784
S. 270
Kgsberg den 1 Christm. 84.

2
Mein Verehrungswürdiger Freund,

3
Hier erhalten Sie Ihr mir Anvertrautes zurück mit dem lebhaftesten Dank.

4
Nach reifer Ueberlegung mußte ich mich
entschließen
selbiges
eigenhändig

5
abzuschreiben, machte den 16
pr.
den Anfang. Den Tag drauf kam mein lieber

6
Sohn vom Lande mit der Familie des Kriegsrath Deutsch – und den 21 war ich

7
fertig; er reiste den 24 wider ab. Die feuchte faule Witterung hat aber auf

8
meinen kahlen alten Kopf und ganzes Nervensystem so einen widrigen Eindruck

9
gemacht, daß ich fast an meinen Sinnen und Gedanken zu verzweifeln anfieng,

10
und ich mich erst seit gestern ein wenig erholt zu haben scheine.

11
Eine Abschrift war schlechterdings unentbehrlich wegen meines gebrechlichen

12
Gedächtnißes, deßen ich noch weniger mächtig als meiner Sprache und Zunge.

13
Ohngeachtet ich leider! meine meiste Zeit mit Lesen zubringe: so vergehen mir

14
doch die Gedanken, so bald ich das Buch zumache – und es geht mir im eigentl.

15
Verstande nach dem Sprichwort:
ex libro doctus
– Sie haben bereits einen

16
tumultuarischen Brief von mir erhalten, und gegenwärtiger wird kaum beßer

17
gerathen. Ich habe Ihnen bereits gesagt, warum ich so viel Antheil an dem mir

18
anvertrauten Briefwechsel nehme, und nehmen muß. In Ihrer Abschrift an H.

19
vom 30
Junii
haben mir die
Scrupel
,
die
man vorher
nicht gehabt,
die Sorge

20
vor gewißen läppischen
Aufsätzen, (um die ich mich auch bisher noch nicht

21
habe bekümmern können, welche ich eben wegen gewißer anderer Beziehungen

22
nicht aus dem Gesicht verloren – Wenn das große Beyspiel eines Leßing dort

23
so viel Bedenken macht; wie auffallend muß es dort scheinen den M. selbst

24
eines
atheistischen Fanatismus
angeklagt zu sehen! Alle diese

25
Erläuterungen fehlten mir, um den von Berlin erhaltnen Wink zu verstehen. Ich

26
vermuthe, daß mein blinder Angriff meinen alten Freund M. noch mehr

27
aufmuntern wird sich über den
Spinozismus
zu erklären – worauf ich mich also

28
vorbereiten muß, die Sache, ihn und mich selbst, unsere verschiedene Gesichtspuncte

29
drüber zu vergleichen. Ein Versuch ist immer der Mühe werth – und
voluisse

30
sat est.

31
Ich habe gestern und diesen Abend Ihre Handschrift noch einmal

32
durchgelesen, und muß gestehen daß ich so ziemlich verstehe, nur nicht die

33
Erinnerungen
Mendelssohns – aber desto mehr die Wahrheit seiner Bemerkung, mehr an

34
ihm als mir selbst, ohngeachtet ich in meinem 55sten Jahr bin. Der Wandel

35
nach väterlicher Weise vereckelt mir keinen andern Weg.

36
Der
Tract. Th. Polit.
nebst den
opp. posthumis
liegen schon auf meinem

S. 271
Tische; aber ich muß seine
Princ. Phil. Cart.
auch ansehen, weil ich wie

2
Leibnütz den
Spinozisme
für einen
Cartesianisme outré
halte.

3
Das System, welches
Louis Mayer
in
Spinoza
Namen nach seinem Tode

4
ausgegeben haben soll ist mir auch gantz unbekannt, und ich wünschte sehr daß

5
M. sich darüber näher erklärt hätte, was er für ein Buch meynt.

6
Es fehlen mir noch einige andere Qvellen und Hülfsmittel z. E. ich besinne

7
mich nicht jemals des
Coleri
Leben gelesen zu haben, ohngeachtet es eben kein

8
selten Buch ist. Ich weiß nicht was für ein Vorurtheil theol. Partheylichkeit hat

9
mich abgehalten, ohne einigen Grund wider den Verfaßer. Die Qvelle von
Εν

10
και παν
ist mir auch ungewiß. Der bekannte Spruch im Sirach lautet anders

11
im Griechischen und noch spinosistischer:
το παν εστι αυτος
.

12
Ihre Vergleichung des Tief- u Scharfsinns mit dem Durchmeßer und der

13
Sehne eines Circuls ist mir weder genau noch
deutlich
gnug. Meine Phantasie

14
hat auf eine andere Art mit dieser Figur gespielt. Tiefsinn zu
Wahrheiten
, die

15
sich alle einander gleich sind, u
ein
den Mittelpunct durchschneiden. Scharfsinn

16
zu
Wahrscheinlichkeiten
, welche lauter Durchmeßer kleinerer Circul sind,

17
alle mögl. entgegengesetzte Puncte der Peripherie berühren können,
nur nicht

18
ohne den Mittelpunct, auch eines Parallelismi fähig sind.

19
Bey
aller Schönheit des Gedichts kann ich die Anwendung nicht finden, die

20
Leßing davon gemacht. Wozu dürfte sich Jupiter nicht an die Erde und Hütte

21
des Menschentöpfers vergreifen. Jupiter war als ein Sclav des ewigen

22
Schicksals ebenso zu beklagen und weder zu verwünschen noch zu verachten, als

23
Prometheus thut. Die
erste Hand
, welche Leßing meynte, war vermuthlich

24
Aeschylus
.

25
To
be
, or not to be? That is the question.
Seyn
ist freylich das
Ein
und

26
Alles
jedes Dings. Aber das
το Ον
der alten Metaphysik hat sich leider! in ein

27
Ideal der reinen Vernunft verwandelt, deßen Seyn und Nichtseyn von ihr

28
nicht ausgemacht werden kann.
Ursprüngliches
Seyn
ist Wahrheit;

29
mitgetheiltes ist Gnade. Nichtseyn, ein Mangel, auch wol ein Schein von beyden,

30
über deßen mannigfaltiges Nichts sich Einheit und Mittelpunct aus dem

31
Gesicht verliert. So gieng es Sp. und vielleicht L.
Ueber des ersten System bin ich

32
nicht eher imstande meine Herzensmeynung Ihnen zu sagen, bis ich selbiges

33
ein wenig näher selbst kennen werde. Was den letztern anbetrift, so beruhigt

34
mich sein letztes Geständnis, vermöge deßen dies sein gewesenes

35
Lieblingssystem, das vermuthl. in seinem Kopf eine gantz andere Gestalt als im

36
Cartesianischen u Jüdischen gehabt – ihm
selbst nichts erklärt hat sondern ihm am

37
Ende nichts mehr als die Substitution einer Formel für die andere zu seyn

S. 272
schien, wodurch man auf neue Irrwege geräth ohne dem Aufschluß näher zu

2
kommen.

3
Die Metaphysik hat ihre Schul- und Hofsprache; beyde sind mir verdächtig,

4
und ich bin weder imstande sie zu
verstehn noch
selbst mich ihrer zu bedienen.

5
Daher ich beynahe vermuthe, daß unsere ganze Philosophie mehr aus Sprache

6
als Vernunft besteht
, und die Misverständniße unzähliger Wörter, die

7
Prosopopöee der willkührlichsten Abstractionen, die Antithesen
της ψευδωνυμου

8
γνωσεως
, ja selbst die gemeinsten Redefiguren des
Sensus communis
haben

9
eine ganze Welt von Fragen hervorgebracht, die eben mit so wenig Grund

10
aufgeworfen, als beantwortet werden. Es fehlt uns also noch immer an einer

11
Grammatik
der Vernunft, wie der Schrift und ihrer gemeinschaftlichen

12
Elemente, die durch einander gehen, wie die Sayten auf dem Psalter

13
durcheinander klingen, und doch zusammen lauten.

14
Gott, Natur und Vernunft haben eine so innige Beziehung auf einander, wie

15
Licht, Auge und alles, das jenes diesem offenbart, oder wie Mittelpunct, Radius

16
und Peripherie jedes gegebenen Circuls, oder wie Autor, Buch und Leser.
Wo

17
liegt aber das
Rätzel
des Buchs? In seiner Sprache oder in seinem Inhalt? Im

18
Plan des Urhebers oder im Geist des Auslegers?
– Doch meine
crassa Minerua

19
hat mehr Lust zu kälbern, als weiter zu pflügen –


20
den 5 am
II
Advent Sont.

21
Den 2 gieng meine mittelste Tochter, unsers Claudius Pathin, Lehne Käthe

22
in ihr 11
tes
Jahr; ein guter Freund in meiner Nachbarschaft in mein 55 u seine

23
einzige Tochter zugl. in ihr 10
tes
– Als ein reicher Capitalist nahm er die Kosten

24
u Unruhe der Feyer auf seine Rechnung, und ich erschien mit meinem ganzen

25
Hause. Es war niemand mehr gebeten als eine junge Anverwandtin des Hauses,

26
die Schwester meines wandernden Freundes Hill, welche sämtl. Mädchen im

27
Nähen p Unterricht giebt. Die Mutter meiner Kinder spielte in einer kalten

28
Stube Blindekuh, Wülfchen pp und wir beyde alten saßen am Ofen. Mein Wirth

29
unterhielt mich von seinen Ebentheuern in dänischen u holl. Diensten, von

30
seinem langen vergnügten Aufenthalt in Guinea von den schwarzen Sclaven und

31
Sclavinnen, und wie ihm noch jenen Morgen davon träumte. Wir hörten in der

32
andern Stube so laut und vergnügt lachen, daß uns auch die Lust ankam ein

33
Spiel zu machen. Ich habe wenig Neigung gehabt und durch die Zeit alle Lust

34
dazu verloren. Es war nichts als ein Dambrett im Hause, und ich entschloß

35
mich auf einmal Unterricht in einem Würfelspiel zu nehmen das ich niemals

36
recht leiden noch begreifen können; D. Luthers Randgloße zu
Neh. III.
5.

S. 273
Die Empfehlung meines Wirths und seine
Artigkeit
mich beyde Spiele

2
gewinnen zu
laßen werden
mich beynahe in die Versuchung führen die

3
Gesetze u den Gang dieses Zeitvertreibes beßer kennen zu lernen. Wir giengen

4
bey guter Zeit vergnügt nach Hause, u meine Hausmutter versicherte 2mal noch

5
nicht in der Stadt so vergnügt gewesen zu seyn; weil es wirkl. eine ganz

6
außerordentl. Seltenheit ist, unser Haus gantz allein zu laßen und einer Magd

7
anzuvertrauen. Es war schon alles zu Bette, da ich noch eine Unordnung entdecken

8
muste, die mich in Harnisch brachte, und keinen kleinen Sturm nach sich zog,

9
der aber bald mit einer Windstille abwechselte. Die beyden Tage drauf war an

10
dem stoischen Jupiter und seiner
windigen
ähnlichen Frau Gemalin die

11
Reyhe, daß mich in mein Gehäuse habe verkriechen müßen und meine 4

12
Hörnerchen nicht ausstrecken dürfen. Gestern kam des Abends beym Sturm noch ein

13
Feuerschrecken in der Nachbarschaft meines Freundes, des dirigirenden

14
Oberbürgermeisters. Zu
guten
Glück war es blos ein verwahrloster Schorstein. Ich

15
konnte also ruhig die Woche beschließen und meine Leute mit einer Predigt aus

16
Hahns
kleiner Postill, die mir
Lavater
verehrt, an der ich mich aber seit 77 so

17
müde gekau
ft
t, daß ich mich an dem Verdienst ihrer Kürze begnügen muß –

18
einschläfern.

19
Heute erwach ich frühe und nach genoßenem Frühstück liegt mir
Ackens

20
Samml.
heil. Reden
offen, die ich geborgt um einem Freund auf dem Lande

21
damit einen Gefallen zu erweisen, der seine Erwartung nicht dabey gefunden,

22
wie es scheint, daher ich sie noch einmal gelesen, um zu wißen, an weßen

23
Geschmack die Schuld liegt. Ich las also die
IX
des 2ten Bandes
vom Zufall
u.

24
Schicksal
zu meiner PrivatErbauung, um der öffentl. überhoben zu seyn, der

25
ich mich seit einiger Zeit sehr oft aus Noth entziehen muß. Die Materialien

26
schienen mir alt, bekannt und gemein; aber
gewiße Handgriffe in der Form
u.

27
Methode haben desto mehr Eindruck auf mich gemacht und verdienten gemeiner

28
gemacht und nachgeahmt zu werden. Wenn Zufall nichts ist, Schicksal nichts

29
ist – läuft denn der ganze Unterschied des Deterministen u Fatalisten nicht auf

30
ein
de lana caprina
heraus – auf ein hypostasirtes Symbolum der

31
Unwißenheit?

32
Ungeachtet der Zwischenfeyer an diesem Briefe, bin ich nicht gantz müßig

33
gewesen. Ein unbekannter Bote brachte mir die
Memoires
u
Anecdotes
des seel.

34
Voltaire
ins Haus. Ich hatte 14 Tage in meinem Schreibpulte die deutsche

35
Uebersetzung liegen gehabt wider meine Gewohnheit
u
ohn zu wißen warum?

36
wie es mir einfiel selbige mit der fr. Urkunde zu vergleichen. Auch wegen des

37
Ludw. Meyers habe mehr Nachrichten eingezogen. Ihm werden im
Niceron
u

S. 274
Gundling nicht mehr als 2 Bücher
zugeschrieben
.
Lucii Antistii Constantis de

2
Jure Ecclesiasticorum,
das ich in meiner frühen Jugend mit mehr Aergernis als

3
Einsicht erinnere gelesen zu
haben,
Leibnitz hielt aber den bekannten
La Court

4
oder
van den Hooft
für den wahren Verfaßer. Das 2te Buch
ist
φφ
ia

5
Sacrae Scripturae interpres,
davon ich eine holl. Uebersetzung selbst besitze, als

6
ein Geschenk des oben erwähnten Freundes, der es von einem Officier in
Guinea

7
ererbt und mir versichert, eine deutsche Uebersetzung davon vor ein paar Jahren

8
in der allgemeinen Bibl. angekündigt gefunden zu haben. Demohngeachtet

9
wünschte ich recht sehr es zuverläßig zu wißen, ob Mendelssohn eins von diesen

10
beyden Büchern und welches er meynt, worüber Sie leicht eine Erklärung durch

11
Ihre gemeinschaftl. Freundin in Hamburg erhalten können, weil ich nicht ruhen

12
kann, ohne allen mögl. Qvellen bis auf den Grund nachzuspüren. Bitte mir

13
die Nachricht davon zukommen zu laßen; besonders deshalb, weil Mendelssohn

14
über den Spinozismum schreiben will.

15
Was L. betrift; so bin ich beynahe überzeugt ihn persönl. etwa zur Fastenzeit

16
57 in Amsterdam auf einem öffentl.
Concert
gesehen zu haben. Ich hatte eine

17
Unruhe den Mann anzureden, daß ich ihn nicht aus den Augen ließ und beym

18
Ausgange noch einige Straßen verfolgte, aber zu blöde war auf eine bloße

19
Ahndung ihn u mich in Verlegenheit zu setzen. Was urtheilen Sie Selbst aber,

20
Mein verehrungswürdiger Freund, von des Mannes Ehrlichkeit und

21
Aufrichtigkeit in dem ganzen Handel über die Fragmente? Hat nicht der Hamb. Oelgötze

22
bey aller seiner Dummheit im Grunde Recht gehabt? Läst sich wol mit dem

23
panischen System im Kopf ein christlich
Vater unser
beten
? Lag nicht im Eifer

24
des unglückl. Mannes, Feindschaft gegen das Christentum auf dem Boden?

25
War’s die Rolle eines christl. Philosophen, deßen Maske er brauchte, oder eines

26
Heuchlers
und
Sophisten
, die er spielte?
Hinc illae lacrumae
– Ist es

27
Philosophie und Religion oder theologico-politische Schwärmerey, Klugheit und

28
Eitelkeit, welche meinen alten Freund Mendelssohn, (
wenn
falls der

29
erhaltene Wink aus Berl. seine Richtigkeit hat)
so empfindlich macht gegen den

30
Vorwurf eines
Atticismi
,
wenn ich nicht
aus
mit blinder Einfalt,
ohn es
zu

31
wißen, den Sitz des Geschwürs getroffen hätte. Möcht’ Er sich nur gelüsten

32
laßen sich an meinen
pudendis
mit seinem metaphysisch ästhetischen

33
Scheermeßer zu vergreifen; ich will mich meiner Haut mit seines
Landsmanns

34
Kinnbacken schon wehren. O daß doch jene Delila an der Elbe unserm bärtigen

35
Philosophen die Wangen streichelte, und sein Versuch über den Spinozismum

36
bald erschiene! Er, der sich weiser
dünkt
als Nathan – und Heman, den Schauer

37
des Königs in den Worten Gottes das Horn zu erheben.

S. 275
Verzeihen Sie mir eine kleine Ergießung meiner Galle, welche mir

2
wohlthätig ist um meinen braunen Kohl und Rinderbraten desto appetitlicher und

3
verdaulicher zu machen. – –

4
Mittagsschlaf und der etwas langweilige Besuch eines jungen Menschen

5
haben mir so viel Zeit gekostet, daß ich eilen muß mit meinem Briefe noch heute

6
fertig zu werden. Sie merken, mein Verehrungswürdiger Freund, daß es mir

7
eben geht wie Ihnen. Ich bin kein Gelehrter, und am wenigsten ein Metaphysiker.

8
Nach Himmel und Erde
frage ich nichts und erwarte mit Sehnsucht des

9
Geistes die Erfüllung des heutigen
Sontagsevangelii
an des Spinoza seinen

10
Pan – daß dies ganze Gerüste eines beßeren Himmels und einer beßeren Erde –

11
weil ich für meinen Heerd eben so wenig besorgt
bin
als Ihr Prometheus – im

12
Feuer aufgehe!

13
Die
Thorheit des
Christentums
ist gantz nach meinem Geschmack und

14
meines Herzenswunsch, einer gesunden Menschenvernunft und Menschengefühl

15
so
angemeßen
, wie der Majestät des Vaters und Weltrichters, daß alle

16
Altflickereyen unsers Jahrhunderts die gröste Schandflecken und Brandmahle ihrer

17
Unwißenheit u Unverschämtheit sind.

18
Sapere aude
– zum Himmelreich gehört kein
Salto mortale.
Es ist gleich einem

19
Senfkorn, einem Sauerteige, einem verborgenen Schatz im Acker, einem

20
Kaufmann, der köstliche Perlen suchte und eine gute fand –
το παν εστιν ΑΥΤΟΣ
.

21
Alle Fülle der Gottheit hat in einem Kindlein klein, in einer Krippe Raum. Was

22
Leßing glaubte von der Expansion und Contraction im Leibnitz gelesen zu haben,

23
komt mir fast wie ein Gedächtnisfehler vor und bezieht sich vielleicht auf eine

24
Anführung des Bayle aus dem
Bernier.
Nach meinem
Anthropomorphismo
ist

25
der Othem seiner Nase und der Hauch seines Mundes hinlängl.
Ψ
CIV.
29, 30.

26
Weh uns, wenn es auf uns ankommen sollte erst Schöpfer Erfinder und

27
Schmiede unsers künftigen Glücks zu werden. Das erste Gebot heist: Du
sollt

28
eßen
Gen.
II.
und das letzte: kommt, es ist alles bereit. Eßet, meine Lieben, und

29
trinkt meine Freunde, und werdet trunken. Aber mathematische Gewißheit?

30
wenn
Mit der wird es so aus seyn, wenn Himmel u Erde vergehen. Seine

31
Worte aber vergehen nicht; und eben so wenig ihre Gewißheit.

32
Gott schenke Ihnen Gesundheit und viel Freude zur Weynachtsfeyer und

33
dem Neuen Jahr. Seegen über Sie und die lieben Ihrigen! Ich habe auch nicht

34
schreiben können, was ich habe schreiben wollen. Bitte für lieb zu nehmen und

35
alles zum Besten zu kehren. Auch ich nehme mir die Freiheit Sie an
Turgot
zu

36
erinnern. Wegen unserer
Beaumont
habe bereits meines Wißens das Nöthige

37
erinnert: sie
selbst
noch nicht besuchen können; weil ich keinen Gang thue,

S. 276
ohne ausdrückl. Beruff und Geschäfte, dazu ich die Gelegenheit freylich oft vom

2
Zaune
breche. Auch die angemerkte Stücke des Museums noch nicht zu Gesicht

3
bekommen, weil ich mich bey den beyden hiesigen Buchladen enthalten muß;

4
der eine mich nicht leiden kann, und ich nicht fügl. den andern; das

5
Bücherkaufen mir aber verboten ist. Neßir und Zulima schickte mir meine im vorigen Briefe

6
genante Freundin zu an einem Sontage; aber auf die 2 Stellen kann ich mich

7
nicht besinnen. Claudius machte mir Hoffnung zu
diesen
Bogen, muß es aber

8
vergeßen haben. Wie kommt Ihr HE Bruder der Kanonicus zu einem

9
Profeßorat? Viel Glück! Ist der liebe Jacobi zu Zelle, der meinen Hill so gut

10
aufgenommen auch Ihr Verwandter? Ich bin morgen bey Ihrem hiesigen

11
Namensvetter, weiß nicht wozu? eingeladen. Können Sie auch meine abscheul. Hand

12
lesen? In Leßings Menschenerziehung fiel mir auch so eine Stelle auf; obs die

13
angeführte seyn mag, weiß ich nicht, weil mir dies Buch auch fehlt. Von
Hemst.

14
besitze blos seine
lettre sur l’homme;
einer seiner Freunde im Haag versprach

15
mir all seine Werke – die ich aus Verdruß nur kalt in der Uebersetzung

16
angesehen habe. Unser Kant bewundert ungemein die Kunst seines Dialogs – aber

17
auch was unser Freund in W. übersetzt, ist nicht recht nach meinem Geschmack

18
non possum dicere quare?
Gnug zum
Vehiculo
des mir anvertrauten. Das

19
übrige in Gottes Ohr und von dort in Ihr freundschaftliches Herz!

20
Joh. Ge. Hamann


21
Vermerk von Jacobi:

22
Königsberg den 1.
sten
Xbr.
1784.

23
J. G. Hamann

24
empf den 24.
ten

25
beantw den 31.
sten
Xbr
84

26
und 11
Jan
85.

Provenienz

Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.

Bisherige Drucke

Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, I 391–395.

Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 19–27.

Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 3: 1782–1784. Hg. von Peter Bachmaier, Michael Brüggen, Heinz Gockel, Reinhard Lauth und Peter-Paul Schneider. Stuttgart-Bad Cannstadt 1987, 393–400.

ZH V 270–276, Nr. 784.

Zusätze fremder Hand

276/22
–26
Friedrich Heinrich Jacobi

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
270/4
entschließen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
entschließen,
270/19
die
]
Geändert nach Druckbogen 1940; ZH:
die
271/19
Bey
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Bei
271/25
Seyn
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Seyn

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988):
Seyn
271/25
–272/19
To […] –]
Die Passage ist in der Handschrift von Jacobi am Rand markiert.
271/28
–31
Ursprüngliches […] L.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
271/36
–272/2
selbst […] zu kommen.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
272/4
verstehn noch
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
verstehn, noch

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): verstehn noch
272/5
–6
Daher […] besteht]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
272/16
–18
Wo liegt […] Auslegers?]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
272/17
Rätzel
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Räzel
273/1
Artigkeit
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Artigkeit,
273/2
laßen werden
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
laßen, werden

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): laßen werden
273/14
guten
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
gutem
273/20
Samml.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Saml.

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): Samml.
273/26
gewiße […] Form]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
gewiße Handgriffe in der Form
273/35
u
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
und
273/37
Niceron
u
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Niceron und
274/1
zugeschrieben
.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
zugeschrieben.
274/3
haben,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
haben;
274/4
ist
φφ
ia
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
ist
Philosophia

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): ist
φφ
ia
274/6
Guinea
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Guinea
274/16
Concert
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Concert
274/23
Vater unser
beten
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Vaterunser beten

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988):
Vaterunser
beten
274/29
–30
so […] Atticismi]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen; „Atticismi“ doppelt unterstrichen.
274/30
ohn es
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
ohne es

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): ohn es
274/33
Landsmanns
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Landmanns

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): Landsmanns
274/36
dünkt
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
dünkt,
275/9
Sontagsevangelii
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Sonntagsevangelii

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): Sontagsevangelii
275/11
bin
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
bin,
275/13
Christentums
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Christenthums
275/13
Die
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Die
275/15
angemeßen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
angemessen

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): angemeßen
275/37
selbst
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
aber
selbst
276/2
Zaune
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Zaun
276/7
diesen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
diesem
276/22
Xbr.
1784.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Xbr.

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): Xbr. 1784.