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HöchstzuEhrender Herr,
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Der freundschaftliche Besuch des Herrn Bruders hat mich von der
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Verlegenheit befreyt, worinn mich die Schuldigkeit einer mündlichen Abrede
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setzte, zu welcher Sie neulich so geneigt waren mich einzuladen. Außer den
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Unbeqvemlichkeiten meiner Stelle, beschäftigen mich der ganz nahe Termin
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meiner Abreise und die damit verknüpfte Zerstreuungen zu sehr, als daß ich
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nicht hätte befürchten sollen, dasjenige in Ihrer guten Meynung persönlich
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zu verlieren, was ich mir jetzt versprechen kann, durch meines Freundes
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Unterhandlungen gewonnen zu haben.
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Ich unterschreibe alle die Bedingungen, die Sie mir, HöchstzuEhrender
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Herr, haben bestimmen laßen, ohngeachtet sich meine Verbindlichkeiten jetzt
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nicht weiter als auf den Wunsch erstrecken künftig für Ihre Vortheile aus
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Pflicht, Neigung und Erkenntlichkeit so aufmerksam seyn zu können, als Sie
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im voraus aus Freundschaft auf die meinigen gewesen. Ein Mensch, der
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bisher unter seiner Arbeit sich hat müßen besolden laßen, bringt eine gewiße
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Blödigkeit des Gewißens in eine Verbindung mit, die ihn auf einmal über
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seine Ansprüche und Verdienste belohnen soll. Schonen Sie selbige
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wenigstens so lange, biß ich mit meinen Geschäften bekannter seyn werde.
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Die Ausflucht, wodurch Sie mich auf meine neue Lebensart vorzubereiten
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bedacht sind, wird gewis einen Einflus auf meine Gesundheit und
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Gemüthsverfaßung haben. Schlägt solche zugleich in jene und Ihre Absichten beßer
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Michaelis
29. September
ein, als ich es vermuthet; so geschieht meine Zurückkunft nach Michaelis oder
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in einem Vierteljahr. Wo nicht, werde ich meine Abwesenheit lieber verkürzen
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als Zeit und Kosten verderben.
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Wir sind also hierinn richtig und ich beqveme mich mit Vergnügen Ihren
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Vaterlande
Königsberg
ferneren Maasregeln, die ich am füglichsten in meinem Vaterlande werde
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erwarten können, wo ich ihrer Ausführungen näher als hier bin.
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Die Vertraulichkeiten, deren mich der Herr Bruder gewürdigt, nehmen mich
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übrigens immer mehr für meinen gefaßten Entschluß ein. Ich weiß für einen
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Märtyrer seines guten Willens keine fürtreflichere Zuflucht als eine Familie,
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deren Absichten und
Schicksale
Erfahrungen eine ähnliche Qvelle gehabt.
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Vielleicht hat dies der letzte Knoten seyn sollen, von deßen Entwickelung
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mein Glück abhängt. Kaum daß ich mich zu den Wißenschaften bekannt, und
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ungeachtet meiner allgemeinen Neigung zu denselben, für die ich so viel
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Schwachheiten als ein Stutzer für das Geschlecht begangen, hat es mir
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öfters leyd gethan nicht ein Kaufmann geworden zu seyn, bisweilen ernsthaft
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genung um diese Gedanken nun wie eine Ahndung und den günstigen Anlaß
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zu ihrer Erfüllung mit einem kleinen Aberglauben vorzusehen. Ich gebe Ihnen
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bis auf meine Ausschweifungen Rechenschaft. Ein wenig Thorheit ist zu
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allen menschlichen Anschlägen nöthig, das heißt den Boden füttern, auf dem
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sie gedeyen sollen. Scheint es nicht, als wenn ich mich rechtfertigen will, daß
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ich mein Wort von mir gegeben? Um es wahr zu machen, werde ich niemals
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aufhören mit der aufrichtigsten Ergebenheit zu seyn HöchstzuEhrender Herr,
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Dero gehorsamst verpflichtester
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Meyhof. den
15/4. Jun. 75
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Joh. Georg. Hamann.
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 50.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, I 286–288.
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, I 104 f.
ZH I 209 f., Nr. 81.