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Geliebtester Freund, 
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Ich ruffe Ihnen ein prophetisches Glück zu! in Ihrem neuen Amte, Hause 
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und Vaterlande von Grund des Herzens entgegen. 
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Oloy
 vll. Olaine, Lettland [56° 47′ N, 23° 57′ O], 20 km südwestlich von Riga 
Wenn ich gewust hätte daß Sie die Nacht in der Oloy zubringen würden, 
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in einer so lieben Gesellschaft, wer weiß wozu ich mich entschloßen hätte? Mir 
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ist kein Vergnügen gegönnt v mit demjenigen, was mir unter Händen ist, 
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verstehe ich leyder nicht umzugehen. Vielleicht würde ich das Ihrige auch nur 
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verdorben haben. Wie kurz ist dasjenige gewesen, Sie zu sehen? Und wer 
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weiß, wenn ich es wieder genüßen werde? Wenigstens ist es mir unendl. 
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angenehm Sie jetzt nahe zu haben; v. wie herzlich will ich mich immer freuen, 
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wenn Sie mir gute Nachrichten von sich geben können. Machen Sie jetzt den 
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Anfang, ich bin recht ungedultig darnach. 
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Diese ganze Woche habe noch mit meiner Gesundheit v mit schwereren 
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Grillen als sonst zu thun gehabt. Die erste ist jetzt leidlich. 
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Was meynen Sie wozu ich mich entschloßen habe? Noch 2½ Monath 
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zuzulegen. Ja in dieser Zeit werde ich Sie schwerlich zu sehen bekommen. Wie viel 
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traurige Betrachtungen stelle ich des Tages über mich und meine Umstände an; ich 
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glaube daß kein einziger meiner Gedanken richtig ist, weil selbige mehr Affekten 
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als Urtheile sind. Ich will jetzt mein möglichstes thun mich aufzumuntern. 
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Peter Ernst Wilde
, der als Nachfolger Hamanns als Hofmeister bei den v. Witten vorgeschlagen war (wohl mit Lindners Vermittlung). 
Haben Sie mit HE. Wilde sich näher eingelaßen, als dieser Brief zeigt. Ich 
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habe nur die Hand v den Anfang sehen laßen. Man ist wieder ihn 
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Praxin
 Arztpraxis 
eingenommen, weil man sich fürchtet, daß er die 
Praxin
 anstatt der Schule treiben 
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möchte. Es würde eine Unbilligkeit seyn sie ganz im bloßen zu laßen; ich würde 
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auf seine Ankunfft vielleicht demohngeachtet einige Wochen warten müßen v 
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für uns beyde ist es eine Erleichterung für keine Wahl gutsagen zu dürfen. 
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Meine gröste Angelegenheit beynahe ist jetzt die Einbildung meiner lieben 
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Eltern zu befriedigen. Ich glaube daß es auch dadurch einigermaaßen geschehen 
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kann, wenn ich noch eine kurze Zeit an einem alten Orte bleibe. 
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Es ist mir eingefallen an HE. Bucholz zu schreiben, vielleicht wird der sie 
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ein wenig zufrieden sprechen können. Ich habe es auch heute schon gethan. 
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Sie können sich die Verlegenheit nicht vorstellen, in der ich gewesen bin mich 
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zu entschlüßen. Mein Gemüth macht mich zum Narren. Ich bin wie ein 
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Gefangener, der die Freyheit 
liebt
 wünscht und sich geben kann, der aber das 
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Herz dazu nicht hat anderer Ruhe v Ehre mit seinem Glück zu stören. 
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In Ansehung Ihrer habe ich auch nachgedacht, daß meine zu geschwinde 
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Ankunft Ihnen vielleicht auch einiger maßen beschwerlicher hätte seyn können. 
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In ein paar Monathen werde ich Sie ruhiger und eingerichteter finden. Wenn 
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Sie mich denn aufnehmen können v. wollen, so würde es für uns beyde beßer 
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seyn. Ich thue gewiß Unrecht Ihnen so viel von mir selbst hinzuschwatzen, da 
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Ihnen der Kopf von Ihren eignen Geschäften voll genung seyn wird. Darf 
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ich wohl Ihrer Freundschaft deswegen eine Entschuldigung machen? Ich 
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ersuche Sie dafür recht sehr, mich mit gleicher Münze zu bezahlen. Darum ist 
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es mir lieb gewesen Ihnen durch Gelegenheit schreiben zu können, weil Sie 
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sicherer als mit der Post sind. 
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Ragout
Schönaich, 
 Ragout a la Mode
Schicken Sie mir doch etwas von Neuigkeiten z. E. den 
Ragout à la mode,
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wenn Sie können. Ich habe Ihre Redekunst in 2 Abenden mit sehr viel 
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Vergnügen zu Ende gebracht; biß auf Ihre eigene Ausarbeitungen hinten, die ich 
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heute noch zu lesen gedenke. Hätte der Rector nicht dem ältesten auf dem Titel 
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vorher gehen sollen? Ich habe Ihnen schon dies immer in Mietau fragen 
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wollen; v nicht dazu kommen können. Die Qvellen des Geschmacks, auf die Sie 
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immer darinn verweisen, machen allein dies Buch zum brauchbarsten und 
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neusten. Sie haben fast keinen einzigen Autor vergeßen, der jungen Leuten 
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nützlich seyn kann, und zu den schönen Wißenschaften gehört. Demjenigen 
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Titel, den Sie mir darinn gegeben zufolge, behalte ich mir die Freyheit vor 
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Ihnen noch einige kunstrichterl. allgemeine Anmerkungen oder Fragen 
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aufzugeben; zu denen ich heute nicht Zeit habe und der ich mich auch noch enthalte, 
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weil ich 
noch
 nicht zu Ende bin. Ich habe heute die 
Recension
 eines schönen 
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Pierre Estève
, vll. 
Traité de la diction
 (Paris 1755), oder 
L’Esprit des beaux-arts ou Histoire raisonnée du goût
 (Paris 1753) 
Buchs von 
Mr. Estéve
 in den Hamburgischen Zeitungen gelesen, um das wir 
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uns Mühe geben wollen. 
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Berichten Sie mir doch so viel es Ihre Zeit zuläst, wie Ihre Aufnahme 
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gewesen, Ihre 
Introduction
 abgelaufen v. was dabey vorgefallen. Sie können 
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sich leicht vorstellen, wie neugierig ich nach allen diesen Dingen bin? An 
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unsern lieben Berens werde gleichfalls noch schreiben. Melden Sie mir doch wie 
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oft Sie bey ihm gewesen sind. Gestern habe ich Ihnen beyden in Gedanken 
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Gesellschaft gemacht. Hab ich recht gerathen? 
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Ich hätte an Ihr liebes Marianchen eher gedacht, wenn ich nicht im Sinn 
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hätte noch selbst an Sie ein klein franzöisch 
Compliment
 anzuhängen. Sie ist 
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doch wohl gesunder angekommen, als sie von Mietau abreiste. 
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Ich bin zu müde v zu schläfrich fortzufahren. Laßen Sie mich Abschied 
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nehmen. Ich umarme Sie. Leben Sie wohl v denken Sie so oft an mir als ich an 
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Sie denke. Ewig der Ihrige. 
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Was meynen Sie, wie ich zu Hause fuhr begegnete mir 
M. Haase,
 mein 
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erwünschter Nachbar, auf halbem Wege um uns zu beschleichen. Sie werden 
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sich gewiß einander hoch halten wenn Sie sich kennen lernen werden. Weil er 
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von mir erfuhr, daß Sie schon abgereist wären, so kehrte er um v. machte sich 
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Ischwonick
 Kutscher 
aus Lust zu meinem 
Ischwonick.
 Er hat 
mich
 auch wie ein ehrlich Mann 
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gefahren. Nun will ich Ihnen auch das letzte Adieu in diesem Briefe sagen. Ihr 
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Frauchen kann biß Morgen warten wozu verkroch sie sich letzt vor mich da 
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Sie mir hätte entgegen kommen sollen wie ihr lieber Mann that. 
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Am unteren Rande der zweiten Seite:
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NB.
 Sie haben den 
Alembert
 angeführt; Liebster Freund, wenn Sie seine 
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Memoires de Litterature
 haben, schicken Sie mir doch ja selbige. 
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 Übersetzung (von Joscha Sörös): Bessere Hälfte meines Freundes, wie steht Ihnen die livländische Frisur? Finden Sie Gefallen am neuen Kreis der Schwestern im Café, und wie kommen Sie mit Ihrem Haushalt zurecht? Verzeihen Sie meine unverschämte Neugier und betrachten Sie diese als ein stürmisches Verlangen, Sie zufrieden und wohlauf zu wissen. Aber genug der Worte, die meine Gefühle verhöhnen! Denn mit einer so respektvollen wie zärtlichen Freundschaft bin und werde ich immer sein Ihr sehr ergebener und treuer Diener Hamann 
Aimable moitié de mon Ami, 
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La coeffure Livonienne comment Vous va-t-elle? Comment Vous
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plaisez
Vous au nouveau cercle des soeurs de Caffé, et comment Vous
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accommodez-Vous
de Votre ménage? Pardonnez, Madame, ma curiosité
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impertinente
et regardez-la comme un desir impetueux de Vous
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vouloir content et à Votre aise. Mais treve de paroles! Mes sentimens leur 
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font nargue; car je suis et serai toujours avec une amitié aussi 
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respectueuse que tendre Madame Votre très humble et très devoué serviteur 
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Grunhof. ce 17. Mars. 1755.
Hamann.
Provenienz
 Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (7). 
Bisherige Drucke
 Heinrich Weber: Neue Hamanniana. München 1905, 19–21.
 ZH I 94–96, Nr. 38. 
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
                geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
                vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
                vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
                Quellen verifiziert werden konnten.
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                                     plaisez  | 
                            
                                  Geändert nach Druckbogen (1940); ZH:  plai|scz  Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955):  mechanisch entstellte Zeilenanfänge. Lies sez  Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988):  plaisez  | 
                        
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                                     accommodez-Vous  | 
                            
                                  Geändert nach Druckbogen (1940); ZH:  ac|iommodez-Vous  Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955):  mechanisch entstellte Zeilenanfänge. Lies commodez  Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988):  accommodez  | 
                        
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                                     impertinente  | 
                            
                                  Geändert nach Druckbogen (1940); ZH:  mpertinente  Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955):  mechanisch entstellte Zeilenanfänge. Lies impertinente  Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988):  impertinente  |