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Kgsberg

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HochwohlEhrwürdiger HErr,

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HöchstzuEhrender Herr Prediger,

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Unser gemeinschaftlicher Freund hat mir bey seiner Ankunft die Freude

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gemacht ein wahres
Billet
doux
von Ihnen zu überreichen, das ich noch nicht

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im Stande bin zu beantworten. Ohngeachtet Sie sehr zurück haltend

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gewesen sind das geringste Wörtchen von meinen Angelegenheiten worinn ich

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Sie geflochten, merken zu laßen: so hab ich doch Proben gnug,

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HöchstzuEhrender Herr, daß Sie sich für mein Schicksal so
interessi
rt, als wenn es

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um eine Partie ihres eigenen Glücks zu thun gewesen wäre.

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Sie können sich keinen tolleren Wiederspruch von Schüchternheit und

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Dummdreustigkeit als den Charakter des gegenwärtigen Briefstellers

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erdenken. – Unser gute
Lotterie Director
mag alles verantworten. – – Ich bin

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so voll, daß ich weder Anfang noch Ende recht finden, und noch mehr

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betroffen, wie ich mein Gesuch einkleiden soll. Eine
Sympathie
des Instincts

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wird der beste Ausleger seyn.

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Der
Diogenes in seiner Tonne
, mit dem Sie mir viel Ehre anthun, wäre

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wol ziemlich mein Mann – aber kein anderes
Interesse
als das
Interesse
der

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Wahrheit zu kennen (Erschrecken Sie nicht für mein aufrichtiges Bekenntnis)

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von diesem hyperbolischen
Interesse
hab ich weder Begrif noch Gefühl. Mein

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Hoc erat in votis
– ist ziemlich
individuel
und nichts weniger als
abstract.

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Heraclitus führte seine Feyert. Gäste in die Küche und versicherte si
ch
e auch

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allda von der Gegenwart der Götter. Erlauben Sie mir, HöchstzuEhrender

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Herr Sie mit einer ähnlichen Freymüthigkeit in meine häusliche Kleinigkeiten

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blicken zu laßen.

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Ich bin in einem bürgerlichen Ueberfluß erzogen und habe niemals den

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Mangel von Gesicht kennen gelernt; auch niemals die geringste Neigung noch

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Geschick weder zu einem Amt noch Haushaltung in mir gefühlt, und

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Hofnungen zu einem jüngeren Bruder gehabt, die alle vereitelt worden.

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Vor 5 Jahren machte ich mit beyden den Anfang. Meine Haushaltung, die

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damals aus 3 Menschen bestund, ist zu 7 angewachsen, worunter mein ungl.

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Bruder, der an seiner Seele wie vom Schlage gelähmt, theils
vegeti
rt, theils

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animalisch noch lebt und eine alte Bäurinn, die Großmutter meiner 2

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Kinder, die ich ehstens zu beerdigen bekommen werde. Ich habe während meiner

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gantzen Haushaltung die Glückseeligkeit genoßen mit meinen Einkünften

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auszukommen und immer in bloßer Furcht und Zittern für Schulden gelebt.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 55.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, V 5.

ZH III 6 f., Nr. 374.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
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Druckfehler; ZH:
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