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den
24
Oct.
776.

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Liebwertheste Freundin und Frau Gevatterin,

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Vergeßen Sie Ihres Wandsbecks und freuen Sie sich auf einen Boden

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verpflanzt zu seyn, wo Mandeln wachsen, die meine kleine Pathin, wenn ihr

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der liebe Gott mehr Zähne schenkt, recht gern zu ihrem Brodtchen beißen wird.

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Sie haben mir, ohne es zu wißen, in Ihren vierzehn Zeilen mehr angenehme

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Neuigkeiten geschrieben, als der gelehrte Mann auf seinen 3 Seiten. Wenn es

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Ihnen nicht recht gemüthlich in Darmstadt sind: so liegt es weder am Ort noch

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an Ihnen, sondern, ich mag nicht sagen, an wem. Es ist aber mit der

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Freundschaft, wie mit der
Liebe;
sie deckt auf und deckt zu.

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Nennen Sie
Freund Hain
keinen
Ehteufel
sondern lieber einen Ehengel

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und schaudern Sie nicht vor der fieberkalten Hand zurück, die den heiligen Puls

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eines zweyeinigen Busens zu erforschen sucht, weil Sie selbst sagen, daß Sie

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im Arm Ihres Mannes vergnügt sind.

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Der Herr OberlandCommißarius hat
Ihnen also
noch nicht gesagt, daß Sie,

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liebwertheste Freundin, in Darmstadt
größer geworden
und Ihnen alle

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Ihre vorige Kleider zu eng und zu kurz sind; geben Sie also auf Ihn ein wenig

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Achtung, daß
e
Er
sich auch in die Sitten und den Booksbeutel
s
Seines
Amts

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schicken und
eben so
gut die Würde als Bürde deßelben tragen lernt.

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Seinen
leidigen
Friseur bey Seite gesetzt; so begreif ich nicht, wie Er

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gegenwärtig dazu kommt
s
Seinen
Caffé
selbst zu filtriren,
s
Seinen
Cnaster selbst zu

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schneiden – –

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Ich glaube gar, traute Frau Gevatterin, daß Sie Ihm auch den Schlüßel

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zum Weinkeller anvertrauen, und wenn
Er
so herrlich zapfen kann, als er den

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Rheinwein zu besingen weiß: so ist es mit der ganzen Weinerndte von Abieser

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geschehen, und wird kein Pächter dazu nöthig seyn –

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Sie müßen sich mein elendes Uebersetzer-Kahnchen nicht wie des weiland

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berühmten Charons oder
Compere
Bodens
Silberflotten
vorstellen; aber meinen

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Caffe
zu filtriren und einzuschenken, meine Pfeiffe zu stopfen und

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anzuzünden, die
Bouteillen
zu lüften und mein eckichtes Bierglas zu füllen, dazu halte

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ich Leute, die ihren Dienst wie ein Werk der Barmherzigkeit gegen das

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unbehülflichste Geschöpf auf Gottes Erdboden (das ich in meinem Hause leider!

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vorstelle) ansehen und ich laß das einfältige Volk gern bey ihrem Glauben,

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weil wir
beiderseits
dabey recht gut fahren – –

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Das liebe Clavierstimmen erinnert mich an meine verjährte
Laute,
und wenn

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ich hätte stimmen und Tact halten können: so wär ich vielleicht längstens

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Kapellmeister und meines Landsmanns Braut nicht so bald zu ihrer

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Bestimmung gekommen –

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Durch landesväterliche Huld wird uns der Cnaster fix und fertig in

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gestempelten Patronen zum Laden geliefert und ebenso viel edle Zeit
erspart
zur

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freundschaftlichen Correspondenz oder kriegslistigen Autorschaft.

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Bey meinem zwar aufgeschobenen aber noch nicht aufgegebenen Besuch in

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Darmstadt werd ich nicht vergeßen meinen kleinen Vorrath dieses köstlichen

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Cnasters
mitzubringen, weil ich mir beynahe zutraue wie der Engel Raphael

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mit dem Rauch deßelben alle böse Geister Ihrer dortigen Dunstkugel zu

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vergeben und Ihrem Aether eine solche Consistenz mitzutheilen, daß selbiger

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so gesund werden wird als das Waßer zu Jericho durch des Propheten Elisa

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Saltz –

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Nun, liebwertheste Frau Gevatterin, übernehmen Sie getrost das Oberhaus-

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Commissariat und erlauben Sie Ihrem Herrn Gemal nicht, daß er Sie zum

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Noth-Nagel
braucht
seinen halben Bogen voll zu schreiben um seine
Dito’s

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beym Mondschein, in Küch und Keller abzuwarten. Da
e
Er
zu einem

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Fitzliputzli auf einer höheren Bühne beruffen ist, so lohnt es nicht der Weile an

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Bauerhütten, kleine Obstgärten,
Gänse
Hühner und eine Kuh, sondern an

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Lustschlößer, Marställe, GallaKleider und eine
standesmäßige
Aussteuer
für

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meine kleine Pathin
u
ihre lieben Schwestern zu denken –

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Halten Sie mein Wort der Ermahnung zu gut und erfreuen mich bald mit

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der Nachricht einer glücklichen Entbindung von einem kleinen Darmstädtschen

16
Claudius.
Gott empfohlen.

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Gott schenke Ihnen so viel Herzensfreude an
Ihrer
meiner kleinen Pathin

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als wir an Ihrer hier haben. Leben Sie alle gesund und je länger je

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zufriedener.

Provenienz

Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, NMC : 13 : 7.

ZH druckt an dieser Stelle einen an Matthias Claudius gerichteten Oktavzettel mit Hamanns Angaben über seine Familie. Vgl. HKB 536a.

Bisherige Drucke

Walther Ziesemer: Hamannbriefe. In: Goethe. Viermonatsschrift der Goethe-Gesellschaft 7 (1942), 138–140.

ZH III 263–265, Nr. 470a.