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229/8
Kgsberg den 13
8
br
84.

9
Herzlich geliebtester Freund

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Diesen Nachmittag erhielt ich Ihren längst erwünschten Brief und hab mich

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herzlich gefreut einmal Nachrichten zu erhalten. Unsere Vermuthung einer

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schweren Krankheit, die ich aber für ein
Recidiv
der letzten hielte ist also

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eingetroffen; die Gefahr aber Gottlob! glücklich überstanden – Sie sind nun uns

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schon ein wenig näher und geben Hofnung Ihrer länger künftigen Sommer zu

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genüßen. Ich habe mich noch diese Woche Ihrer mit HE
Ass. Hoppe
der auf

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dem
Licent
war erinnert u zu Mittag bey HE Kr Hippel mit St. Wirth. Alle

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diese werden sich ebenso freuen, wie Ihr alter Freund Kr Scheffner, den ich

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diesen Herbst auf Sprintlacken heimgesucht, gute Nachrichten von Ihnen durch

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mich zu erhalten. Die Frau CammerHE v Reck ist diesen Sommer

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durchgegangen; ich habe sie 2 mal gesehen. Sie versprach mir das Leben des HE von

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Gleichen genannt Roßwurm durch Ihren Freund Weickhart zu übermachen. Ich

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praenumeri
rte drauf mit einer kleinen
Brochure
des
Servan
über
Rousseau
.

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Sie hat es ebenso vergeßen wie ich an
Mlle
Stoltz zu schreiben.

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Meines Wißens sollten Sie auch ein Exemplar der Bogen
qu.
erhalten. Ein

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Blatt Druckfehler ist bestellt; ob es erscheinen wird, weiß ich nicht. Wider all

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mein Vermuthen ist es zu B. gedruckt, und denk nicht anders als mit
Censur.

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Habeat sibi et abeat cum cet. erroribus.
Haben Sie unsers
Kraus
Epopee auf

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den Landstreicher
Mortzini
gelesen; u des letzteren neuste Ausgabe seiner Wind-

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und Wurmgeschichte? Sind Sie imstande etwas von den wahren Stande dieses

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Weltbürgers zu erfahren oder wißen Sie dazu Mittel in Wien an die Hand zu

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geben: so theilen Sie Ihr Gutachten mit.

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Meinen Hans geht es wohl zu Graventihn. Er wird wol den Winter noch

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dort zubringen; wenn der dortige Hofmeister HE Scheller nicht unversehens

S. 230
versorgt wird. Ich werd ihm Ihr gütiges Andenken ehstens melden u ich danke

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in seinem Namen.

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Die Fr. Pf. Skub. ist hier gewesen, hat sich aber um mich nicht bekümmert

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und ich nicht um sie. Sie thut am besten dort zu bleiben. HE Hofr. ist willens

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Curl. zu verlaßen bey einer neuen Herzogswahl und sich nach Hamburg zu

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begeben. Von seinem Sohn erhält er jetzt beßere Nachrichten aus Berl.

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Meine Hausmutter hat die Rose gehabt am Fuß nebst einem starken

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Flußfieber, das sie nicht recht abwarten können, weil neue Fensterrahmen gemacht

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worden und wie es bey Kgl.
Reparat
uren geht, alles
confus
u zur Unzeit –

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kriecht sie herum und qvält sich. Hat sich einen Fliederthee bestellt u eilt zu Bett,

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unterdeßen sich die Mädchen die Cartoffeln gut schmecken laßen und dem Vater

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auch Appetit machen ein paar mitzueßen – der schon einen halben Semmel mit

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Butter u herrl. Limburger verzehrt, den mir HE
Jacobi
verehrt. So muß man

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des Hungers Bitterkeit vertreiben!

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Mein Freund Hill ist im
Jul.
nach Lübeck zu Schiff gegangen; hat mir aus

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Hamburg seinen ersten Brief im vorigen u den letzten in diesem aus Frankf. geschrieben.

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Wird gegenwärtig auf seiner kümmerl. vergnügten Wallfahrt der Schweitz nahe

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seyn. Gott begleit ihn und bring ihn bald wider heim – wohlbehalten u gewitzigt.

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Der reisende Franzos soll ein geborner Mayntzer Karl Reisbeck seyn.

20
Statt der einverleibten
Fooi-
oder Pfuy! Pfuygelder hat man uns dies Jahr

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auf eine ansehnl.
Gratification
für das gehabte
Plus
Rechnung gemacht, dafür

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wider ein Qveerstrich – Wer weiß, ob ich künftig Jahr erlebe – denn wovon ich

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leben soll, weiß ich nicht. Kantens Prolegom. zur neuen
Metaphysik der

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Sitten
werden in Halle gedruckt u Ihnen wol eher wie mir anheimfallen.

25
Leben Sie wohl und vergeßen Sie nicht Ihren   alten verdorbnen Freund. Meine

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Hausgenoßen empfehlen sich Ihnen. Mehr zu schreiben weiß ich nicht, hab

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nicht, u kann nicht.

28
JG Hamann.


29
Der seel. Kreutzfeld hat ⅓ des Mannheimischen Preises auf den Kindermord

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gewonnen, nach seinem Tode. Seine Abhandl. über den Preuß. Adel hat Kraus

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ausgegeben, der noch die kleine Bruchstücke der vaterländschen Geschichte

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ehstens an Reichardt ausliefern wird zum Druck. Und hiemit nochmals Gott

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empfohlen mit Bitte mich bald wider mit einem Briefe zu erfreuen.
Vale
zum

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Widersehen
!


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Adresse mit rotem Lacksiegelrest:

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Des / HErrn Doctor Lindner / Wolgeboren / zu /
Halle
.

Provenienz

Druck ZH nach der überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 4.

Bisherige Drucke

Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, III 42 f.

ZH V 229 f., Nr. 770.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
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Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
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Rousseau
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Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
Rousseau.