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Königsberg den 17. 8
br Dom. XIX
84.

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Ich habe mich heute von des Morgens an bis auf den Abend in Geschäften

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umgetrieben, vom Friedländschen Thor angefangen, um meinen gestrigen Brief

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abzugeben und mit dem Waysenhause aufgehört, wo ich beym Prediger

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Lauwitz 2 theol. Bibl. gefunden, welche ich keinen Anstand nehme, Ihnen, mein

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gütiger Freund! zu übermachen, auch von beyden die Fortsetzung allmählich

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versprechen kann.

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Gestern blieb ausdrücklich zu Hause, um den ganzen Tag Briefe zu

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schreiben. Meine beyde Federmeßer waren verschwunden – und ich hatte alle Mühe

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auf der Welt Ihren zu Ende zu bringen. Da kam der Meßkatalog – und Kraus

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in einer so traurigen Gestalt, und that so kläglich und so finster, daß mir alle

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Lust vollends vergieng.

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Zu Zimmermanns Einsamkeit und der neusten Ausgabe des reisenden

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Franzosen kann Ihnen auch Hofnung machen. Von
Kaspar Risbeck
wird eine

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Geschichte der Deutschen
zu Zürich für die Ostermeße angekündigt, wie auch

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eine verbeßerte vermehrte Ausgabe der Herderschen Briefe über das theol.

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Studium. Von Büschings Beyträgen zur Lebensgeschichte denkwürdiger Personen,

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besonders Gelehrten ist der 2te Band heraus. Die 3 gekrönte Preisschriften

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worunter des seel. Kreutzfelds sind auch zu Mannheim heraus.
D.
Semler hat in

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freymüthigen Briefen die Frage beantwortet: ob der Geist des Widerchrists

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unser Zeitalter auszeichne? Ein
Mich. F. Semler
ist für mich ein gantz neuer

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Polygraph und hat unter andern den Horus widerlegt, auch ein
Weißenbach

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zu Basel und der rüstige
Lüderwaldt
.

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Runds Geschichte von
Boehmen
, wovon ich den ersten Theil gut und schön

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gefunden, ist auch mit dem dritten vollendet. Komische Romane aus den

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Papieren des braunen Mannes und des Verf. des Siegfried von Lindenberg sind auch

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ein Leckerbißen für meine Erwartung.

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Was mag das Leben J.
G.
Qvandts seyn? Hans Karl Freyherr Ecker von

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Eckhofen unzeitige Meinungen über die Schrift:
über die Gewohnheit

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Mißethäter durch Prediger zur Hinrichtung begleiten zu laßen
, allen lieben

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toleranten und intoleranten Mitmenschen zur Prüfung hingelegt. Hamburg ist

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mir auch aufgefallen. Hat nicht unser Freund vor vielen Jahren unter diesem

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Titel eine kleine Abhandlung geschrieben? Hier haben Sie fast alles

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Merkwürdige welches ich für mich angezeichnet habe. Die mit lateinischen Typen

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gedruckte
vertrauliche Briefe über die Religion
werden Ihnen schon längst

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bekannt seyn. Von den Betrachtungen eines Weltmanns, die Reich aus dem Fr.

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übersetzt und die ich auch noch nicht zu sehen bekommen, ist der dritte Theil

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heraus; ob es der letzte, weiß ich nicht. Philosophische Betrachtungen über

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Theologie und Religion überhaupt und die jüdische werden auch von mir erwartet.

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J. W.
Meiner
hat auch die Lehre von der Freyheit des Menschen nach den in

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dem Prediger Salomo zum Grunde liegenden Begriffen entworfen. Herr von

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Moser eröfnet ein
patriotisches Archiv für Deutschl
. von dem ich

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vermuthe, daß es schon unter einem gantz andern Titel angekündigt worden.

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Moritz hat seine Reisen verbeßert. Es ist also ein Glück, daß die erste Ausgabe

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hier gefehlt.

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Sollten Sie, lieber Herr Kriegsrath, etwa die allgemeine theol. Bibl.

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verstanden haben, welche zu Mitau ausgekommen, von Bahrdt u Mursinna, aber

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schon 80 aufgehört u wo ich nicht irre aus 7 Bänden besteht: so kann ich selbige

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aus eben der Gegend, wo ich beyl. gefunden, verschaffen. Noch fallen mir unter

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den Meßneuigkeiten Reisen eines Curländers durch Schwaben ein, als ein

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Nachtrag zum reisenden Franzosen.

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Kants Moral habe nicht gefunden; Hartknoch scheint aber erst die vorige

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Meße bloß nachgeholt zu haben. Jener wird an Sonnenfels u Kraus an

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Legationsr. Jacobi schreiben wegen des geistl. Abentheurers.

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Die
nouvelles du jour
sind theils komisch, theils tragisch. Erstere betreffen den

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Schwarzbachschen Luftball, deßen Himmelfahrt durch ein Meisterstück von

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Briefe vereitelt worden, den unser
Vice Re
an die Magnificenz geschrieben. Es

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thut mir leid, daß ich
copiam
davon nicht beylegen kann; aber die Tactik des

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Cabinetsstils wird allgemein bewundert. Das tragische betrift die Wittwe eines

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Generals von Werthes, der von seiner Frau und ihrem Liebhaber vergeben

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worden.

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Ob fugam vacui,
bin ich nicht Ihrer Meinung, daß man
nichts tadeln

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sollte
.
Nil admirari
– Sagt wohl Horatz. Aber
loben
würde sonst auch Sünde seyn;

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und doch
lobte
der Hausvater im Evangelio selbst den
ungerechten

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Haushalter
, weil er klüglich gethan hatte. Nicht tadeln, sondern
Richten
ist uns

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verboten, lästern, falsches Zeugnis geben. Hiob war ein
leichtfertiger
Tadler,

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der Spötterey trunk wie Waßer
XXXIX
37.
XXXIV.
7. Seine Freunde eben so

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leidige Tröster als
Kunstrichter
. Daher das Oracul zu Eliphas
XLII.
7. Wenn

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Sie keine Concordantz haben; so borgen Sie welche um Ihre Meinung zu

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belegen, wie ich meinen Tadel derselben.

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Auch gefällt mir nicht recht Ihr Eifer gegen den
luxum,
den einige unserer

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Schriftsteller mit ihrem Verstande treiben. Anstatt dieses zu wehren, möcht ich

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lieber mit Moses sagen: Wollte Gott –
Wahrscheinlichkeiten
sind nach

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meiner Bildersprache oder hieroglyphischen Logik blos die Provinzen oder vielmehr

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Gränzen vom
Reich der Wahrheit
. – Und nun erlauben Sie mir allen

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Ausschweifungen meiner Einbildungskraft gute Nacht zu sagen, und mich von den

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heutigen Excursionen meiner Bothmäßigkeit zu erholen. Empfehlen Sie mich

6
Ihrer lieben Frau Gemalin und entschuldigen Sie

7
Ihren


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alten müden Freund Joh Ge Hamann.


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Adresse mit Siegelrest:

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Des / HErrn Kriegsraths Scheffner / Wolgeboren / Erbherrn von und / zu /

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Sprintlacken
. / Nebst
zwey Büchern
.

Provenienz

Druck ZH vmtl. nach einer nicht mehr überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas oder einem Typoskript Walther Ziesemers. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Preußisches Staatsarchiv Königsberg, Nachlass Johann George Scheffner.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VII 176 f.

ZH V 235–237, Nr. 772.