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185/7
Kgsb den 18
Aug
84.

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Geliebtester Freund

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Heut vor 8 Tagen wollte eben einen Brief nach Graventihn, wo sich meine

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Kinder seit 3 Wochen bereits aufhalten, schließen, als mir ein Soldat Ihren

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Lachs brachte. Er forderte im Namen des Fuhrmanns 24 gl. ohne zu wißen

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wofür. Ich gab ihm ein Biergeld und verlangte daß der Fuhrmann sich selbst

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bey mir melden sollte, um zu wißen den Grund seiner Forderung, welches er

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aber noch nicht gethan. Ich nahm mir aber das Vergnügen ein Probchen von

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Ihrem Geschenk nach Gr. beyzulegen, welches dort sehr willkommen gewesen.

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Mein alter Freund
Jacobi,
der mir 6 holl. Heeringe geschickt und durch Einl. das

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Porto
meiner
Correspond.
erleichtert, erhielt auch ein Probchen und für
Me

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Courtan
die mir 2 Heeringe geschenkt und eine Wohlthäterinn aller meiner

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Kinder ist, brachte ich auch eins, ohne sie selbst seitdem gesehen und gesprochen zu

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haben, welches diesen Abend vielleicht geschehen
wird
. Vorgestern erhielt Ihr

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Päckchen mit der Post und den Auftrag mich mit HE Pr. Kant zu theilen. Ich

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brachte ihm noch denselben Abend selbst 2 schon etwas angeschnittene Stücke

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und entschuldigte mich
aufs beste
so gut ich konnte mit meiner
bona fide
, die

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ihm gern die
beste
und
gröste
Hälfte mitgetheilt hätte. Er nahm meine

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Entschuldigungen sehr freundschaftlich auf, und sagte mir herzlichen Dank, daß

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ich ihm noch soviel übrig gelaßen hätte, schien auch recht lüstern nach dem

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Gericht zu seyn; daher mir mein Versehen, mit dem ungerechten Mammon Freunde

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gemacht zu haben, desto mehr leid that. Ich danke also im Namen aller

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Intereßenten, und bitte mir nichts zuzurechnen, thun Sie ein gl. bey unserm

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Landsmann in Petersb. deßen Augen, wie ich hoffe, wider wacker geworden

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sind. Wenn ich Ihnen beyderseits doch auch eine Freude machen könnte – aber

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womit? Tenne und Kelter sind bey mir leer – und wenn der liebe Gott nicht aus

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mir ein Neues schafft, wird aus meiner Erkenntlichkeit wol ein Bankerut

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werden. Mayers sokr. Denkw. sind wol nicht das was ich vermuthet; wenn ich das

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Geld von Auerswald erhalte, werde, aber nach nikolaitischer Taxe, den Betrag

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beylegen.

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Aus Ihrem Briefe habe nicht ersehen können, ob Sie schon nach W.

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geschrieben, welches bereits von mir geschehen, wie auch nach Schaffhausen. Sollte

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sich der
status causae
in Neumanns Angelegenheiten nicht in einem meiner

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vorigen Briefe finden? Der unempfindliche Mensch könnte doch wenigstens

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einen Brief an seine Muhme schreiben, Ihre mütterliche Sorgfalt erkennen

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durch eine Antwort, und sich allenfalls selbst von ihr die näheren Umstände des

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ganzen Handels erbitten. Ist es nicht mögl. ihn dazu anzuhalten.

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Hab ich Ihnen nicht auch gemeldt, daß
Me Courtan
zu ihrer
großen

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Beruhigung
hier ein Exemplar der
Synonymes
gefunden, und selbiges der

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Gräfin von
Finkenstein
bereits übermacht, deren
Commissionen
sie als

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mütterliche Aufträge besorgt, und ihren guten Namen bey dieser alten

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großmüthigen Dame mehr aus Neigung als Eigennutz zu erhalten sucht. Wenn sie

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etwas durch HE
Balfour
erhalten hätte, würde ich es gehört haben, weil sie

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mir Ihre Verlegenheit, es nicht
directe
aus Berl. verschrieben zu haben, mehr

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wie einmal geklagt.

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Friedrich geht in des Herzogs
Suite
nach Berlin, und ich habe große Lust ihm

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mit aller mögl. Vorsicht aufzutragen sich bey
Unger
nach dem zu erkundigen,

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was ich durch seine Vermittelung schon so lange umsonst erwartet. Ich

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erstaunte in meinem Sinn
, wie ich es von Ihnen hörte, daß
das Ding zu

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Berlin gedruckt werden sollte
, und es
kam mir wie ein unbegreifl.

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Wunder
vor. Da ich Ihnen aber all meine Besorgniße mitgetheilt, so beruhigte

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mich damit, daß zu Babel alles möglich wäre gerad zu machen, was noch so

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krumm und schief aussieht. Nun besorg ich
daher
desto mehr, daß wir

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verrathen sind oder wenigstens an den unrechten Mann gekommen. Ob ich mich

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dem Friedrich u wie weit anvertrauen kann, weiß ich auch noch nicht – Er ist ein

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Vertrauter des Zöllners, und dieser sein Patron. Theilen Sie mir doch so bald

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Sie Antwort erhalten, selbige mit
ihm
. Die Versuchung habe auch schon

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gehabt an Unger selbst zu schreiben – und ich bin noch nicht wegen Friedrichs

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entschloßen; werde es daher auf den
Druck
Wink des letzten Augenblicks

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ankommen laßen.

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Von dem
Unrecht
, was unser Freund gegen Sie hat, hab ich für überflüßig

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gefunden, mit Ihnen liebster Hartknoch zu reden; das gehört in dem Briefe an

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ihn selbst, so bald ich selbigen schreiben kann. Ich gebe auch gern zu daß Herder

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zum Theil schuld ist an dem
Widerspruch Ihrer Urtheile
à priori
und

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à posteriori
von ihm. Wie ich Sie damals in Riga besuchte, hatte ich schon

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keine gute Ahndungen, daß jener sich zu viel Freyheit gegen Sie heraus nahm

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und Sie sich gar zu leidend verhielten. Trauen Sie aber auch nicht dem Schatten,

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wie Sie damals dem Licht trauten, unter dem Sie den Autor Ihres Busens sich

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vorstellen. Ich sehe von beyden Seiten mehr Declamation, Sophisterey und

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pointikeu
sen Eigensinn, worüber
Wahrheit
und
Freundschaft
unterdrückt

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und aufgeopfert wird von beyden Seiten.
100 # mehr oder weniger zu

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leihen = schenken sind Sie bereit
;
aber daß man selbige als

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accordi
rte Schuld fordert und man Ihnen auch den Schatten von Dank

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entziehen will
,
ist zu arg
. Läuft dies nicht alles auf ein Schattenspiel

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hinaus.

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Zu 125 rth Verlust bey jedem Theil können Sie sich als Buchhändler nicht

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verstehen.
Risico
ist noch nicht baarer Verlust; so wenig wie
Speculation
reiner

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Gewinn. Wie der Verleger einer litterarischen Zeitung mit ⅓ Werth und

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3 Carol. oder 6 #
per
Bogen fahren wird, begreif ich vollends nicht. Also kann

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ich mich in die Hypothesen dieses
Actien
handels nicht einlaßen, die freylich mit

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den Schwärmereyen der Freundschaft nicht
commensurable
sind.

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Wodurch wird mancher ein schlechter Wirth, und geräth in ein Labyrinth, aus

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dem er keinen Ausgang wider finden kann? Durch Vorschüße, die ihm nichts

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kosten und die er eben deswegen verschleudern lernt und sich daran gewöhnt –

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kann man dergl. Vogelleim und schädliche Hamen für reelle

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Freundschaftsdienste halten?
Timeo
Danaos

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Vorrede macht nicht Nachrede. Erwarten Sie für allen Ihren Lachs,
Caviar

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und die Zehnten welche Sie mir von Ihrem Verlage seit so vielen Jahren

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geopfert haben, nichts als
Saalbadereyen
– und laßen Sie sich
durch
den

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bibliopolischen Asmodi nicht blenden sich mit dem Bischof, wie mit dem

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Lotterie Dir. zu Tr. und Sachwalter zu Hasenp. zu entzweyen. Für ein solches

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Scandal
behüte die liebe Christenheit unser lieber Herre Gott.

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Haben Ihnen damals, wie Sie in Schulden bis über die Ohren steckten, Ihre

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grosmüthige Vorschüße nicht den Hals gekostet – Sie Kleingläubiger! Ich

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verlange daß Sie weder für das Publ. noch für irgend jemand sich aufopfern

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sollen – sondern ohne
Ihren Schaden
mit
Ehren
sich mit Ihrem Autor aus

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einander setzen – sich seine Noth auf keinerley Weise zu Nutze zu machen,

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sondern selbiger nach
verjüngten Maasstab
alter verjährter Freundschaft

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abzuhelfen suchen – Ihre unerkannte Sünden mit H. seinen
liquidi
ren – und

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überhaupt einen gantz
andern Gesichtspunct
annehmen, um zu Ihrem

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Zweck zu kommen – nicht den Gesichtspunct der Leidenschaft, sondern der

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Klugheit und Nächstenliebe. Mehr Saalbadereyen werde Ihnen hierüber nicht

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schreiben – sondern wenn ich kann mein Heil dort versuchen. Meine herzl. Grüße

2
an alle Ihrigen. Vergeßen Sie nicht auf Krausens Antrag zu antworten u für

3
meinen armen Schiblemini zu sorgen.   
Joh. Ge. Hamann


4
Auf der ersten Seite ganz am linken Rande von Hartknoch vermerkt:

5
Empf
d
11
Aug
1784

Provenienz

Druck ZH nach der überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 5.

Bisherige Drucke

Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, III 26 f.

Heinrich Weber: Neue Hamanniana. München 1905, 83–84, 133.

ZH V 185–188, Nr. 756.

Zusätze fremder Hand

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Johann Friedrich Hartknoch