763
S. 200
Kgsberg den 2
Sept.
84.

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Liebster Herr Hill,

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Gestern früh Morgens erfreute mich HE
Jacobi
mit der Einl. Ihres längst

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erwünschten Briefes, den ich sogl. Ihrem
Oncle,
Ihrer Frau Mutter und

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beyden Schwestern gantz mittheilte; und gleich darauf dem Herrn Kr. R. H. Ich

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lief auch zu Herrn Richter ihn wenigstens von den guten Wirkungen seiner

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Empfehlung an den würdigen B. und Ihrer Verbindlichkeit dafür zu versichern;

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fand ihn aber nicht zu Hause. Seine Frau Liebste schien sehr viel Antheil zu

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nehmen, und Ihrem Mann würde es noch mehr Vergnügen machen, weil er mit

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nächster Post nach Hamb. schreiben müste. Ohngeachtet ich vom HE Kr. zu

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Mittag gebeten wurde auf den
Ragout
eines sauren wilden Schweinsbratens, der

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mir den Tag vorher treflich geschmeckt hatte, versagte ich es doch um HE
Jacobi

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u dem jungen Gedicke in Ihrem Namen zu danken. Beym
Abschied
fiengen wir,

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mein Wirth u ich, den Prof. Kraus über dem DohmKirchhofe auf – und da ich

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nach Graventihn zu schreiben hatte, wurde Ihr Brief an meinen Sohn

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beygelegt unter der Bedingung ihn mit der nächsten Post zurück zu liefern.

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Ihre liebe Grosmutter habe nicht selbst gesprochen, werde sie aber ehsten

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Tages besuchen, und wird Ihr gutes Andenken durch Ihren
Oncle
auf das

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genaueste erfahren. Daß alles in Ihrer Eltern Hause gerührt war, können Sie sich

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leicht vorstellen besonders die älteste Jgfr Schwester, weil sie nicht von Ihnen

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Abschied nehmen können. Bey
Assessor Hoppe
bin auch vor einigen Wochen

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gewesen; ich muste Ihren Bruder zu ihm schicken, der ihm sehr gefiel, und der Reg.

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Feldsch. vom Anhaltschen Reg. war auch schon gantz gestimmt ihn anzunehmen.

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Der Oheim war damit nicht zufrieden – und ich hatte auch Bedenklichkeiten.

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Jener erbot sich ihm die Schiffahrtkunst auf seine Kosten hier lernen zu laßen,

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und der junge Mensch scheint auch mehr Neigung dazu zu haben, als noch die

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Schule fortzusetzen, wozu er sich gegen mich anfangs anerbot. Ich will dem

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Urtheil und Plan des Oheims nicht vorgreifen – werde nächstens bey HE Hoppe

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hingehen – und bin vielleicht im Stande zu einem guten Schiffskaptein zu

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verhelfen. HE Miltz kan also sein Versprechen erfüllen ihn diesen Winter über

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einige theoretische Anweisung geben zu laßen und mit dem Frühjahr mag Ihr

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Bruder zur
Praxi
schreiten und einen Versuch machen, ob er damit beßer

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fortkommt als mit dem erstgewählten Handwerk, zu dem er zu Schade war, und

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das ihm auch kein Gnüge that.

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Noch habe ich Ihnen in Ansehung des HE
Jensch
zu melden, der sehr unruhig

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zu mir kam wegen seines verlorenen Alcorans, besonders da ihm die Ausgabe

S. 201
des
Ariosto
gar nicht anstand. Ich versicherte ihn, daß die Schuld nicht an Ihnen

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gelegen hätte. Wenn Sie damals gleich zugeschlagen hätten; wäre alles

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abgemacht gewesen. Sie hätten mir eine arabische Grammatik zurück gelaßen, als

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Zugift – ich suchte darnach und konnte das Buch nicht finden. Unterdeßen wären

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Sie nicht aus der Welt und würden auch so lange nicht abwesend bleiben, noch

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Ihre Verbindung mit mir aufhören laßen – Damit hab ich ihn ziemlich beruhigt,

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mich selbst aber nicht, weil ich nicht begreifen kann, wo der
Erpenius

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hingekommen, wiewol dem Mann eben nicht mit der Ausgabe scheint eigentl. gedient zu

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seyn, sondern gern die
Lockmann
sche Fabeln haben möchte. Können Sie sich

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besinnen das Buch mitgenommen zu haben; so melden Sie es mir. Ist es blos

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bey mir verlegt; so findt es sich Zeit gnug. Allenfalls frag ich Sie, ob ich
Ihren

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alten
Alcoran
dem Jensch gegen Zurückziehung des Ariosto oder mit

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demselben austauschen kann. Sein kleines
Mst
scheint doch Vorzüge zu haben, und

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er ist so leichtsinnig u unbeständig ihm jeden andern zu überlaßen; unterdeßen

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vermuthe ich doch, daß er weiß oder argwohnt, Ihre Bücher von Ihnen
in depot

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empfangen zu haben. Der Vorwurf fällt also auf mich und ich werde ihm

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nächstens sagen, daß ich deshalb an Sie geschrieben. Sollte Ihre Antwort zu

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lange ausbleiben oder Jensch auch verreisen: so werde mir kein Bedenken

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machen Ihre Ausgabe in 4
o
ihm auszuliefern und dafür die kleine,
weil Sie

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dabey
gewinnen
, für Sie zu behalten. Nur wegen des
Erpenii
geben Sie mir

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Licht, weil ich nicht begreife, wie das Buch, in so kurzer Zeit von meinem Tisch

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verschwinden können und daher glaube, daß Sie ihn wider zurückgenommen

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haben mit der Absicht es dem Jensch selbst einzuhändigen und bey der Unruhe

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Ihres Abschiedes es wo liegen geblieben. Ist es unter meine Bücher gerathen;

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so findt es sich wenigstens wenn mein Sohn zu Hause kommt; allenfalls kann

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ich auch HE Jensch meine eigene Ausgabe zum Gebrauch mittheilen. Ich glaube,

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daß Sie mich verstehen und mein Verfahren in dieser gantzen Sache nicht

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misbilligen werden.

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Meine 3 Mädchen fuhren den 27
Julii
des Abends um 8 Uhr nach Graventihn

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mit einem besoffnen Fuhrmann unter Aufsicht einer vernünftigen Hofmutter,

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haben die ganze Nacht auf dem Felde zubringen müßen u sind erst den Mittag

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drauf angekommen. Haben also auch einen starken Gegenwind bey ihrer

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Lustfahrt zu Lande gehabt.

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Ich gieng
vlt. Julii
mit HE Friedrich, der vorige Woche nach Berlin

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abgegangen, zu Fuß nach
Trutenau
und kam den
1
Aug. eben so glücklich heim mit

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HE
Director
u Gevatter Kanter. Meine Absicht wurde verfehlt einen
Doct. Jur.

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aus Arau bey Bern Namens
Rothpletz
kennen zu lernen, der mich aber noch

S. 202
den Tag vor seiner Abreise nach Berl. besuchte und vielleicht von da wider

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zurückkommen wird.

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Den 22
Aug.
wurde der Frau Kriegsräthin Deutsch Geburtstag gefeyert,

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wozu ein hier bestelltes
Clavecin Royal
ankam welches meine
Lisette Reinette

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eingeweyht. Ich war auch dazu eingeladen, hatte mir aber entschloßen nach so

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langen Aufschub mit meiner Mutter zum Abendmal zu gehen, und den
T
Abend

7
vor der Beicht kam mein
Schiblemini
an, deßen
Sphalmate
ich mit zur

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allgemeinen Absolution brachte und ein wahres Dankfest
(Eucharistie)
feyren

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konnte.

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Den 27
Aug.
setzte ich mich mit HE Meyer auf einen Korbwagen und fuhr

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unter einem starken unangenehmen Regenwetter meine Kinder abzuholen, wo

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mein 55ster Geburtstag (denn ich bin 730 zur Welt gekommen) begangen

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wurde. Sonntags um 8 Uhr erreichten wir eben den Schlagbaum, als wir unter

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einem noch gewaltigern Regenguß durch und durch naß Gottlob glücklich zu

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Hause kamen.

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Den 30 besuchte mich
Roi
und fieng seine ital. Stunde an; die Baroneße hat

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ihm durch mich Antwort wollen sagen laßen, bisher aber aufgeschoben; ich denk

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Sie nächstens zu besuchen. Ihre Jgfr. Schwester will die Music lernen bey

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Ihrem Freunde Walther und dazu Ihr Clavier sich von Miltz ausbitten, daß

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Sie ihr nicht versagen werden.

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Ich hatte Hofnung meinen Sohn auf den Winter hier zu sehen; alles hängt

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von der Versorgung des
HE Schellers
ab, die ich wenigstens den Winter über ruhig

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abwarten will.

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Ich glaube daß Sie an dem Ort, wo Sie diesen Brief erhalten werden, im

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Stande seyn werden eine Einl. an mich abgehen zu laßen. Nach der Schweitz

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hab ich bereits geschrieben und werde es nächstens zum 2ten mal thun, da ich

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noch gestern die Freude hatte des Abends einen Brief von meinem jüngsten

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Freunde zu Schafhausen HE Joh. Ge. Müller über Weimar einen sehr vertraul.

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Brief zu erhalten.

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Sollten Sie nicht ein Schreiben an
Hofrath
Pfeffel zu Colmar

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erhalten: so gehen Sie mit einem Gruße von mir zu ihm, und erinnern Sie ihn an

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den Sontag wo ich mit dem Buchhändler
Gebhard
aus Frankf. am Mayn

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mit
bey ihm gespeist, den Sie auch als einen alten Reisegefährten von mir

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begrüßen können.

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Bey unserer Freundschaft und dem Ansehen eines Vaters, das Sie mir Selbst

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ertheilt, beschwöre ich Sie, lieber Hill, daß Sie mir Nachricht geben, wenn Sie

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gegen die Hälfte Ihres
Viatici
gekommen sind, und den Muth nicht sinken

S. 203
laßen, oder aus einer
falschen Schaam
mir Ihre Noth und Bedürfniße

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verheelen weil es Ihnen hier nicht an unbekannten Freunden fehlt, die sich eine

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Pflicht und Freude draus machen werden Sie weiter vorwärts oder zurück zu

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helfen. Ich hätte gewünscht, wenn Sie mir einige Beobachtungen Ihres

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oekonomischen
Calculi
bereits anvertraut hätten.

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Sind Sie imstande in Straßburg HE
Ehrmann
zu erfragen; (er gehört zur

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Brüdergemeine
von Herrenhut) so grüßen Sie ihn, er ist ein herzlicher Mann,

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dem Sie sich anvertrauen können. Ich wünschte daß Sie wenigstens Italien

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und besonders Rom ein wenig in Augenschein nehmen könnten; denn an die

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Morgenländer lohnt es kaum zu denken.

11
In
Schafhausen
grüßen Sie HE
Joh. Ge. Müller
, HE
Gaup
.

12
In
Zürich
den guten
Lavater
und
Pfenninger
; denn Häfeli wird schon

13
nach Deßau gegangen seyn.

14
Giebt Ihnen Gott
Gelegenheit
sich was zu verdienen: so nehmen Sie selbige

15
mit. Ueben Sie Ihre Hand, und gewöhnen Sie sich ja zu einer
correcten

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Orthographie
z.E. Zeuge,
testis
(nicht Zeige) Lübsche (nicht Liebsche; weil es

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von Lübeck komt) Für die Hoch- und Oberdeutsche ist die aus Preußen zur

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Gewohnheit gewordene Verwechselung des
Dat
u
Accus.
sehr anstößig, schon im

19
Reden, geschweige bey einer
littera manente.
Verzeyhen Sie diese kleinfügige

20
Schulfüchserey, die übrigens gut gemeint ist.

21
Ich umarme Sie unter tausend Grüßen und Wünschen der meinigen und

22
vorzüglich Schwester Lieschen – Alle Freunde erwiedern Ihr Andenken. Ihren

23
Herrn Vater habe noch gestern Abend im Vorbeygehen vor der Thür gesprochen.

24
Vom HE
Richter
und aus Graventihn
anticipi
re die noch einzugehende

25
Höflichkeiten. Gott gebe Ihnen gute Gesundheit – bewahre Sie vor
f
böser

26
Gesellschaft – und führe Sie zu lauter guten, ehrlichen, sichern, frommen

27
Verbindungen. Erfreuen Sie mich bald mit den besten Nachrichten von dem

28
Fortgange Ihrer Wanderschaft. Ich umarme Sie und ersterbe Ihr alter treuer Freund

29
und Bevollmächti
g
chte
Joh. Ge Hamann.


30
Adresse mit Mundlackrest:

31
An / Herrn Hill, / Candidat der Gottesgelahrsamkeit / gegenwärtig / zu

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Lessing-Sammlung Nr. 1842.

Bisherige Drucke

ZH V 200–203, Nr. 763.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
200/13
Abschied
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Abschied
201/20
dabey
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
dabei
201/35
1
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
1.
201/36
Director
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Direktor
202/6
T
Abend
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Abend
202/7
Sphalmate
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Sphalmata
202/16
Roi
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Roi
202/22
HE Schellers
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Schellers
202/30
Hofrath
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Hofrath
203/1
falschen Schaam
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
falschen Schaam
203/14
Gelegenheit
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Gelegenheit,
203/18
Dat
u
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Dat.
u.