107
234/29
zu Hamanns London-Reise siehe
Hamann,
Gedanken über meinen Lebenslauf
, LS S. 338ff.; einen Versuch zur Ermittlung der realen Personen und Begebenheiten bietet
Fechner (1979)
.
de Londres ce
14. Janv. 1758.

31
Monsieur
vll. Leonard Sené, siehe
Fechner (1979)
, S. 13.
Hamann,
Gedanken über meinen Lebenslauf
, LS S. 339: „er gab sich […] für einen deutschen Baron von Pournoaille aus, hatte eine Schwester in London, die […] vermuthlich von dem Russisch[en] Abgesandt[en] unterhalt[en] ward und unter dem Namen einer Frau von Perl einen Sohn hatte“.
Monsieur,

32
Il est très naturel de se defier autant d’un homme, qui nous est inconnu,

33
que de celui que nous ne connoissons que par ses endroits foibles. Je Vous

34
crois dans le premier cas vis à vis de moi; mais c’est avec mortification, que

S. 235
je me trouve moi-meme sous des preventions plus fortes à l’egard de Vous.

2
Neanmoins je Vous suppose
Anglois
, je veux dire, Monsieur, que ce grain

3
de reflexion, cette touche de sentimens, qu’on pense si essentiels au

4
caractere de Votre Nation, mes rassurent sur le pas difficile, que je m’en vais

5
faire. Agreez en retour de me supposer
homme
, tel qui malgré son air sombre

6
et misanthrope a cultivé cet instinct de l’humanité, qui nous appelle à faire

7
tout le bien et à empecher tout de mal, que nous pouvons.

8
Vous prenez un brouillard, que le jour vient de percer, pour une nuit

9
à couvrir les Secrets de Votre honte et un Mystère d’iniquité – – Vous Vous

10
amusez – – sur le bord d’un gouffre – – avec un monstre –. Malheur à tout

11
enfant gaté et ingrat, qui ose jetter une main parricide sur l’Ordre de la

12
nature, de cette mere sage et bienfaisante, de cette tendre nourrice – – –!

13
J’ai etudié l’homme, Monsieur; le degré, au quel le coeur humain peut

14
s’avaler, et la portée, à laquelle il est capable d’atteindre, me remplissent

15
tour à tour de crainte et d’envie. Cette connoissance a donné à mon esprit

16
des plis bien serieux. Ajoutez-y quelques revers de mon Sort en Vous

17
resouvenant de ce qu’un de Vos Genies a dit:

18
Dryden,
Oedipus
, Akt 3, Sz. 1, V. 4–6
A thinking Soul is punishment enough

19
But when ’t is great and wretched too;

20
Then ev’ry Thought draws Blood.

21
Dryden.

22
Me voici dans un pays etranger abandonné de toute ressource et de tout

23
appuy. L’amitié, graces au ciel! je n’ai jamais connu que celle qui est fille

24
de la Vertu et Soeur d’un vrai Bonheur, cette Amitié a eté la guide et la

25
compagne de ma première jeunesse. Helas! il m’a fallu encore languir ici

26
sans ses conseils, sans ses soulagemens, sans ses secours. Je vois perir mon

27
peu de talens comme une vigne faute d’autre echalassé. Enfin ce

28
qui fait le comble de mon chagrin j’ai eté forcé, en depit de moi-meme,

29
de me depayser sur le compte d’un seul – – que j’ai pratiqué ici avec toute

30
la bonne foi d’un honnete homme et avec toute la delicatesse d’un ami.

31
J’ai à rougir à present de notre familiarité et je m’en dois faire les reproches

32
les plus humiliantes. Après m’avoir rendu si souvent le martyr de sa

33
stupidité et de sa bassesse, la duppe de sa fanfaronnade et de son

34
effronterie, il s’est lassé lui-meme de
sa
masque, et moi, j’ai eu le degout et le

35
desespoir de l’attraper dans sa forme reelle. Prenez garde de Vous-meme

36
et de ce que Vous avez à craindre d’un vilain, qui se vend soi-meme à des

37
fantaisies les plus
monstruenses
– – qui fait sans doute un usage digne de

S. 236
Votre liberalité – – qui Vous a trahi mille fois par son indiscretion et par

2
ses mensonges – – Croyez un Dieu vengeur des crimes (le Diable meme

3
sauroit-il croire moins?) croyez-le, dis-je, et tremblez!

4
Je ne saurois entrer dans aucun detail ni de mes sentimens, ni de mes

5
decouvertes. Le Ton de cette Lettre Vous apprendra bien aisement, qu’elle

6
se fonde sur des
preuves
, dont la vuë et l’ouverture Vous feroit peut-etre

7
glacer. L’accueil, que Vous ferez à celle-ci, reglera mes mesures. Ce n’est

8
pas une lettre anonyme; la medisance ni le ressentiment n’en sont point

9
les motifs. Je veux satisfaire et l’homme en question et Vous, si
le

10
contenu de cette lettre
Vous jugez le contenu de ces lignes digne de Votre

11
faits et papiers
Hamann,
Gedanken über meinen Lebenslauf
, LS S. 340: „Er [Senel] hatte mir einen Pack Briefe längstens anvertraut, die er abzufordern vergessen hatte ungeachtet ihrer vorgegeb[enen] Wichtigkeit v die ich ihm auch nicht ich weiß nicht aus welcher Ahndung zurück gegeben ohne daß es mir jemals eingefall[en] war sein Vertrauen zu misbrauch[en]. Sie waren sehr loos versiegelt, ich konnte jetzt der Versuchung nicht wiedersteh[en] aus selbig[en] Gewisheit zu hab[en]. Ich erbrach solcher daher […] Ich fand leyder! zu viel um mich von seiner Schande zu überzeug[en]. Es waren abscheul. v. lächerl. Liebesbriefe, deren Hand ich kannte, daß sie von sein[em] vorgegeb[enen] gut[en] Freunde waren. […] Ich wollte mich ihm entdecken v meine Vorstellung[en] desweg[en] mach[en], daher ließ ich mir gefallen auf den vorig[en] Fuß wiewohl ohne dem Herzen mehr mich wieder einzulassen. […] Wie ich ihn darüber schien ruhig gemacht zu hab[en], glaubte er sich meiner allmählich mit gutem Fug entziehen zu können. Ich kam ihm zuvor und hatte eine andere Entschlüßung gefaßt, an den Engl.[änder] den ich kannte, selbst zu schreib[en], um ihm die Schändlichkeit v Gefahr seiner Verbindung[en] mit seinem Nebenbösewicht vorzustellen. Ich that dies mit so viel Nachdruck, als ich fähig war, verfehlte aber meines Endzweckes, an statt sie zu trennen, vereinigt[en] sie sich um mir den Mund zu stopf[en].“
attention ou le depositaire de quelques faits et papiers, qui Vous

12
interessent, digne de Votre egard. Ne brouilliez rien, je Vous en supplie; il y a trois

13
personnes, que Vous devez menager. C’est lui, c’est Vous-meme, c’est moi.

14
Je finis cettre lettre enveloppée et accablante avec un avis et un

15
Compliment hardi, dont Hamlet se servoit dans un Situation à peu près egale à

16
la mienne

17
Shakespeare,
Hamlet
, Akt 3, Sz. 4, V. 150–155
Repent what ’s past,
avoid what is to come

18
And do not sprend
the compost on the weeds

19
To make them ranker. Forgive me this my Virtue

20
For in the fatness of these pursy Times

21
Virtue itself of Vice must pardon beg

22
Yea, curb
and woo
,
to do
for
leave to do it good
.

23
Je suis avec une Consideration infinée.

Mein Herr,

es ist ganz natürlich, dass wir einem unbekannten Menschen eher misstrauen als jenem, von dem nur die schwachen Seiten bekannt sind. Ich glaube, Sie sind in Bezug auf mich dem ersteren Fall zuzuordnen; wegen einer Kränkung sehe ich mich allerdings zu stärkeren Maßnahmen gegen Sie angehalten. Nichtsdestotrotz halte ich Sie für einen
Engländer
, damit meine ich, mein Herr, dass dieses Körnchen Reflexion, dieser Hauch von Empfindung, die man für so grundlegend für den Charakter Ihrer Nation wähnt, mich auf dem steilen Weg, den ich zu bewerkstelligen habe, bestärkt. Gestatten Sie nun umgekehrt, mich für einen
Menschen
zu halten, der trotz seines düsteren und menschenfeindlichen Anscheins den Instinkt zur Menschlichkeit herausgebildet hat, der uns dazu verhilft, all das Gute zu tun und all das Schlechte zu verhindern, zu dem wir fähig sind.

Sie halten den Nebel, den der Tag soeben durchdrungen hat, für eine Nacht, mit der man die Geheimnisse Ihrer Scham und ein Rätsel der Ungerechtigkeit verdeckt – – Sie amüsieren sich – – am Rande des Abgrundes – – mit einem Ungeheuer –. Wehe jedem verdorbenen und undankbaren Kind, das es wagt, eine muttermordende Hand an die Ordnung der Natur, dieser braven und segenbringenden Mutter, dieser zärtlichen Ernährerin, zu legen!

Ich habe den Menschen studiert, mein Herr; das Ausmaß, in dem ein Menschenherz sich verschlingen kann, und die Wirkung, die es zu erreichen vermag, erfüllen mich abwechselnd mit Furcht und Lust. Diese Erkenntnis hat meinem Geist einen ernsthaften Knick versetzt. Fügen Sie hier ein paar Kehrseiten meines Schicksals hinzu, während Sie sich an die Worte eines Ihrer großen Genies erinnern:

A thinking soul is punishment enough

But when ’t is great and wretched too;

Then ev’ry Thought draws Blood.

Dryden.

Hier bin ich also in einem fremden Land, bar jeglicher Hilfe und jeglichen Halts. Freundschaft, dem Himmel sei Dank, habe ich nie eine andere kennengelernt als jene, die die Tochter der Tugend und Schwester eines wahren Glückes ist, diese Freundschaft war Führerin und Begleiterin meiner frühesten Jugend. Hier musste ich mich leider bisher ohne ihre Ratschläge, ohne ihre Beruhigung und ohne ihre Hilfe dahinschleppen. Ich sehe mein geringes Talent mangels anderer Stützpfähle wie einen Weinstock vergehen. Schließlich, und das war der Höhepunkt meines Leides, war ich – meiner zum Trotz – gezwungen, mich auf Kosten eines Einzigen abzulenken – – mit dem ich hier mit aller aufrichtigen Treue eines ehrlichen Mannes und all der Feinfühligkeit eines Freundes Umgang hatte. Wenn ich mir unsere Vertraulichkeit vergegenwärtige, erröte ich und mache mir die schlimmsten Vorwürfe. Nachdem er mich so oft zum Blutzeugen seiner Dummheit und Niedrigkeit, zum Betrogenen seiner Angeberei und Dreistigkeit gemacht hatte, war er
seiner
Maske überdrüssig geworden, und mir wurde die Abscheu und Verzweiflung zuteil, seine wahre Gestalt zu erblicken. Passen Sie gut auf sich und auf das auf, was Sie von einem Bösartigen zu befürchten haben, der sich den ungeheuerlichsten Fantasien hingibt – – der sich vermutlich Ihrer Freigebigkeit würdevoll bedient – – der Sie tausend Mal mit seiner Indiskretion und seinen Lügen verraten hat – – Glauben Sie an einen Gott, der die Verbrechen rächt (könnte selbst der Teufel noch weniger glauben?), glauben Sie an ihn, sage ich, und erzittern Sie!

Mir ist es weder möglich, auf meine Gefühle noch auf meine Entdeckungen genauer einzugehen. Dem Tone dieses Briefes werden Sie ohne Mühe entnehmen, dass dieser auf
Beweisen
gründet, deren Anblick und Eröffnung Sie vielleicht erstarren lassen. Wie Sie diesen Brief aufnehmen wird über meine Maßnahmen entscheiden. Dies ist kein anonymer Brief; weder Lästerei noch Groll sind sein Anlass. Ich möchte sowohl Sie als auch den besagten Mann zufriedenstellen, falls der Inhalt dieser Zeilen oder der Verwahrer einiger Tatsachen und Papiere, die Sie interessieren dürften, Ihrer Aufmerksamkeit würdig sind. Ich bitte Sie inständigst, nichts durcheinander zu bringen; Sie müssen nur drei Personen schonen. Ihn, Sie selbst und mich.

Ich beende diesen heiklen, niederschmetternden Brief mit einem Wort und unverfrorenem Lob, dessen Hamlet sich bediente, als er sich in einer ähnlichen Situation befand:

Repent what’s past,
avoid what is to come

And do not sprend
the compost on the weeds

To make them ranker. Forgive me this my Virtue

For the fatness of these pursy Times

Virtue itself of Vice must pardon beg

Yea, curb
and woo
, for
leave to do it good
.

Ich verbleibe in unendlicher Achtung.


Übersetzung von Joscha Sörös

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 69.

Bisherige Drucke

Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, I 122.

ZH I 234–236, Nr. 107.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
235/37
monstruenses
]
Geändert nach Druckbogen 1940; ZH:
monstrueuses