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Meyhoff
Gutsbesitz der v. Wittens; wohl Meijas muiža (Maihof) in Jelgava/Mitau, Lettland [56° 39’ N, 23° 42’ O]
Meyhoff. den
26 Junii 1754.
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Herzlich Geliebtester Vater,
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Ich mache jetzt einen Brief fertig, deßen Bestellung durch einen Fuhrmann
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ich dem
D. Lindner
überlaßen werde. Ein guter Freund hat mir einen andern
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Pelz eingekauft der an Güte ungl. beßer ist. Wenn meine Umstände reicher
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seyn werden so will ich mit Gottes Hülfe einen beßern besorgen. Vertragen Sie
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unterdeßen diesen mit Gesundheit. Meinen andern habe an HE Belger
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Thrl.
Reichstaler, eine im ganzen dt-sprachigen Raum übliche Silbermünze, entspricht 24 Groschen (Groschen: Silbermünze [ca. 24. Teil eines Talers] oder Kupfermünze [ca. 90. Teil eines Talers]; in Königsberg war der Kupfergroschen üblich; für 8 Groschen gab es ca. zwei Pfund Schweinefleisch)
verkauft v 2 Thrl. mit Vergnügen daran fallen laßen um ihn loß zu seyn. Ich
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habe dafür ein Buch von 8 Theilen angenommen das ich mir längst gewünscht
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Pitaval,
Causes célèbres
; die 8 bändige ist die übers. deutsche Ausgabe.
habe; es sind Pitavals berühmte Rechtshändel. 8 Thrl. ist er mir an Gelde
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Thrl. Alb.
Albertsreichsthaler, 1616 in den Niederlanden eingeführt, im 18. Jhd. zeitweise auch in Preußen und Dänemark geprägt; wichtiges internationales Zahlungsmittel im Ostseeraum.
schuldig; davon er 3½ Thrl. Alb. für ein Paar Stiefel (die ersten die ich hier
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Orth
Name der polnisch-preussischen 18-Groschen-Münze, deren Edelmetallgehalt unter Nominalwert lag, also als schlechtes Zahlungsmittel galt. Wurde teilweise in Königsberg geprägt.
habe machen laßen) und 5 Orth für ein Paar Schuhe auszahlen wird.
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Mietau
heute Jelgava, Lettland [56° 39′ N, 23° 43′ O] (40 km südwestlich von Riga)
Urtheilen Sie, wie das Geld hier verschwinden muß. In Mietau muste am
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18 gl.
18 Groschen (Silbermünze [ca. 24. Teil eines Talers] oder Kupfermünze [ca. 90. Teil eines Talers]; in Königsberg war der Kupfergroschen üblich; für 8 Groschen gab es ca. zwei Pfund Schweinefleisch)
Johannistage 18 gl. geben um meine Perücke
accomodir
en zu laßen. Die Arbeit
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war aber auch was werth v wenn es theurer ist so hat man hier dafür
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Handwerker, denen die unsrigen nicht beykommen noch das Waßer reichen.
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Was meine Gesundheit v. übrige Umstände anbetrift so werden Sie mit
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diesem v folgenden Posttagen davon neuere Nachrichten haben. Ich habe
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gestern 12 Pillen eingenommen die oben v unten brav Luft gemacht haben
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des Abends ein Pulver v heute frühe auch eins. Meine Unzufriedenheit wird
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mich beynahe auf den Entschluß bringen dieses Haus zu verlaßen. Der Rath
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des HE.
D.
Lindners in Ansehung meiner Gesundheit bewegt mich auch dazu.
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Ich habe selbige durch Arbeit hier etwas heruntergesetzt v. er hat mich in ein
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Haus in Vorschlag gebracht, wo ich ruhiger, reicher, zufriedner werde leben
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v. meine Wißenschafften nicht ganz aus den Augen setzen können. Morgen
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habe ich mir vorgenommen mich dem HE. General zu erklären; ich bin
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begierig zu sehen wie er meinen Antrag aufnehmen wird. Meinen Endzweck zu
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reisen werde in diesem Hause nicht erreichen v es würde mir so viel Kräfte
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kosten daß ich dazu ungeschickt würde; wenn etwas vorfallen sollte.
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Ich will mich der Göttl. Fügung v. den Umständen überlaßen. Man hat
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meine Bescheidenheit gemisbraucht; ich mag mich aber so wenig zu nahe
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kommen laßen als ich es andern thue. Mit Leuten die ihre Achtung bey mir
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verlieren kann ich nicht leben als auf Unkosten meines Gewißens v meiner
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GemüthsRuhe; und ich liebe beyde zu sehr als daß ich selbigen Feßel anlegen
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sollte. Das verschwendete Lob des HE. Generals wird meine Rechtfertigung
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seyn, wenn ich ein ander Hauß suche.
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Ich glaubte hier in mehr Ordnung leben zu können als in Riga; es ist aber
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das Gegentheil. Da ich nicht neues weiß, was ich nicht mit nächster Post in
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Ansehung HE Belgers, Ihres Briefes, lieber Papa, der mir 100 Sorgen
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macht, meiner Cur pp zu schreiben gedenke; so werde ich mich zum Schluß
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wenden, mich Ihrem Gebet kindlichst empfehlen und mit der ehrerbietigsten
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Ergebenheit mich nennen Ihren gehorsamsten Sohn.
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Johann George Hamann.
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Herzlich Geliebteste Mutter,
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Ich schreibe Ihnen aus einem Orte, in dem die Natur viel Vergnügen v.
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Wollust für einen gesunden v zufriednen Menschen zubereitet haben würde.
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Ein schöner Hof, tägl. Gesellschafften die schönste Gegend, die die Kunst kaum
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so vollkommen hätte bilden können v eine viertel Meile von der Stadt. Meine
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vorgestrige Erschreckniß hat mich aber etwas kränker gemacht; die Artzeneyen
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verbieten mir den Gebrauch der unschuldigsten v angenehmsten LebensMittel.
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Ich wohne in einer Herberge die unordentl. ist v für einen polnischen
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Hofmeister beqvem genung seyn würde. Mit meinem Unterricht geht alles
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krebsgängig; heute ist Mittwoch; noch habe ich diese Woche mit meinen jungen
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HE. nicht was vornehmen können noch wollen. Man bringt mir Klagen
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von Ihrer Ungezogenheit, die mir empfindlich sind v. alles geschieht unter
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Aufsicht v. auf Rechnung der Eltern, die mit Auszahlung ihres neuen
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Gutes so beschäfftigt sind, daß sie sich kaum des lieben Gottes dabey
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erinnern können.
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Die Fliegen und Mücken stechen mich bald zu Tode; v meine beyde Hände
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sind so wund daß sie einer bösen Krankheit ähnlich sehen. Ich bin dieser
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Gefahr auch ausgesetzt, daß ich in einem Hause gehen muß wo man in einer sehr
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unreinen Haut Höflichkeiten pp
annehmen muß
erweist. Noch bin ich
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verschont geblieben Gott Lob!
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Baptist
wohl Batist
Für den Baptist zu 5 Hemden habe
4 Thrl. Alb. 3½ Orth wo ich nicht
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Quarder Stücke
Bänder zum Einfassen von Hemden
irre
4½ Alb. Thrl. zahlen müßen; er soll aber gut seyn.
Die Qvarder Stücke
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mitgerechnet.
Macherlohn das Stück zu 2 Orth; ausgezackt 4; ich trage sie
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am wohlfeilsten. Meine alte Briefe will ich beylegen die nicht damals
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mitgegangen sind, da ich meinen koddrigen Pelz schicken wollte, der mir noch
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4 Thrl 1 Orth auf dem Portorio kosten sollte. Ich küße Ihnen mit der
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kindlichsten Ehrfurcht die Hände. Gott gebe Ihnen Gesundheit v. viel Freude an
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Ihren Kindern unter denen ich Johann George Hamann der älteste zu seyn
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die Ehre habe. Adieu.
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 1 (20).
Bisherige Drucke
ZH I 74–76, Nr. 28.