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Liebster Herder,
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Zufällig ergreife ich die Feder auf Zureden des HE Kanters, der mir seinen
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Pult abtritt um Ihnen ein Paar Zeilen zu schreiben. Ich habe eben nicht
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Ursache über Sie zu klagen, aber auch nicht recht mit Ihrem Stillschweigen
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zufrieden zu seyn, wenn selbiges nur keine andere Ursachen als Geschäfte und
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legale
Ursachen hat, die der Freundschaft keinen Nachtheil thun. Ich habe
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mir die Zeit genommen beynahe alles Neue zu lesen was Sie zum Theil mit
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interesirt
– und nichts als die
Gleichmannia
sind noch übrig die ich eben
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in die Tasche
gestekt.
Riedel denkt an Ihre neue Ausgabe der Fragmente,
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von der ich noch nichts weiß? Was sagen Sie dazu. Grün scheint er Ihnen
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nicht zu seyn; aber ich hoffe er wird es durch seinen läppischen
Latitudinarium
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noch mehr verderben als sein Patron HE Klotz selbst. Leßing hat sich Ihrer
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brav angenommen. Ich als ein
emeritus
oder Gezeichneter der Kopf und Arm
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in der
Escarpe
trägt, kann keinen weitern Antheil an diesen
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Froschmäuselerhändeln nehmen als mit meinem Schicksal zufrieden seyn, das mich davon
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entfernt. Haben Sie
Hintz
schon gesprochen – Es ist nicht artig, daß er uns
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alle hier vergißt und uns wie Narren auf Nachrichten oder was beßers
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warten läst. Doch der langsame Winter ist vielleicht an allem Schuld. So viel
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habe Ihnen nur heute schreiben wollen und Sie meines Daseyns sowohl als
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Andenkens zu versichern. Wenigstens einen Neujahrswunsch schreibe ich
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Ihnen. Einige gute Freunde, die vielleicht zusammentreten möchten, bitten
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Sie um einen monathl. Beytrag Vorschuß so klein wie er auch seyn mag.
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Die Allgem. deutsche Bibl. kommt mir so schlecht vor, daß ich es fast nicht
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überwinden kann Ihre Stücke darinn aufzusuchen.
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Hamann
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Den 23
Sept.
Provenienz
Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 66.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 388.
Johann Gottfried von Herder’s Lebensbild. Sein chronologisch geordneter Briefwechsel, […]. Hg. von seinem Sohne Dr. Emil Gottfried von Herder. Ersten Bandes zweite Abtheilung. Erlangen 1846, 363 f.
ZH II 422, Nr. 352.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
422/14 |
interesirt |
Geändert nach der Handschrift; ZH: interessirt |
422/15 |
gestekt. ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: gesteckt. |