn sind. Mein Bruder
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schickt Ihnen wo ich nicht irre einige Kleinigkeiten von neuen Sachen, v
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verweist meine Neugierde an selbigen auch Theil zu nehmen auf Ihre Güte. Für
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letzt überschickte, die beyliegen danke aufs ergebenste. Alemberts Sache
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Henault
vll. etwas von Charles-Jean-François Hénault d’Armorezan, 1755 erschien von ihm
Le Réveil d’Épiménide, comédie en prose
.
scheint von keiner Wichtigkeit zu seyn. Auf den
Orphelin
v
Henault
warte mit
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Schmerzen mit dieser Gelegenheit. Vergeßen Sie nicht, Liebster Freund; ich
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verlaße mich gewiß darauf.
Terraßons Philosophie
ist ein unvergleichlich
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Hume
Hume,
Essays
;
Johann Georg Sulzer
gab die Übers. als
Vermischte Schriften
mit eigenen Anm. heraus.
Werk; ich muß selbiges franzöisch haben. Hume habe selbst. Sulzers
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Anmerkungen sind nichts weniger als überflüßig, aber nicht vollständig genung.
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Er wirft sich gar zu sehr auf die entgegen gesetzte Seite des Engländers. Für
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Wolfianer ist es sehr schwer eklecktisch genung zu seyn, so wie ein Freygeist im
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Sceptizismo
immer zu weit geht.
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Ein paar Stunden verschwatzt, Liebster Freund, so vergeht die Zeit. Ein
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Raub, über den man sich bisweilen wie ein Mädchen über einen Kuß
S. 206
beschwert. Ich befinde mich leidlich gesund. Die schlechte Witterung hat meinem
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Leib einige fieberhafte Eindrücke gegeben, die nachgelaßen; es fehlt mir
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gleichwol nicht an Stunden, wo mir mein Körper Materie zum Denken und reden
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Reise
nach Königsberg
giebt. Von meiner Reise
verspreche mir
erwarte gute Dienste wieder meine
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Hypochondrie. Ein Grund, den mir mein Vater schon angeführt. Noch bleibt
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selbige zu Ende dieses Monaths festgesetzt. Machen Sie alles so bald wie mögl.
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fertig. Wie ich nach Riga kommen kann, sehe nicht ab. HE. B. hat mir
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versprochen hieher
zu
eine Spatzierfahrt zu machen. Diese wird mich
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entschlüßen. Ich wünschte liebster Freund, wenn Sie sich mit mehr
Entschl
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Schreiben
nicht überliefert
Offenherzigkeit gegen mich ausgelaßen hätten in Ihrem letzten Schreiben.
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Ohne an mir selbst zu denken, bin ich nur für diejenigen besorgt, denen ich
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genüge zu thun verbunden bin. Weil ich dies nicht versprechen kann so sehe
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mich genöthigt Ihr Urtheil auf guten Glauben anzunehmen. Ich scheue mich
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für diese ängstliche Prüfung. Wie soll ich zu Unkosten Anlaß geben, ehe ich
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weiß, daß ich im stande seyn werde mich in diejenige Geschäfte zu finden,
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durch deren Verwaltung ich jene ersetzen kann. Sie schrieben mir, Liebster
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Michaelis
29. September
Antritt
der Arbeit für das Handelshaus Berens in Riga
Freund, daß ich biß Michaelis zum Antritt Zeit hätte. Ich richtete mich
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darnach. Von meiner Reise und der darauf folgenden Veränderung habe hier
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schon Worte gemacht. Es hat das Ansehen, daß ich mit einer ziemlich guten
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Art loskommen werde. Ich habe Sie aber biß Michaelis noch Hoffnung
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gemacht auszubleiben v folglich diesem Vierteljahr das mit Ende des Junius
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aus ist, ein drittes zuzulegen. Dies wäre alles was ich thun könnte. Mit Ihrer
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jetzigen Begegnung kann nicht anders als zufrieden seyn. Wenn sie sich nicht
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ändert, so werde alles von meinem Theil thun Sie gleichfalls durch meinen
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Abschied zu befriedigen. Ehe ich meine Eltern gesehen, möchte ich nicht gern
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Brief
nicht überliefert; wohl mit Nachricht über den schlechten Zustand der Mutter.
alles schon verabredet haben. Ich habe gestern einen Brief bekommen, der
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mich sehr traurig zu Bett trieb. Mein Vater setzt mir sehr zu bald zu kommen
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schlecht … stehen
um die Mutter
wenn ich nicht zu spät kommen will. Es muß
sehr
schlecht wieder stehen.
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Gott helf Ihnen und mir. Bitten Sie doch den HE. B. daß er wo mögl. unsere
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Pfingsten
nach dem greg. Kalender, 6./7. Juni
neue Pfingsten hieher kommt. Es wird mir zu einer großen Erleichterung
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gereichen Ihn hier zu sehen. Ich will ihn selbst schreiben. Mein Vater muß noch
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was auf dem Herzen haben in Ansehung meiner, das ich wenigstens wißen
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muß. Vielleicht kann ich auf meine eigene Hand einen kleinen Umweg nehmen,
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Johannis
, 24. Juni, in vielen baltischen Gegenden zur Sommersonnenwende am 21. Juni gefeiert.
der in unsere Entwürfe einschlägt. Neu Johannis muß ich wenigstens schon
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unterwegens seyn, das heist in 3 Wochen. Der Rückweg wird mir nicht
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verlegt werden können. Wenn ich mit einem Sekretairtitel meinen Paß nehme!
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Auch hierüber bitte mir Ihre Meynung aus. Einen Fuhrmann möchte am
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liebsten aus Riga haben. Die hiesigen sollen nicht so viel taugen. Vielleicht
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werde ich Sie ersuchen einen zu verdingen oder verdingen zu laßen.
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Erkundigen Sie sich doch wie viel HE. B. gegeben und ob ich ihn in Königsb. auf mich
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warten laße oder Hofnung haben kann einen andern dort zu finden um die
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Zeit. Ich glaube das letztere. Vergeßen Sie doch keins von diesen Punkten
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in Ihrem nächsten Schreiben zu beantworten. Vielleicht beschwere ich Sie
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Taluppe
Mantel, Überwurf
auch noch mir eine
Taluppe
einzukaufen; ich glaube mir selbige unterwegens
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nützlicher als einen Schlafrock.
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Bringen Sie Ihre Zeit so ruhig und vergnügter mögl. auf Ihrem
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Höfchen zu mit guter Wirkung für Ihre Gesundheit. Was macht Ihr liebes
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Frauchen? Ihre kleine Verdrüßlichkeiten werden zu Ihrer Zufriedenheit
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ausschlagen; zweifeln Sie nicht dran. Heben Sie mir ja den Bernis auf. Ich
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behalte ihn ganz gewis. Das halbe 100 Prophezeyungen auf das gegenwärtige
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Der große Duns
Epitheton für
Johann Christoph Gottsched
; so etwa in
Lessings
Sinngedicht „Antwort auf die Frage: wer ist der große Duns?“ (Januar 1755 in der Berlinischen Zeitung)
Jahr ist nicht uneben. Der große Duns ist ebenfalls gewaltig darinn
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mitgenommen. P. habe noch nicht gesprochen. Ich bin wenig imstande zu lesen
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noch zu arbeiten. Sie können sich dies leicht vorstellen. Meine Umstände
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beschäftigen mein Gemüth mehr als ich es selbst glaube. Schicken Sie mir
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doch das versprochene. Ich umarme Sie und nach einem freundschaftl.
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Bruder
Gottlob Immanuel Lindner
wiederholten Gruß an Ihre werthe Liebste und HE. Bruder ersterbe der Ihrige.
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Cantata
nicht ermittelt
Den 2 Junius.
Ist die schöne
Cantata
etwa aus Danzig von pp.
Veränderte Einsortierung
Die Einsortierung wurde gegenüber ZH verändert, sie erfolgt chronologisch zwischen Brief Nr. 80 und 81.
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (26).
Bisherige Drucke
Heinrich Weber: Neue Hamanniana. München 1905, 33 f.
ZH I 205–207, Nr. 78.