779
253/24
Kgsberg den 31 8
br Dom XXI. p Trin
84.

25
Liebster Gevatter, Landsmann und Freund,

26
Habe heute den ganzen Tag trübsinnig zu Hause zugebracht, ohngeachtet ich

27
schon gestiefelt war unsern Dorow zu besuchen, der noch bey späten Abend mit

28
Freud und Leid mich überrascht. Vormittag sprach auch Friedrich zum ersten

29
mal bey mir nach seiner Heimkunft an,
und
er ist willens mit dem Neuen Jahr

30
nach Memel zu gehen, und dort sein Heil zu versuchen.

31
Gott erhalte und vermehre Ihre Häusliche Ruhe und Glückseeligkeit, in einem

32
treuen Arm sich Ihres Leben zu erfreun – und schenke Ihnen bald das neue

33
Unterpfand Seines Seegens und Ihrer herzlichen Liebe.

34
Wie komt Claudius nach Schlesien? er ist doch kein Herrnhuter, oder was

S. 254
sind seine dortigen Seelenfreunde? Etwa Haugwitz. Das Schicksal der Lebenden

2
geht mich näher, als der Todten.

3
Am Ende des Junii erhielt einen Brief vom ältesten Hogendorp, nebst ein

4
paar Zeilen von seiner würdigen Mutter. Ich bin noch nicht im stande gewesen

5
darauf zu antworten, weil mir graut die Feder anzusetzen, besonders im

6
französischen. Ein jüngerer Brief war jenem lange zuvorgekommen, und ich hatte ihn

7
daher für verloren gehalten.
Karl
wird so gut die Feuer- als Waßerprobe

8
aushalten. Was Sie mir von dem jüngeren Schmohl melden, beruhigt mich über

9
unsers guten und ehrl. Vetters Schicksal, und wird auch seinen Eltern zum

10
Trost gereichen. Ein Hunger u Kummer Leben, mit Chimären im Kopf u. einem

11
nagenden Wurm im Herzen – vertreibt die Bitterkeit des Todes.

12
Hintz ist vorige Woche durch gegangen und hat mir Nachrichten aus Weimar

13
gebracht, von da ich etwas durch Sie erwartet habe und erhalten sollte – welches

14
aber, wie ich ersehe, nicht geschehen können.

15
Wo ist Ihr Leuchsenring geblieben? Daß er nicht der
reisende Franzos
, hab

16
ich Ihnen, meines Wißens, schon gemeldt. Kraus wollte schon vorige Woche

17
die Reliquien unsers seel. Kreutzfeld Ihnen übermachen; zweifele aber, daß es

18
geschehen. Wenn ich alter Mann nicht zu ihm gehe, zu mir kommt er nicht. Bitte

19
mich auch mit einem Exemplar zu bedenken, da Sie die Ausstattung über sich

20
nehmen.

21
Was soll ich Ihnen sonst melden? Mein alter Kopf sorgt sich stumpf und

22
grau und schachmatt. Dem seel. Sander zu Ehren hab ich meine Frisur

23
umgeschaffen
, (wie der Hofprediger M. Schultz in seinen Erläuterungen über

24
Kants Kritik sagt) und mir eine runde Rectorperücke zugelegt. Mein Sohn lebt

25
noch zu Graventihn und wird erst vermuthl. zu Ostern seine akademische

26
Laufbahn antreten können.

27
Meine freundschaftliche Empfehlung an Ihre nächste Freundin mit dem

28
Wunsch, daß Sie bald eine fröhliche Kindermutter werden möge, und an den

29
ganzen lieben schönen Kreis Ihres Hauses. Meine 3 Mädchen grüßen und

30
küßen Louischen und Pathchen Julie. Ich umarme Sie und ersterbe mit alter

31
Treue

32
Ihr

33
ewig ergebener Landsmann, Gevatter, Freund u. Diener

34
Johann Georg Hamann.


35
Was macht der Königl. Bibliothekar
D.
Biester, daß er nicht
B
sagt? Es

36
fehlen aber noch 2 Monathe am gantzen Jahrgange – u vielleicht erbarmt sich ein

S. 255
ehrl. Jude und bringt ihn mit, daß ich das Biergeld des Postträgers ersparen

2
kann, wie den verfluchten fr. Haarbeutel an meiner Rectorperücke. Nicht nur

3
Seewaßer sondern Blut möchte ich den Hunden ins Gesicht speien, – mit der

4
Gratification
wird es wie mit
Fooi
en gehen, und mit dem Holtzkloben
etat

5
können sie auch noch nicht fertig werden. Was für
infame Memoires

6
posthumes
von unserm philos. Jahrhundert werden noch ans Licht kommen! Mein

7
Nachbar hat diese Woche seine Barbe, die
General
Hure,
welche ihn
en canaille

8
bestohlen u gekrönt, ausgesteuert, (heute ist Nachttag) an einen Grosbürger u

9
Mältzenbräuer der Altstadt. Gute Nacht!


10
Adresse:

11
HErrn Reichardt / Königl. Capellmeister / zu /
Berlin
.

Provenienz

Druck ZH nach der überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 1.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VII 177 f.

ZH V 253–255, Nr. 779.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
255/7
Hure,
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
Hure.