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Kgsberg den 31 8
br Dom XXI. p Trin
84.
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Liebster Gevatter, Landsmann und Freund,
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Habe heute den ganzen Tag trübsinnig zu Hause zugebracht, ohngeachtet ich
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schon gestiefelt war unsern Dorow zu besuchen, der noch bey späten Abend mit
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Freud und Leid mich überrascht. Vormittag sprach auch Friedrich zum ersten
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mal bey mir nach seiner Heimkunft an,
und
er ist willens mit dem Neuen Jahr
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nach Memel zu gehen, und dort sein Heil zu versuchen.
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Gott erhalte und vermehre Ihre Häusliche Ruhe und Glückseeligkeit, in einem
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treuen Arm sich Ihres Leben zu erfreun – und schenke Ihnen bald das neue
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Unterpfand Seines Seegens und Ihrer herzlichen Liebe.
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Wie komt Claudius nach Schlesien? er ist doch kein Herrnhuter, oder was
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sind seine dortigen Seelenfreunde? Etwa Haugwitz. Das Schicksal der Lebenden
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geht mich näher, als der Todten.
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Am Ende des Junii erhielt einen Brief vom ältesten Hogendorp, nebst ein
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paar Zeilen von seiner würdigen Mutter. Ich bin noch nicht im stande gewesen
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darauf zu antworten, weil mir graut die Feder anzusetzen, besonders im
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französischen. Ein jüngerer Brief war jenem lange zuvorgekommen, und ich hatte ihn
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daher für verloren gehalten.
Karl
wird so gut die Feuer- als Waßerprobe
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aushalten. Was Sie mir von dem jüngeren Schmohl melden, beruhigt mich über
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unsers guten und ehrl. Vetters Schicksal, und wird auch seinen Eltern zum
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Trost gereichen. Ein Hunger u Kummer Leben, mit Chimären im Kopf u. einem
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nagenden Wurm im Herzen – vertreibt die Bitterkeit des Todes.
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Hintz ist vorige Woche durch gegangen und hat mir Nachrichten aus Weimar
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gebracht, von da ich etwas durch Sie erwartet habe und erhalten sollte – welches
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aber, wie ich ersehe, nicht geschehen können.
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Wo ist Ihr Leuchsenring geblieben? Daß er nicht der
reisende Franzos
, hab
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ich Ihnen, meines Wißens, schon gemeldt. Kraus wollte schon vorige Woche
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die Reliquien unsers seel. Kreutzfeld Ihnen übermachen; zweifele aber, daß es
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geschehen. Wenn ich alter Mann nicht zu ihm gehe, zu mir kommt er nicht. Bitte
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mich auch mit einem Exemplar zu bedenken, da Sie die Ausstattung über sich
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nehmen.
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Was soll ich Ihnen sonst melden? Mein alter Kopf sorgt sich stumpf und
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grau und schachmatt. Dem seel. Sander zu Ehren hab ich meine Frisur
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umgeschaffen
, (wie der Hofprediger M. Schultz in seinen Erläuterungen über
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Kants Kritik sagt) und mir eine runde Rectorperücke zugelegt. Mein Sohn lebt
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noch zu Graventihn und wird erst vermuthl. zu Ostern seine akademische
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Laufbahn antreten können.
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Meine freundschaftliche Empfehlung an Ihre nächste Freundin mit dem
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Wunsch, daß Sie bald eine fröhliche Kindermutter werden möge, und an den
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ganzen lieben schönen Kreis Ihres Hauses. Meine 3 Mädchen grüßen und
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küßen Louischen und Pathchen Julie. Ich umarme Sie und ersterbe mit alter
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Treue
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Ihr
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ewig ergebener Landsmann, Gevatter, Freund u. Diener
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Johann Georg Hamann.
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Was macht der Königl. Bibliothekar
D.
Biester, daß er nicht
B
sagt? Es
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fehlen aber noch 2 Monathe am gantzen Jahrgange – u vielleicht erbarmt sich ein
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ehrl. Jude und bringt ihn mit, daß ich das Biergeld des Postträgers ersparen
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kann, wie den verfluchten fr. Haarbeutel an meiner Rectorperücke. Nicht nur
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Seewaßer sondern Blut möchte ich den Hunden ins Gesicht speien, – mit der
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Gratification
wird es wie mit
Fooi
en gehen, und mit dem Holtzkloben
etat
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können sie auch noch nicht fertig werden. Was für
infame Memoires
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posthumes
von unserm philos. Jahrhundert werden noch ans Licht kommen! Mein
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Nachbar hat diese Woche seine Barbe, die
General
Hure,
welche ihn
en canaille
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bestohlen u gekrönt, ausgesteuert, (heute ist Nachttag) an einen Grosbürger u
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Mältzenbräuer der Altstadt. Gute Nacht!
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Adresse:
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HErrn Reichardt / Königl. Capellmeister / zu /
Berlin
.
Provenienz
Druck ZH nach der überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 1.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VII 177 f.
ZH V 253–255, Nr. 779.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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Hure, ]
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Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: Hure. |