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Lieber Hamann!

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Ich habe zwei Ihrer lieben Briefe, denk ich, noch nicht beantwortet; Ihnen

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für Ihr Kornreiches, mir jedoch nach dreymahligem Lesen noch nicht
ganz

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verständliches
Golgatha
und
Scheblimini
, welcher Name mir ebenfals

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undeschifrirbar ist, noch nie Dank gesagt, gedankt wohl;
Izt
kann ich
es
, weil ich

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Buchholzen gern auf den gestern von Ihm erhaltenen Brief mit umgehender

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Post antworten mögte, nichts thun von dem allem; Ihnen auch nicht sagen, wie

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sehr Pfenninger, der Erzfreund Christus, damit zufrieden war, und es fast nicht

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leiden konte, daß ich über jede nicht ganz
verstandne
Zeile ein wenig ärgerlich

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war. Nur um des edeln, Gottgeliebten, menschenliebenden Jünglings

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Buchholz
willen schreib ich meinem lieben Nordischen Lehrer und Freund. Ich kenne

S. 244
wenige Menschen seines gleichen. „Nim ihn, das ist, mein Herz auf.“ würde

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Paulus schreiben, wenn er Hamanen seinethalben schreiben wolte. Er ist

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auserwählt, weisheit mit Gefühl – Wohlthätigkeit mit reifer
Uberlegung
zu

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vereinigen. – Könt ich beneiden, ich würde jeden Menschen beneiden, der ihn um

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sich hat. Ich darf nichts Schicksalisches wünschen – Sonst wünscht ich diesen

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unvergleichbar Edeln zu mir. „Also
nim’
ihn, das ist, mein Herz auf!“ Es ist ein

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Moment des vorübergehenden Gottes – wo man, ohne Räsoniren, niederfallen,

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schweigen, anbeten muß – wenn uns solche Kinder Gottes und der

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Auferstehung in diesem Todesvollen und Gottesleeren Leben erscheinen. Also Lieber

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„alter Gebundener!“ – – Nim Ihn – (und alles, was an und mit Ihm u. durch

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Ihn ist und wird) Als ein Kind auf – als einen „Joseph“ – mit Israels

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Dehmuth und Freude! –

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Izt bin ich mitten im
IV.
und lezten Bändchen
Pilatus
, und dichte über

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Leiden
,
Tod
und
Auferstehung
des
Einzigtodten
und

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Einziglebenden
.
Häfeli
ist wohl in Deßau.
Stolz
ist wunderbar nach
Bremen
berufen.

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Tobler komt nach Offenbach. Gott will zerstreuen und verpflanzen.

17
Zürich
den 20.
Octob.
1784.
J.C.L.

Provenienz

Eine Abschrift vmtl. von einem Sekretär Johann Caspar Lavaters; aufbewahrt in: Zürich, Zentralbibliothek, Signatur FA Lav Ms 563.61. Original verschollen. Letzter Aufbewahrungsort unbekannt.

Bisherige Drucke

Heinrich Funck: Briefwechsel zwischen Hamann und Lavater. In: Altpreußische Monatsschrift 31 (1894), 126–127.

ZH V 243 f., Nr. 775.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
243/28
Izt
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Izt
243/32
verstandne
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
verstandene
244/3
Uberlegung
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Überlegung
244/6
nim’
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
nim
244/17
Zürich
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Zürich,