768
223/21
Königsberg den 3 8
br.
84.

22
Liebwerthester Freund,

23
Ihr Brief vom 25
Jul.
kam den 1
Sept.
über Weimar an. Ich danke für Ihr

24
treues Andenken, für die Beyl. zur Physiogn. und mache von Ihrer gütigen

25
Anerbietung Gebrauch Einl. nach Zürich an unsern L. oder Pf. zu befördern,

26
damit das verirrte Schaaf mit gutem väterl. u brüderl. Rathe – auch im

27
Nothfall mit That – unterstützt w
i
erde. Es ist ein junger noch ungebildeter Mensch,

28
den ich aber wie meinen eigenen Sohn liebe, und sich durch den Unterricht meiner

29
ältesten Tochter und eine
treue unverdroßene Dienstbeflißenheit
um

30
mich verdient gemacht hat. Ich denke man wird ihm alles ansehen können, was

31
ihm fehlt, daß ich nicht nöthig habe mich bey seinen Mängeln aufzuhalten – und

32
wie nöthig es ihm ist, sich die Hörner ein wenig abzulaufen, geschliffner
zu

33
werden
. Er hat sich seit Jahren in allen mögl. Enthaltsamkeiten geübt um

34
seinen Kützel und Ehrgeitz die Welt zu sehen stillen zu können – von Sprachen so

S. 224
viel ihm mögl. gewesen zusammengerafft und mit eben so einem guten Vorrath

2
von Scheidemünze läuft er nach Italien – und wenn es auf seinen guten Willen

3
ankomt, nach dem Orient oder einen von den beiden Erdpolen. Ich vermuthe

4
daß für seine bacchanalische Einbildungskraft und Milchdiät die Schweitz ein

5
gelobtes Land seyn wird, und möchte sehr gern daß er sich müde darinn wandeln

6
möchte, auch bey seiner Gott gebe glückl. Heimkunft mir recht viel von meinen

7
dasigen Freunden erzählen könnte; daher ich die Ankunft dieses im Grunde

8
unschuldigen und bidern Ebentheu
r
ers Ihnen bereits angemeldt, wenn mich mein

9
alter schwacher Kopf nicht hintergeht, und auf allen Fall meine Bitte widerhole

10
sich dieses armen Pilgrims herzlich anzunehmen. Der liebe gute L. kann meine

11
gelehrte Faust nicht lesen, und sie greift seine Augen wie seinen Kopf an. An

12
Pf. schäme ich mich auch zu schreiben. Häf. wird bereits verpflantz
t
seyn zu

13
seiner neuen Bestimmung. Also nehme ich zu Ihnen als einem andern Johann

14
Georg meine Zuflucht mit der Bitte den Innhalt dieses Briefes unsern

15
Freunden in Zürich mitzutheilen, mit Bitte,
Hill
, über Winterthur, wenn der alte

16
Kaufmann, meines Gevatters u Freundes Vater noch lebt und falls HE Gaupp

17
in Italien Verbindung hat nach Schaf
f
hausen zu weisen, sich nicht seiner zu

18
schämen, sondern sich seiner Seelen u Leibesbedürfniße nach seiner Fähigkeit

19
und Ihrer Klugheit anzunehmen.

20
Zugl. erkundigen Sie sich ob L. meine Antwort vom 2 May u Ihr Mitbürger

21
G.
meine vom 5
Aug.
erhalten. Hartkn. hat mir unter eben dem
dato
geschrieben,

22
daß
Gen. Superintendent Lentz die Frachtkosten wegen des Kastens

23
für seinen Sohn wenden will
, wenn sie sich
nicht zu hoch belaufen
;
u

24
da HE Gaupp versprochen alles beyzutragen
,
daß die Sachen bis

25
Leipzig nicht viel kosten sollen, so kann der Kasten an HE
C. G.

26
Hertel,
Buchhändler für Hartkn. Kosten gesandt werden, der die

27
Fracht bezahlen u alles nach Lübeck senden wird
.

28
Den 4
Sept.
habe einen Brief von einem
jungen Mann
aus
Münster in

29
Westphalen
erhalten, den
Lavater
liebt, den seine Hypochondrie aber

30
abgehalten mich dies Jahr zu besuchen, und durch den ich in eine sehr angenehme

31
Unruhe der Erwartung versetzt worden. Wenn L. der Name dieses Mannes

32
beyfällt und er mir einige Winke darüber entweder selbst oder durch Sie geben

33
kann und will: so geschieht mir ein großer Gefallen.

34
Ich hoffe daß Sie u meine übrigen Freunde Golgotha u Schiblemini erhalten

35
haben. Ein Blättchen von Druckfehlern wird hoffentlich nachfolgen. Die

36
vornehmsten welche den Sinn betreffen, sind S. 8 der Schluß folge: S. 20.

37
Gebaren. S. 24. 27. ihre statt ihm S. 25 alle statt alte. S. 43. Modenwechsel S. 45.

S. 225
deleatur
gewählten S. 62. Z. 18 eben S. 63 Z. 16. heben S. 65 Z. 12. zuwider,

2
S. 69. Z. 9. und Z. 13. verzehnteten Z. 17. Bescheid voller S. 72. Z. 9. 10 als den

3
Z. 16. der S. 74. Z. 9. Psilosophie oder Psilologie = reine Vernunft,
ratio,

4
sapientia pura, puta, mera, tenuis, ieiuna
S. 77. Siehe Garve über Ferguson

5
S. 296, 297.
andere
Kleinigkeiten der
Interpunction
pp nicht zu gedenken.

6
Die Sammlungen zum Magazin habe gantz neulich durchgelesen, kann mich

7
aber bey aller meiner Aufmerksamkeit auf nichts bestimmtes besinnen, weil

8
mein alter Kopf ein Sieb ist und ich nur so lange ein Buch genieße, als ich es

9
unter Händen habe. Den übrigen Theil Ihres Briefes bin auch nicht im stande

10
heute zu beantworten. Wir haben am heutigen Sonntage das Erndtefest

11
gefeyert. Ja leyder! Machiavell ist so schön widerlegt, wie Luther von Heinrich
VIII.

12
Empfehlen Sie mich unbekannter weise Ihrem würdigen HE Bruder; ich freue

13
mich im Geist über die Metamorphose oder Metempsychose seiner Vaterlandschen

14
Geschichte. Weh dem reichen Fürsten deßen Unterthanen Bettler sind. Seelig der

15
arme Landesvater der reiche Kinder hat. Gott schenke Ihnen viel der frohen

16
Tage die Sie in Olten verlebt u entferne das Kopfweh, wenn Sie an mich

17
schreiben. Ich umarme Sie und wünsche Ihnen u allem was Sie lieben Seegen

18
Friede u Freude, bin Ihr   alter   aufrichtig ergebener Freund
Joh. Ge. H.

19
Bitte auch allenfalls Einl. nach Zürich zu befördern; doch überlaße alles

20
Ihrem Gutachten; Nachricht aber von ihm wünschte, aus der Schweitz.

21
Nochmals Gott empfohlen. Alles um mich schläft; u meine Hausmutter ist seit

22
einigen Tagen bettlägerig für mich unbeholfenen Greis der den 27
Aug.
in sein

23
55stes Jahr getreten, satt u. müde ist zu leben.


24
Adresse mit rotem Lacksiegelrest (Kopf des Sokrates nach links), mit Druckstempel (Hamburg) und Postvermerken
fro N
69 10 7

25
HErrn
Johann Georg Müller
/ Candidaten des heil. Ministerii / zu /

26
Schaffhausen
.

Provenienz

Druck ZH nach der überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 63.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VII 172 f.

ZH V 223–225, Nr. 768.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
225/5
andere
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
Andere