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183/2
Kgsb. den 15
Aug. Dom X p Tr. et die natali VL. Matth Claudii

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Liebwerthester Herr Gevatter und Freund,

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Heil und Seegen zum Geburtstage – und freundl. Dank für ertheilte

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Nachrichten. Ist Hill schon durchgegangen? oder wohnt er gegenwärtig als mein

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Deputi
rter dem heutigen Festtage bey? Der
Virtuoso ambulante
wird wohl

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den Weinkeller so ziemlich aufgeräumt haben; mag Hill sich an der Frau

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Rebecca Milchkammer halten. Der Israelit Eichel hat sich gestern durch seinen

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Bruder für meine Empfehlungen nach Wandsbeck bedanken laßen. Es scheint

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ihm also in Eurer Heimath gefallen zu haben. Beschwerden Euch

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aufzubürden, ist wol nicht meine Absicht. Alle übrigen Empfehlungen werden mir

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abgelockt; Hills ausgenommen. Erinnert ihn doch, daß er an mich schreibt und mich

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bey dem Fortgang seiner Wallfahrt nicht vergißt, mir Nachricht von seinem

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Schicksal mitzutheilen. Ich denke daß er in Grünstadt einen Brief von mir finden

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wird, bey unsers
Jacobi
Vetter Reinhold – und sagt mir Eure Meinung von dem

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Irrgeist, den ich noch gern hier behalten hätte, seinet- und meinetwegen. –

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Ich bin gebeten worden beyl. Brief zu begleiten, ohne selbst zu wißen, wie ich

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dazu komme. Dengel ist der einzige Buchladen, den ich hier besuche, und so

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wenig wie möglich. Wenn Ihr lieber
Claudius
mit Löwen zufrieden seyd, und

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Ihr bey einem neuen
Engagement
nicht
gewinnt: so thut mir wenigstens den

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Gefallen Eure
negative
Erklärung so bald wie mögl. mitzutheilen. Eine

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positive würde vielleicht schmeichelhaft für mich seyn aber mich einer halben

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Bürgschaft aussetzen, daß die Bedingungen von dieser Seite genau und pünctlich

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erfüllt würden. Es ist ein feiner artiger Mann, von Talenten, die eben keinen

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glückl. Buchhändler machen. Könnt Ihr, ohne Abbruch des alten Freundes, die

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Uebersetzung übernehmen, falls das Original selbige verdient: so käm es drauf

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an einen Versuch zu machen. Es wird mir so schwer etwas zu sagen, das nicht

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von Herzen geht und worüber ich nicht Einsicht gnug habe oder mir zutrauen

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kann: daß ich Euch bitte uns bald durch eine Entschließung zu beruhigen.

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Dengel ist ein genauerer Freund oder wenigstens Bekannter unsers R. – auch in

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dieser Rücksicht werd ich dafür sorgen, daß
reel
von ihm zu Werk gegangen

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werde und Ihr keine Ursache haben
würdet
sollt unzufrieden mit ihm zu seyn.

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Meine 3 Mädchen sind seit dem 27
Jul.
aufs Land gefahren
I
ihren Bruder

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zu besuchen. Wir alten Leute sind also gantz allein, und wißen nicht, wenn wir

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unsere Kinder widersehen werden. Was aus meinem
Schiblemini
geworden

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ist, weiß ich auch nicht. Vielleicht erhalten Sie eher ein Exemplar, als ich.

S. 184
Wünschen Sie nicht auch bald den zweiten Theil von Herders Ideen? Wenn er

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so fortfährt, wird er uns nicht ein Meisterstück platonischer Beredsamkeit liefern?

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Ich habe endlich wider einmal heute den öffentl. Gottesdienst vormittags

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abwarten können, und bin gesonnen den nächsten Sonntag meine Andacht zu

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halten, wozu ich seit 2 Jahren und vielleicht länger nicht habe kommen können.

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Das zerstörte Jerusalem in mir!

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Der reisende Franzose ist ein Maynzer, Namens Carl Reisbeck, der sich jetzt

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zu Arau bey Bern aufhält und von dem wir Briefe über die Schweitz zu

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erwarten haben.

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Reichards Brief gab mir einen Stoß nach W. zu schreiben, dafür ich ihm sehr

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danke, dem ich sonst vielleicht noch in Jahr und Tag
nicht
geantwortet haben

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würde. Unser liebe H. scheint auch in mancherley Druck zu leben, den ich durch

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meine Klagen nicht schwerer machen mag.

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Non posse praetenditur, non velle in causa est. Posse
und
velle
läuft so in

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ein ander, daß man freylich kaum immer das eine vom andern unterscheiden

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kann. Zu einer Reise außer Landes gehört Erlaubnis aus dem Cabinet und

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denn wenigstens so viel Baarschaft als mein armer Freund Hill, womit unser

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einer kaum bis Wandsbeck würde reichen können. Ich zweifele selbst, daß eine

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Reise, besonders unter solchen Umständen eine gute Wirkung auf meine

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verstockte Constitution thun würde. Die liebe gute Gevatterin, Frau Rebecca mag

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sich also noch ein wenig gedulden auf meinen Sohn, von dem ich hoffe, daß er

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beßer gerathen wird als sein bereits grauer und Lebenssatter Vater.

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Eure und meiner Freunde Briefe machen mir immer so viel Vergnügen, daß

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meine
Casse
nicht so blöde ist selbige als meine eigene frey zu machen, weil es

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mir vorkomt, daß sie so wenig des Schreibens als Lesens, geschweige eines

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Dreyers werth sind.

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Gott erhalte Euch lieber Gevatter bey Eurer guten Laune und beßere Eure
Casse

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– Nur werdt kein reicher
Cavalier
um den Lauf der Dinge, wie unsere reiche

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Potentaten durch ihre Grosmuth zu stören. Freylich ists gesund, wenns

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überstanden ist!

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Der Herzog von
Curl
ist gestern Abend angekommen; ich habe heute im

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vorbeygehen seinen Concertmeister HE
Veichtner
gesprochen. Die Schwester der

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Herzogin, geschiedene Cammerherrin von der Reck hat sich auch bey ihrer

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Durchreise um mich bekümmert, und wird vielleicht auch in Wandsbeck ansprechen;

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vielleicht auch mein alter Freund u Verleger Hintz, gegenwärtiger Landschafts

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Advocat.
Gott seegne und erhalte Euren lieben
Johannes
, die glückliche

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Mutter Rebecca, Pathchen sammt den übrigen Schwestern.

S. 185
Erbarmt Euch des Herrn
Barons
von
Sainte-Croix,
wann er es verdient und

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gebt uns bald Nachricht von Eurem Entschluß. Gott sey mit Euch und uns allen.

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Ich habe eben des alten würdigen J. J. Mosers Leben gelesen mit vielem

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Antheil. Die neuste Schrift über Regenten, enthält auch Euren Namen.

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Lebt recht wohl unter 1000 Grüßen, und Küßen im Geist Eures alten

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J G Hamann.

Provenienz

Druck ZH nach der überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Berlin, Sammlung Eugen Wolbe.

Bisherige Drucke

Wolfgang Stammler, Matthias Claudius, der Wandbecker Bote. Ein Beitrag zur deutschen Literatur- und Geistesgeschichte. Halle an der Saale 1915, 254.

ZH V 183–185, Nr. 755.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
183/6
Virtuoso ambulante
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
Virtuoso ambulante
183/21
negative
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
negativ
e
184/31
Curl
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
Curl.