168
444/13
Hor.
carm.
I,27, V. 18–20: „… a miser, / quanta laborabas Charybdi, / digne puer meliore flamma.“ / „Ach Unglücklicher! / Wie gewaltig, an der du littest, die Charybdis! / Wert wärest du, Jüngling, einer besseren Flamme!“;
Hamann,
Fünf Hirtenbriefe das Schuldrama betreffend
, N II S. 369, ED S. 26. Die Briefe
168
und
169
bilden den Anhang zu den
Fünf Hirtenbriefen
.
– – ah! miser,
14
Quanta laboras in Charybdi
15
Digne puer meliore flamma!
16
HORAT.
17
Die Gönner Ihrer Verdienste würden vor Mitleiden die Achseln zucken,
18
Johann Gotthelf Lindner
schreibt am 26.12.1759 an
Immanuel Kant
: „Ew. Hochedelgeb. haben, wie
HE. B[erens]
sagt, eine Kinderphysick zu schreiben, im Sinne. Was Rollin gethan ist eher eine Chrie als eine Anweisung. Ihr Vornehmen würde ganz nützl[ich] seyn. Heißt es für Kinder; so wollte ohnmaßgebl[ich] rathen, ihre Jahre und Fähigkeiten, und Lust zu unterscheiden. Man könnte für Kinder von 9–12 und 12–15 Iahren u.s.f. Abschnitte machen. Für jene würden Frag und Antworten die faßlichste Methode seyn; für diese kurze Sätze und eine summarische Recapitulation in Tabellen. Ich schreibe so aus der Schule und rechtfertige mich damit: experto credo Ruperto. Die beste Schulmethode ist wohl, die für Gedächtnis und Verstand zugl[eich] sorget, und es beiden erleichtert.“ (Kant: AA X, Briefwechsel 1759, Nr. 16); vgl.
HKB 168 ( I 445/3 ).
wenn Sie wüßten, daß Sie mit einer
Kinderphysick
schwanger giengen.
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Dieser Einfall würde manchem so kindisch vorkommen, daß er über die
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Unwißenheit Ihrer eigenen Kräfte, und den schlechten Gebrauch derselben
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spöttern oder wohl gar auffahren würde. Da ich nicht weiß, daß Sie Satyren
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über Ihre Lehrbücher lesen; so glaube ich auch nicht, daß Sie unter den
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Kindern Ihrer Naturlehre Leute von guter Gesellschaft verstehen.
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Ich nehme also an, H. H. daß Sie in Ernst mit mir geredt, und diese
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Voraussetzung hat mich zu einem Gewebe von Betrachtungen verleitet, die mir nicht
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möglich ist auf einmal auseinander zu setzen. Sie werden das, was ich vor der
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Hand schreiben kann, wenigstens mit so viel Aufmerksamkeit ansehen, als
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wir neulich bemerkten, daß die Spiele der Kinder von vernünftigen Personen
29
Wenn nichts …
„nihil tam absurde dici potest quod non dicatur ab aliquo philosophorum“
Cic.
div.
2,58,119 (auch von Descartes im zweiten Teil von
Le Discours de la Méthode
sinngemäß zitiert)
verdienen, und erhalten haben. Wenn nichts so
ungereimt
ist, das nicht ein
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Philosoph gelehrt, so muß einem
Philosophen
nichts so
ungereimt
31
vorkommen, das er nicht prüfen und untersuchen sollte, ehe er sich
unterstünde
es
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zu verwerfen. Der Eckel ist ein Merkmal eines verdorbenen Magens oder
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verwöhnter Einbildungskraft.
34
Sie wollen mein Herr M. Wunder thun. Ein gutes, nützliches und schönes
S. 445
Werk, das nicht ist, soll durch Ihre Feder entstehen. Wäre es da, oder wüßten
2
Sie, daß es existirte, so würden Sie an diese Arbeit kaum denken. „Der Titel
3
ist da
Rollin,
Traité de la manière d’enseigner
, Bd. 4, Buch 5, S. 372ff. enthält einen Entwurf zu einer „Physique des enfans“, auf den
Johann Gotthelf Lindner
im Brief an
Immanuel Kant
eingeht (s.o. zu 444/18)
oder Name einer Kinderphysik ist da, sagen Sie, aber das Buch selbst fehlt.“
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Sie haben gewisse Gründe zu vermuthen, daß Ihnen etwas glücken wird, was
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so vielen nicht gelingen wollen. Sonst würden Sie das Herz nicht haben einen
6
Weg einzuschlagen, von dem das Schicksal Ihrer Vorläufer Sie abschrecken
7
Meister in Israel
Joh 3,10
könnte. Sie sind in Wahrheit ein Meister in Israel, wenn Sie es für eine
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Kleinigkeit halten, sich in ein Kind zu verwandeln, trotz Ihrer Gelehrsamkeit!
9
Oder trauen Sie Kindern mehr zu, unterdessen Ihre erwachsene Zuhörer
10
Mühe haben es in der Geduld und Geschwindigkeit des Denkens mit Ihnen
11
auszuhalten? Da überdem zu Ihrem Entwurf eine
vorzügliche
Kenntniß der
12
Kinderwelt
gehört, die sich weder in der galanten noch akademischen
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erwerben läßt; so kommt mir alles so wunderbar vor, daß ich aus bloßer
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Neigung zum Wunderbaren schon ein blaues Auge für einen dummkühnen Ritt
15
wagen würde.
16
Gesetzt Kützel allein gäbe mir den Muth gegenwärtiges zu schreiben;
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so würde ein Philosoph wie Sie auch dabey zu gewinnen wissen, und seine
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Moralität üben können, wo es nicht lohnte seine Theorien sehen zu
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laßen. Meine Absichten werden Sie unterdessen übersehen; weil die
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wenigsten Maschinen zu ihrem nützlichen Gebrauch eine mathematische Einsicht
21
erfordern.
22
Gelehrten zu predigen, ist eben so leicht als ehrliche Leute zu betrügen: auch
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weder Gefahr noch Verantwortung dabey, für Gelehrte zu schreiben; weil
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die meisten schon so verkehrt sind, daß der abentheuerlichste Autor ihre
25
blinden Heiden … Ehrerbietung
„maxima debetur puero reverentia“ / „Einem Kind kommt größtmöglicher Respekt zu.“ (
Iuv.
saturae
XIV,47)
Denkungsart nicht mehr verwirren kann. Die blinden Heiden hatten aber vor
26
Kindern
Ehrerbietung, und ein getaufter Philosoph wird wissen, daß mehr
27
dazu gehört für Kinder zu schreiben als ein Fontenellischer Witz und eine
28
versteinert … begeistert
Ov.
met.
X,238–294; vgl.
Hamann,
Sokratische Denkwürdigkeiten
, SD S. 13, N II S. 62, ED S. 18
buhlerische Schreibart. Was schöne Geister versteinert, und schöne
29
Marmor
säulen
begeistert; dadurch würde man an Kindern die
Majestät
ihrer
30
Unschuld
beleidigen.
31
Sich ein Lob aus dem Munde der Kinder und Säuglinge zu bereiten! –
32
an diesem Ehrgeitz und Geschmack Theil zu nehmen, ist kein
gemeines
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Raube bunter Federn
Wie es die Krähe in versch. Fabeln tut (bspw. in der von Lessing aufg. „Die Pfauen und die Krähe“).
Geschäfte, daß man nicht mit dem
Raube bunter Federn
, sondern mit einer
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freywilligen Entäußerung aller Überlegenheit an Alter und Weisheit, und
35
mit einer Verläugnung aller Eitelkeit darauf anfangen muß. Ein
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philosophisches Buch für Kinder würde daher so einfältig, thöricht und abgeschmackt
37
aussehen müssen, als ein
Göttliches
Buch, das für Menschen geschrieben.
S. 446
Nun prüfen Sie sich, ob Sie so viel Herz haben, der Verfaßer einer
2
einfältigen, thörichten und abgeschmackten Naturlehre zu seyn? Haben Sie Herz, so
3
Hor.
epist.
I,2,40
sind Sie auch
ein Philosoph für Kinder
.
Vale et sapere AVDE!
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg (ohne Signatur).
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, II 443–446.
Kant, Werke [Akademieausgabe] X 20–21, vgl. XIII 12 f.
ZH I 444–446, Nr. 168.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
444/30 |
Philosophen ]
|
Geändert nach Druckbogen (1940); ZH: Philisophen Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955): lies Philosophen Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): einem Philosophen |
445/11 |
vorzügliche ]
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Geändert nach Druckbogen (1940); ZH: verzügliche Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955): lies vorzügliche Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): vorzügliche |