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278/25
Kgsberg den 10
Xbr.
84.

26
Herzenslieber Sohn,

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Ich war mir so wenig einen Brief von Dir den Freytag nach Deiner Abreise

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vermuthen, daß ich es nicht einmal der Mühe werth hielt auf der Post zu gehen.

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Desto angenehmer wurde ich den Sonnabend drauf von unerwarteter Freude

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überrascht die Nachricht Eurer glückl. Ankunft zu erhalten und auch HEn

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Kriegsrath Hippel damit zu erfreuen.

32
Deiner
Schwester
Lehnchen Geburtstag wurde bey HE Miltz gefeyert von

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unserm ganzen Hause, der uns zu Mittag eingeladen hatte weil es sein und

S. 279
seiner Tochter Geburtstag. Jgfr.
Hille
war auch gebeten und beschenkte Deine

2
Schwester mit einem rothen, Louischen mit einem blauen Bande. Lieschen

3
beschenkte ihre Freundin mit einem gedruckten Glückwunschs
billet,
Lehnchen mit

4
einem kleinen
Etui
Kalender, Marianchen mit einem
Souvenir.
Mutterchen u

5
Hillin spielte mit den Kindern und war so vergnügt, als sie noch nicht in
der

6
Stadt
, wie sie sich ausdrückte, gewesen war –
und ich lernte unterdeßen

7
im Brettspielen vom Philosophen von Braddau, der mich 2 Spiele

8
gewinnen ließ
.

9
Diesen Montag war bey HE
Jacobi
eingeladen schon die Woche vorher in

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Gesellschaft der beyden Geistl. die Du wohl weist des Cr. R. Jenisch u Prof

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Kraus – Gantz ungewöhnl. ließ mich HE Kr. R. ruffen, und ich zog diesen Ruf

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vor.   Vorgestern Abend ist HE Mayer zu Hause gekommen von seiner Wallfahrt

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nach Kurl. und besuchte
mich heute.
So viel von Neuigkeiten, die mich und unser

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Haus betreffen.

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Die Witterung hat mich gantz Muthlos manche Tage gemacht. Diesen gantzen

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Vormittag habe herumstreichen müßen. Hinz hat an Moses Oettinger

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geschrieben, daß der Dir zugedachte
Homer
nur auf Gelegenheit wartet; dafür hab ich

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auch einige sr. Aufträge hier besorgt, und auch dem Oettinger damit einen

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Gefallen gethan, der sich auch wegen seiner Unpäßlichkeit u Handels sich mit den

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Lappalien nicht abgeben kann. Er wollte morgen schon abreisen, wird aber noch

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8 oder 14 Tage hier bleiben.

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Euchel ist in Berlin u wird auch nächstens erwartet. Er ist in großer Gefahr

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zur See von Koppenhagen nach Lübeck gewesen, und ich erwarte ihn mit

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Schmertzen. An Biester, Nicolai, Hartknoch habe schreiben müßen; auch nach

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Düßeldorf das mir anvertraute zurückgesandt. Nun bin ich noch nach Weimar

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Antworten schuldig, die mir auf dem Herzen liegen; wozu ich aber noch

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Erklärung aus Riga abwarten muß. Reichardt ist mit einer jungen Tochter

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erfreut worden den 23
Nov.

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Der
Etat
für die kleinstädtschen
Gratification
en ist schon vor 3 Wochen hier.

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Woher unser hiesige ausbleibt, weiß niemand zu erklären. Zu dem allgemeinen

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Klagen u Murren komt noch das infamste Gewäsch, das sich weder glauben

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noch widerlegen läßt. Es geht alles zu gl. Theilen bis auf den kleinsten Besucher.

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Die Schiffart übertrift noch voriges Jahr und wenn die
Foien
noch wären,

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würd ich vielleicht über 200 rth u mehr zu genießen haben. Damit ließe sich

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noch was anfangen, jetzt wird mir der Eine Thaler schwer, wofür Deine

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Schwestern nähen lernen und der andere, dem ich dem ehrl.
le Roi
gern
doppelt

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bezahlen möchte.

S. 280
Horatz, Springers Kammerpräsident und
Romani
nebst Deinen Wischen

2
oder
Mst
n wollt ich sagen, warten nur auf Gelegenheit; denn mit der Post hab

3
ich nichts zu thun, auch des Einpackens wegen. Die Fortsetzung des Walchs wird

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denn auch da seyn – und wegen Sophiens Reise, hoffe ich selbige von

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Friedländer zu erhalten.

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Lieschen fängt auch schon an die verlangten Noten abzuschreiben. Aber

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1.
dum moliuntur, dum comuntur
– 2. wie die Wahl und Copie gerathen wird,

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steht auch dahin. Das Schreiben wird gantz nun bey Seite gesetzt – die kleine

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Uebung in der ital. Stunde ausgenommen.

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Vom Hill und dem Herrn Bruder aus Münster ist nichts zu hören

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HE Kriegsrath Hennings werde wills Gott! übermorgen besuchen. Er hat auf

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meine Empfehlung sich die Werke des
Retif de la Bretonne
angeschafft. Ob er

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sie fortgesetzt, weiß ich nicht; unterdeßen hoff ich ihn willig zu machen allmählig

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mir selbige so wol als Wünschens Kosmol. dorthin zu überlaßen.

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Der Auftrag von der Frau Kriegsräthin ist sogl von mir bestellt worden, und

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wie ich nicht anders weiß, alles bestellt und bereit zur ersten Gelegenheit.

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Daß ich nicht schrieb, mein lieber Sohn hab ich Dir schon zum voraus gesagt.

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Aber thun und ausrichten werd ich alles, was in meinen Kräften ist – und eben

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sowenig ermangeln zu schreiben, wenn ich nicht im stande bin etwas zu thun.

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Dies sind ja lauter Kleinigkeiten, die mir zur Hand sind, und bey welchen an

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der That gar nicht zu zweifeln ist.

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HE Kriegsrath bestellte bey mir eine Einlage, scheint sich aber wider bedacht

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zu haben. Dieser Brief wird also mit der morgenden Post nicht abgehen, sondern

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ich werde künftige Woche noch abwarten um wenigstens Raphaels Antwort

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beylegen zu können.

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Ich kann Dir nichts als einen Kalender zum künftigen Jahr schicken, mit

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denen ich unser ganzes Haus, neml mich u Lieschen an Lehnchens Geburtstage

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versorgt. Gesetzt auch daß die
Gratification
einkommt; so muß selbige doch die

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Bedürfniße des gantzen künftigen Jahrs bestreiten helfen. Die Zinsen des

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Hauses sind noch nicht gantz eingelaufen und es fehlen noch 7 rth daran.

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Schulden hab ich Gottlob nicht außer einer kleinen Bücher u

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Buchbinderrechnung, die sich ungefehr auf jenen Rückstand belaufen. Aber übrigens müßen

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wir uns an nothdürftiger Nahrung u Kleidung begnügen. Nuppenaus Sohn

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hat schon gnug unser Haus überlaufen um alte Sachen die Du abgelegt für sich

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zu erbetteln. Ich hab meine ganze Armen
casse
die aus wenig Gulden besteht,

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auf der Mutter Erinnerung, ihr überlaßen. Der Vater soll an der Waßersucht

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liegen und der junge kommt nicht. Vielleicht gehe ich morgen selbst, so sauer mir

S. 281
auch der Gang werden wird, diesen einzigen nahen Blutsfreund, den ich habe,

2
noch Ein- und vielleicht zum letzten mal in Augenschein nehmen; denn thun

3
kann
ich nichts und
mag
ich auch kaum für die unglückl. Leute etwas.


4
den 14 –

5
Sonnabends besuchte mich Löwen mit einer alten Bitte, die ich auf der Stelle

6
nach seinem Wunsch abgemacht. Aus dem Besuch bey
Nuppenau
ist nichts

7
geworden, weil ich bey HE Cons. Rath Bock gehen muste, von da auf die Schloß

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Bibl. wo ich mich mit des seel. Pr. Werners Sohn bekannt machte, der Dich auch

9
kennt – Nachdem ich lange im Zugwinde gestanden, ließ HE Pr. Reusch

10
absagen. Ich lief selbst zu ihm, er hatte sich aber niderlegen müßen, und ich

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versprach Sonntags wider anzusprechen. Ich suche hier allenthalben, aber umsonst,

12
nach
Ren Descartes Principia Philosophiae more geometrico demonstratae

13
per Ben. de Spinosa Amst.
663. 4
o
Sie sind weder auf der Schloß- noch

14
akademischen Bibl. HE Pr. Kraus hat mich eben besucht und wird auf seiner

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Rathsbibl. nachsehen, auch sonst Erkundigung thun. Wir haben eine sehr

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vergnügte Stunde zusammen geplaudert, nachdem wir uns einander erleichtert

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hatten. Sontag habe den gantzen Morgen bey HE Kr. Hennings zugebracht,

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auch wegen Wünsch Abrede genommen, der Dir nicht entgehen soll. Ich speiste

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bey HE Jacobi herzl. vergnügt, der guter Mann bey seinem Schwager

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denselben Nachmittag seyn sollte, und habe die nähere Bekanntschaft mit dem

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Assess.
Lilienthal gemacht. Gestern überschickte HE Kr. Rath Einl. und ließ mich

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zu Mittag bitten, von da gieng zu HE Prediger
Wanowsky,
der diese Nacht einen

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Anfall von Fieber bekommen. Er hat sein jüngstes Tochterchen vor 14 Tagen

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begraben laßen.

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Der alte Rector Daubler ist auch gestern beläutet worden. Heute begegnete

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ich HE
Wagner
der mir die fröhl. Nachricht brachte, daß HE Pf. aus

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Schmoditten diese Woche gewiß einkommen würde. Walch liegt fertig, nachdem ich

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selbst ein wenig durchgelaufen wegen des Origenes und seines außerordentl.

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Schicksals nach dem Tode. Deine zurückgelaßene Bücher werden auch dann

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mitkommen. Durch Löwen erwarte auch morgen die Sophie – Weist Du nicht

31
wo die
holl.
Handschrift, welche mir HE Miltz verehrt hingekommen? Ob sie in

32
einem Schrank oder Pult in der Kammer liegen mag. Meine Bücher kommen

33
alle um, wenn Du nicht bald mir zu Hülfe kommst, sie zu retten. Wenn
Cartesii

34
Werke franz. in des HE Kr. Bibl. seyn sollten, besonders seine Schrift
de

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Methodo
im fr. so wünschte selbige zum Gebrauch auf einige Wochen. Die

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Opuscula Posthuma
liegen auf meinem Tisch.

S. 282
Ich wünschte sehr wenn Du eine beßere Aussprache als ich Dir imstande zu

2
geben bin in der französischen Sprache mitbrächtest und Dich vor Deiner

3
Herkunft ein wenig darinn übtest, auch Deinen Freund
Ernst
dazu aufmuntern

4
möchtest.

5
Ich habe alle Lust verloren den Vetter
Nuppenau
zu besuchen u das ihm

6
zugedachte der Mutter gegeben, wenn sich der Sohn melden wird. Helfen kann ich

7
den Leuten nicht, und ihnen ist auch kaum zu helfen. Ohngeachtet der angestellten

8
Wetten ist unser
Etat
noch nicht angekommen. Heute sind die Besucher von
den

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Waagen
auf der
Direction
gewesen, morgen wird die
Brigade
erscheinen. Das

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Geld soll schon lange hier seyn. Woran es liegt, kann niemand begreifen. Eine

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abscheuliche Wirthschaft die unverantwortlich ist! Nun will man wegen der
Fooi

12
an den Prinzen Heinrich schreiben. Mein Nachbar schaft all sein Gesinde ab um

13
seine alte Haushälterinn von ihrem Mann zurückzunehmen. Fritzchen besuchte

14
Deine Schwestern und wird in
Pension
gegeben werden. Lieschen schreibt

15
Noten so gut sie kann. Was fertig ist, soll beygelegt werden. Kommt

16
Gelegenheit heran so erinnere
wenn es sich thun läst
wegen der 7 fl. für Heeringe u

17
Ratzenpillen.

18
Schreib so oft Du kannst und willst, ohne auf meine Antworten Rücksicht

19
zu nehmen; und wenn Dir etwas fehlt, so sag mir. Auf nothwendige Dinge

20
werd ich niemals Antwort schuldig bleiben. Was sich von selbst versteht, braucht

21
keine Worte.

22
Vergiß nicht Dich auch bey gegenwärtiger Zeit Dich derjenigen Verschen zu

23
erinnern, die Du in Deiner Kindheit gelernt hast:

24
Ein Herz, das Demuth liebet und

25
Kindlein! wir erkennen, daß Du der Heil. bist.

26
Laß diese Wahrheiten Dir niemals alt noch kalt werden, sondern Dir gleich

27
einem
verborgenen Schatz im Acker
seyn, Anfang und Fülle aller

28
Erkenntnis und Weisheit. Sonst verdirbt alle Zeit, die wir zubringen auf Erden. Wenn

29
alle Stricke reißen, das hält ewig. Himmel und Erde werden vergehen, aber

30
Sein Wort bleibt – und auf diesen Fels gründe Deinen Bau. Hör und glaubs,

31
was Dir Dein alter Vater aus
doppelter Erfahrung
sagt.

32
Nun mein liebes Kind, ich küße und herze Dich mit väterlicher Liebe und

33
Zärtlichkeit. Gott laße Dich auch in diesem neuen Jahr wachsen an Weisheit,

34
Alter und Gnade – Empfehl mich aufs Beste dem HE Kriegsrath, Frau

35
Kriegsräthin unter den besten Wünschen die ich für Ihr wie mein eigen Wohl thue –

36
für Dich wie für Deinen Freund.
Eure Freundschaft werde immer

37
inniger, gründlicher, reifer und fruchtbarer bis in das späteste Alter
.

S. 283
In diesem Stück freu ich mich Dich glücklicher zu sehen wie ich
bin
gewesen

2
bin; so sehr mich auch Gott an Freunden von Jugend auf geseegnet. Sag dem

3
alten Herrn alles Gute in meinem Namen. An HE Scheller hab ich selbst

4
geschrieben. Sey dankbar, aufmerksam und redlich gegen Ihn.
Vergiß auch

5
Deine gute Nachbarschaften nicht, die auch zum tägl. Brodt

6
gehören
. Mutter u Schwestern u Freunde denken an Dich – und noch mehr wie

7
alle Dein Dich treu liebender Vater und Nächster

8
Johann Georg H.

Provenienz

Druck ZH nach der überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 57.

Bisherige Drucke

Heinrich Weber: Neue Hamanniana. München 1905, 83–84, 73–75.

ZH V 278–283, Nr. 786.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
278/32
Schwester
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
Schwester
279/1
Hille
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
Hillin
279/13
mich heute.
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
mit heute.
Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1965): statt mit lies mir oder mich Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): mir heute.
281/31
holl.
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
holl
282/3
Ernst
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
Ernst
282/8
–9
den
Waagen
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
den Waagen