309
347/27
Rammlers Ode auf den Granatapfel
Karl Wilhelm Ramler
, „Auf einen Granatapfel“, in:
Critische Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit
, 1750, St. VI, 6. Hornung S. 52–55
Rammlers Ode auf den Granatapfel, der zu Berlin gewachsen.


28
O die du dich zur Königin der Früchte

29
Mit
Deinem eignen
Laube
krönen must
,
ad num.
3. Scheint den

30
Aurorens Kind, an welchem Sonnenlichte
[Krantz herumzuflechten.

31
Zerspaltest du die purpurrothe Brust,

32
Die
Proserpinen ihre Körner
ad no.
6.

33
Im Tartarus zu kosten trieb

34
Und machte, daß sie ferner

35
In Plutons Armen blieb!


S. 348
Der Erdball ändert sich: das Meer entfliehet

2
Und deckt uns Wunder auf, der Fels sinkt ein;

3
Und o Berlin! dein dürrer Boden blühet;

4
Pomona füllt ihr Horn in dir allein
ad no.
6.

5
Und Flora muß auf dein Begehren

6
Aus allen Blumen Kränze drehn,

7
Und mit gesunknen Aehren

8
Die blonde Ceres gehn.


9
Und zarte Bäume trägt, ihr Haupt umschoren,

10
Der Gott Sylvan, und zieht ein Labyrinth
1

11
Selbstirrend auf vor deinen Thoren,

12
Die nicht umsonst den Künsten offen sind:

13
Die Künste nehmen Dädals Federn

14
Und kommen über Meer und Land

15
Mit Hebezeug und Rädern

16
In ihrer harten Hand
.
ad
no.
6.


17
Wer hat allhier der Vorgebürge Rücken

18
Zu Tempeln und Pallästen ausgehöhlt

19
Die rund umher der Pyrrha Wunder schmücken

20
Noch halb den Steinen gleich und halb beseelt?

21
Ihr Götter! prächtig aus Ruinen

22
Erhebt sich euer Pantheon
2

23
Die
Weisen alle dienen
,
ad
no:
6.

24
Die Völker lernen schon.


25
Sagt Sterbliche den Sphären ihre Zahlen

26
Und
lehrt
dem tollen Winde
seinen Lauf
ad num.
3. läuft wie

27
Und wägt den Mond, und spaltet Sonnenstrahlen
[der Sturmwind

28
Deckt die Geburt des alten Goldes auf

S. 349
Und steiget an der Wesen Kette

2
Bis dahin wo der höchste Ring

3
An Jovis Ruhebette

4
Seit Chaos Aufruhr hieng.


5
Die Zwietracht, die mit Gift ihr Leben nährte

6
Verliert den Hydrakopf durch einen Streich

7
Von der Gerechtigkeit beflammten Schwerte;

8
Der Aberglaube kämpft, und flieht zugleich

9
Wie vor den kühnen Sonnenpferden

10
Die blinde Nacht, voll Selbstvertraun:

11
Denn tausend Städte werden

12
Ihm einen Altar baun.


13
Wohl Dir, o du, durch meinen Freund regieret

14
An Künsten reich, und groß wie Sparta war.

15
Es zog vom Schall der Flöte schön verführet

16
In seinen Tod, mit wohlgeschmücktem Haar,

17
Und alle, die den Kampf verloren

18
Bestätigten durch einen Eid:

19
Die Stadt sey nur geboren

20
Zu Waffen und zum Streit.
ad no.
6.


21
So sang
Calliope,
die voll Entzücken

22
Umhängt mit ihrer goldnen
Tuba
kam
ad No
3.) beyde

23
Und nicht gesehn von ungeweihten Blicken
[Verse laufen fort

24
Den
Weg
zum Tempel des
Apollo
nahm
3
,
[und drücken

25
Wo mit dem Pinsel und mit Sayten
[einen Gang aus.

26
In Larven und im Lorbeerkrantz

27
Die Musen sich bereiten

28
Zum schönsten Reyhentantz.


29
Ursache des Wohlklangs in dieser Poesie 1.) Die ganze Zusammensetzung

30
der Strophe ist zum Wohllaut eingerichtet, ihre Zeilen laufen schmal

31
zusammen u spitzen sich mit einer männl. Schlußsilbe fast wie ein Pfeil. Diese

S. 350
Figur däucht dem Auge so schön als ein solcher Gang des Verses dem Ohr

2
klingt.

3
2.) in den 4 langen Versen kann der Abschnitt bald hinten bald vorn

4
gesetzt und dadurch der Gleichlaut vermieden werden.

5
3.) Der Abschnitt bleibt gar weg, wenn eine andere Schönheit erhalten

6
werden kann.
vid. not. no.
3

7
4.) In jedem Vers findt man einen oder mehrere von den stark klingenden

8
Vocalen
a
und
o
oder einen
Diphthongen
von gl. Wirkung.

9
5.) Nicht leicht über 3
Consonanten
stehen hinter einander, auch so gar

10
2 Wörter bringen nicht mehr zusammen.

11
6.) In dem mit
No.
6. bezeichneten Versen sehen wir, daß wenn ein Wort

12
auf einen
Consonans
ausgegangen, das folgende mit einem
Vocal
anfängt u.

13
vice versa
. Dieses ist zwar selten thunlich, wir finden es indeßen in jedem

14
Vers 1 mal bis 4 mal.

15
7.) Kein
Hiatus
weder in der Mitte eines Verses noch zwischen 2 Versen

16
beleidigt das Ohr.

17
Horatz
Horaz
8.) Vom Reim kommt keiner 2mal vor. Horatz schließt keinen Vers

18
zweymal mit einerley Worten. Ueberhaupt nimmt er nicht gern einerley Worte

19
2mal in seiner Ode. – – Dieser Odendichter wird bey seiner Arbeit vielleicht

20
nicht alle diese Regeln deutl. gedacht haben, aber wie kommt es, daß man sie

21
am Ende doch alle beobachtet findt, und daß das Stück nichts dabey verloren

22
hat?

23
Diesen Auszug, liebster Freund liefere Ihnen aus einem Zeitungsblatt des

24
Critische Nachrichten
Critische Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit
, St. I, S. 1–3; II S. 10–12; IV S. 29–32; V S. 37–38
Rammlers, das 2 Jahrgänge 50 u
51.
ausmacht.
No
. 6. Critische Nachrichten

25
aus dem Reiche der Gelehrsamkeit Auf das Jahr 1750. Berl. 4. Die beyden

26
Gedanken
Critische Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit
, St. IV. S. 30–31
vorigen Nummern dieser Zeitung enthalten
Gedanken über die neuen

27
Versarten
, und gegenwärtiges dient zum Exempel dieser Theorie. Vorzug

28
Virgils
Vergil
Lucrez
Lukrez
des Virgils vor Lucrez im Hexameter, deßen Vollkommenheit darin besteht,

29
daß Virgils seiner die gehörige majestätische Größe, die schönste

30
Verschiedenheit in seinen Füßen hat, und sich in der Geschwindigkeit und Langsamkeit

31
nach der Beschaffenheit seines Inhalts richten kann. Das Pferd läuft in

32
Dactylen, die Cyclopen schmieden in Spondäen, der Ochs fällt in einem

33
einsylbichten Schlußwort. Um ein wohlklingendes Sylbenmaas zu erhalten

34
muß man im Deutschen den Virgil nachahmen; und folglich 1.) der

35
Hexameter in der Mitte zum Ruhpunct einen männl. Abschnitt 2.) kurz vor dem

36
Abschnitt einen
Dactylus
haben 3.) zum Ausgang bleibt ein
Dactylus
u

37
Trochaeus
. 4. Die
Hiatus
müßen allenthalben vermieden werden pp. Für

S. 351
die deutsche Sprache ist der
Hexameter
mit einer kurzen Vordersilbe der

2
vortheilhafteste. Die Römer hatten mehr Wörter, die sich mit einer langen

3
als kurzen
Sylbe anfangen; im Deutschen sind der häufige Gebrauch der

4
Articel, persönl. Fürwörter und häufige Zusammensetzung kurzer Silben,

5
ent, vor, be, zer p für die Jamben und kurzen Anfänge.

6
Ich will Ihnen Anmerkungen mittheilen, so weit ich in Lesung dieser

7
höchste poetische Kunst
vgl.
Critische Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit
, St. I, S. 4
Jahrgänge kommen kann. – Die höchste poetische Kunst ist, die Allegorie in seiner

8
Gewalt zu haben.

9
2ten Jahrgang
der
Critische Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit
Im 2
ten
Jahrgang finde eine zieml. vortheilhafte Beurtheilung der

10
Daphne
Hamann,
Daphne
; vgl.
Critische Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit
, St. XIX, May 1751, S. 151–152
Lindnerschen Briefes an Berens
Critische Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit
, „Das Sendschreiben an Herrn J. C. B aus Livland“, St. XXXIV, August 1751, S. 272
Daphne, und eine noch schmeichelhaftere des Lindnerschen Briefes an Berens.

11
Heute gegen Abend gehen wir nach Warschau. Gott empfohlen bis auf ein

12
Mitau
heute Jelgava, Lettland [56° 39′ N, 23° 43′ O] (40 km südwestlich von Riga)
glücklich Wiedersehen.
Mitau,
den
29 Aug. 1765.

13
Hamann.


14
Grünhof
heute Zaļā [Zaļenieku] muiža, 70 km südwestlich von Riga, 20 km südwestlich von Jelgava/Mitau, Lettland [56° 31’ N, 23° 30’ O]
HE Past. Ruprecht
Johann Christoph Ruprecht
Ich bin einige Tage in Grünhof gewesen, und bekomme jetzt vom HE
Past.

15
Ruprecht
die
Commission
der verbindlichsten Empfehlung.


16
Adresse:

17
An meinen / Freund HErn Herder / in /
Riga
.


18
Auf der Adressseite von Hartknoch vermerkt:

19
Recensio
nen!
Recensio
nen
/
He
rderchen! / 20 stück je eher je lieber! / Hartknoch


1
Zwischen
Berl
. und
Charlottenburg
ein Irrgarten von jungen gerad geschornen Fichtenbäumen angelegt und mit Statuen geschmückt.

2
Das neue AcademieHaus, welches auf der
alten
Brandstäte des alten Stalles und der alten Maler und Bildhauer Academie gebauet und mit Götterbildnern gezieret ist.

3
Das OpernHaus führt die römische Ueberschrift:
Fridericus Rex Apollini et Musis.

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 19–20.

Bisherige Drucke

Johann Gottfried von Herder’s Lebensbild. Sein chronologisch geordneter Briefwechsel, […]. Hg. von seinem Sohne Dr. Emil Gottfried von Herder. Ersten Bandes zweite Abtheilung. Erlangen 1846, 98–104.

ZH II 347–351, Nr. 309.

Zusätze fremder Hand

351/19
Johann Friedrich Hartknoch

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
347/29
Laube
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Leibe
348/16
ad
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
ad
348/23
no:
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
no:
348/26
dem tollen Winde
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
dem
tollen
Winde
349/21
Calliope,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Calliope,
349/22
kam
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
kam
349/22
Tuba
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Tuba
349/24
Apollo
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Apollo
349/24
Weg
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Weg
350/24
51.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
51
351/19
Recensio
nen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Recensione
n
351/19
Recensio
nen!
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Recensione
n!