750
S. 167
Königsberg den 24
Julii
84.
2
Alter lieber Freund,
3
Ihren warmen Brief erhielt den 5
Julii
und habe immer das Pack erwartet,
4
welches diesen Morgen mir ins Haus gebracht wurde und gestern Abend spät
5
angekommen.
6
Ihr Entschluß H. nicht eher zu antworten, bis er vorher Ihren Brief von hier
7
aus verdauet hätte, kam mir billig vor. Ich habe noch selbst nicht nach W.
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schreiben können, werde es aber so bald als immer möglich, thun, mich aber
9
gegen ihn nicht weiter auslaßen, als Sie mir vorgeschrieben.
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Eigennutz
und
Freundschaft
waltet unter uns allen 3. Der gar zu
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vertrauliche
Ton, an den der gute H. gegen Sie gewohnt ist komt Ihnen in der
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gegenwärtigen Lage,
verächtlich
vor. Unterdeßen gestehen Sie selbst, daß
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Ihre zu weit getriebene Aufopferungen immer eine Erwartung und rechtlichere
14
Schadloshaltung im Hinterhalte gehabt. Entschließen Sie sich gantz zu einer
15
Seite, wenn Sie
können
und
wollen
– entweder gantz
Buchhändler
oder
16
gantz
Freund
zu seyn. Doch die
Pudenda
unserer Natur hängen mit den
17
Cammern des
Herzens
und des
Gehirns
so genau zusammen; daß eine zu
18
strenge
Abstraction
eines so natürlichen Bandes unmöglich ist. Vielleicht wäre
19
eine kleine
Reformation
in den
Grundsätzen
des Buchhandels – die Sie mir
20
schon einmal gebeichtet – und in der Ausübung der
Freundschaft
– ohne die
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kein
Saltz
noch
Gewürz
für unser täglich Brodt ist, von dem der Mensch doch
22
nicht allein zu leben im stande ist, das beste Mittel Ihrer gegenwärtigen
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Verlegenheit und aller künftigen ähnlichen unangenehmen Fälle.
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Wenn unser alte Freund wirklich Ihr Schuldner von 100 # bleibt, wozu
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wollen Sie aus gantz falscher Grosmuth Ihr Recht dazu im Stich laßen? Nein,
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zahlen Sie ihm bis auf den letzten Heller, und meßen Sie nach gleichem Maaße;
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und bringen Sie einmal Ihre ganze Rechnung ins Reine.
28
Er ist
wirklich in Noth
und hat sich Rechnung auf diesen einzigen
Zweig
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seiner Industrie
gemacht; er schämt sich vielleicht Ihnen das Bekenntnis zu
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thun. Bey Ihnen ist weniger von wirklichem Verlust als dem + u − des
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Gewinns die Rede. Je weniger Sie zum voraus auf diesen Verlag rechnen werden,
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desto mehr werden Sie anfangen zu gewinnen.
33
Er bleibt immer einer unserer besten Köpfe, der vielleicht eben jetzt seine
Reife
34
erlangt – Wird es Ihnen nicht nachher
nicht
wider leidthun. Nicht Ihren
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Schaden verlange ich, sondern nur
Zufriedenheit
mit
mäßigem Gewinn
,
36
als ein Oel für die Räder Ihrer ganzen Buchhandlung. Ich muß hier wie ein
S. 168
Blinder von der Farbe reden. Krankheit und zunehmendes Alter ändert
2
Gegenstände und unsere Eindrücke von denselben; denen wir so wenig trauen können
3
als den entgegengesetzten. Also mit unserm Vertrauen auf Gott wächst unser
4
Vertrauen auf Menschen und unsere Stärke, das böse mit Gutem zu
5
überwinden, und nicht Böses mit bösem zu vergelten.
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Ein Bruch zwischen zween alte Freunde ist immer die allereckelhafteste Sache,
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und ein wahrer Herzens Krebs. Wie sehr hängt es von unserm Gebrauch der
8
Menschen ab, sie
bös
und
oder
gut
zu machen, Leben oder Tod aus ihnen zu
9
ziehen. Um sich einen
schweren
Articul im Handel zu erleichtern, wäre es nicht
10
möglich sich ein wenig im Verlage mehr zu
concentri
ren oder einzuschränken
11
oder andere Verhältniße der
Bilance
einzuführen und zu
versuchen
.
12
Kurz, Sie sehen aus allem, wie sehr ich wünsche, daß Sie Verleger dieses
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großen Werks
blieben und mit Ihrem hitzigen Temperament und heftigen
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Gemütsbewegungen nicht den
Ehrgeitz
und
Muth
des Autors im Fortschritte
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seiner Arbeit erstickten, noch den Geitz seiner Bedürfniße durch eine zu strenge
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kaufmännische Gerechtigkeit auszutreiben suchten, oder vielmehr zu
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beyderseitigem Nachtheil aufs äußerste brächten. Ich glaube, daß ein ehrliches lauteres
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offenes herzliches Betragen ihn zu einem harmonischen Ton umstimmen wird.
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Summum ius
und
summa iniuria
scheint von beyden Seiten so hoch wie
20
möglich gespannt zu seyn.
Wenn Sie,
wo möglich, jetzt alles einräumen; so
konnten
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Sie für die Zukunft alles genauer dadurch bestimmt und abgemacht erhalten.
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Bey aller Umständlichkeit, womit ich Ihnen Winke auf alle Nebenumstände
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zu geben suche, bin ich nicht im Stande weder Ihrem freundschaftlichen
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Vertrauen, noch mir selbst Gnüge zu thun. Die Schuld liegt offenbar an Euch
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beyden – Natürlich zieht mich ein Vorurtheil mehr zur Parthey eines armen
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Autors, als eines schlaueren Verlegers. Der eine hängt an sein Haussystem, der
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andere ein sein Handlungssystem; der eine muß für Capitalia, der andere für
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die Zinsen sorgen. Die Lage einer Haushaltung bin ich eher im stande mir
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vorzustellen, als das große Gewühl einer Handlung, von dem ich nichts verstehe.
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Sie können leicht denken, daß ich Ihnen, liebster Hartknoch, in den meisten
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Stücken mehr
Recht geben
muß, als unserm gemeinschaftl. Freunde; aber
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eben dadurch sind Sie auch zu mehrerem
Mitleiden
verpflichtet
, und fast
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möcht ich sagen, Grosmuth verpflichtet, weil Sie den
Autor
in Ihrer Gewalt
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haben und er nicht Sie. Verlieren Sie keinen Heller, aber nehmen Sie mit dem
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Wucher von 3 für lieb, und
treffen Sie
Ihre Maasreguln darnach so wol im
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Gantzen als im Einzelnen, und setzen Sie einer so alten verjährten fast grau
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gewordenen Freundschaft das letzte Kränzchen auf, daß der liebe Mann nicht
S. 169
Feuer und Muth verliert zu
Ideen
! einer
Philosophie
!! der
Geschichte
2
der Menschheit
!!! Erwägen Sie jedes Wort und fühlen Sie den Nachdruck
3
eines so zusammengesetzten kühnen ausgelaßenen Plans, der in keinen
4
gemeinen Menschenkopf
e
einfahren können, und der im Namen der Menschheit
5
Nachsicht, Pflege und Bewunderung verdient.
Homo sum
– das Fundament
6
aller übrigen Verhältniße, von denen Handel und Wandel eben nicht das
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edelste und nothwendigste ist, wenigstens wie er jetzt menschenfeindlich von
8
Fürsten und Juden gemisbraucht und verkannt wird.
9
Nun,
mehr
kann ich hierüber nicht sagen aus meinem kranken Kopfe, und
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schließe mit dem herzlichsten Wunsch daß alles zu gemeinschaftlicher
11
Zufriedenheit beygelegt und abgemacht werden möge. Tausend Dank für d
en
as
12
heutige
n
Pack, welcher enthält den 3
ten
Band des Petersb
. Journal in
13
triplo
,
Zendavesta
2ten Bandes 1 Theil,
Backmeisters
Beytr. zur
14
Geschichte Peters des Großen
,
Schmidts Material. 1 Th. nebst dem
Vers. über
15
die materielle Welt
, nebst den 9
Bändchen der Romanen Bibl
. für
16
meine Mädchen u
Mümplers
2. Th. für Hänschen. Von
Reiske
habe
17
erhalten
1.
Abil Walidi
;
2.
Proben der arab. Dichtkunst;
3
seine Saml. arab.
18
Schriften.
4
Abulfedae Annales Moslem.
5
Anthol. Graec.
(die ich aber selbst
19
schon besitze)
6.7.8.9.
Animaduersiones,
deren Vollständigkeit ich noch nicht
20
übersehen kann. Die 1 Lage in
Thucydid.
ist doppelt und vermuthl. fehlt sie
21
einem dortigen Exempl.
10
Die Uebersetzung der Reden aus dem Thucydides u
22
das
11.
Corpus
der griechischen Redner. Werde die gröste Sorgfalt für alles
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tragen; künftig mehr.
24
Vergeßen Sie nicht liebster Freund! daß ich im Stande bin nach der Schweitz
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zu antworten wegen des
Kastens
den HE Lentz dort zurück gelaßen. Ziehen Sie
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doch deshalb den Superintendenten zu Rath, u theilen Sie mir seine Meinung
27
mit.
28
Wegen des Schiblemini noch keinen Laut, welches mich sehr unruhig und
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ungedultig macht. Wenn Sie so gütig seyn wollten, bey Gelegenheit
30
hinzuschreiben. –
31
Dom. VII. p Tr. S. Jacobi.
25. Juli
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Alles hat sich verabredet, mir nicht das Ende dieses Briefes gestern erreichen
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zu laßen. Ich fahre also heute fort – und widerhole meine Bitte die
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Ausfertigung des Schiblemini zu befördern. Der Drucker wird doch nicht so unklug
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gewesen seyn den Innhalt irgend einer Censur zu verrathen, und weder sich selbst
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noch Sie
exponi
ren. Ich sehne mich mit jedem Posttage diese 4 Bogen zu sehen,
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und diese Ungewißheit verdirbt mir allen Genuß des Sommers. Nicht eine
S. 170
Mutter kann sich über den ersten Anblick ihrer Leibesfrucht so freuen, wie ein
2
Schriftsteller seine Arbeit gedruckt zu sehen. Ich weiß (und könnt es beschwören)
3
kaum selbst mehr was ich zusammen geschwitzt und geschnitzt habe. Ein solches
4
Löschpapier ist mein Gehirn.
5
Zöllners Schrift über Jerusalem habe angesehen, um blos zu beurtheilen, ob
6
wir uns einander ins Gehäge gekommen; wir scheinen uns aber kaum
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einander berührt zu haben. Bitte
paszolli
lieber H. seyn Sie Boas,
endelich
8
Ruth
III.
18. Nicolai hat mir seinen
Catalog
zugeschickt, in dem ich J. E.
9
Mayer’s Bändchen sokratischer Denkwürdigkeiten mit Betrachtungen. Wien.
10
(v. Kurzbeck) finde. Ist doch nicht ein
Abdruck
meiner Denkwürdigkeiten?
11
Keiner unserer Laden hat dies Buch, und der Anblick kann dies gleich
12
entscheiden.
13
Me Courtan
hat immer umsonst (auf die Nachricht Ihrer Frau Schwester)
14
die
Synonymes
erwartet und selbige zu großem Glück bey Hartung gefunden.
15
Es war ein Auftrag der alten Gräfin von
Finkenstein,
der sie mit Seel und
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Herz ergeben ist und eine alte ehrwürdige
Dame
u Mutter unsers jüngsten
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Ministers. Ich vermuthe daß das Versehen an Ihren Leuten liegt – und keines
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weges an Ihrem Willen, sie in Verlegenheit zu setzen.
19
Aber Ihre
Freygebigkeit
und meine Undankbarkeit,
die
selbige thätlich
20
zu erkennen, wird auch für mich beunruhigend – Bey einer leeren Auflage
21
meiner
Saalbadereyen
kann ich keinen Vortheil für Sie absehen, und zu
22
neuen Arbeiten sind mir innere und äußere Umstände nicht günstig. Ich
23
erwartete und erwarte zum Theil noch einen kleinen Schub in meinem geheimen
24
Entwurf von
Schiblemini
. Komt er oder komt er nicht? – sind einige
25
Wirkungen zu erwarten? und ließe sich Gebrauch davon machen? Dies liegt alles
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für mich in weitem Felde, und über dem Warten vergeht mir die Lust, und ich
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werde Muthlos; das ich schon mehr als zu sehr bin. Die Kritik der reinen
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Vernunft wird jetzt rege und fängt an zu gähren. Ein Gesichtspunct, der mit meinem
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Plan sehr genau zusammenhängt.
30
Noch eine Neuigkeit, die ich Ihnen mittheilen muß. In Trutenau hält sich ein
31
Schweitzerischer Doctor auf, der mit dem Verf. der Briefe eines jungen
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Franzosen genau zusammen gelebt, und ihn
Reisbeck
nennt. Die Briefe über die
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Schweitz welche tägl. erwartet werden, sind auch von ihm. Der Freyherr von
34
Balderungen Domherr zu Speyer u Freund der Pomona ist also nicht der
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wahre Verfaßer, wie man mir aus Berlin hat einreden wollen.
36
An HE von Auerswald habe den Preis des Sh. noch nicht melden können,
37
weil ich ihn hier nächstens vermuthe. Empfehlen Sie mich Ihrem werthen
S. 171
Hause und Ihren lieben Sohn, wenn Sie an ihn schreiben. Ich umarme Sie
2
unter den ergebensten Grüßen der Meinigen und ersterbe Ihr alter verpflichteter
3
Freund und Diener
Joh
Ge Hamann.
4
Bitte mir auch an der Ausgleichung mit Herder Antheil nehmen zu laßen
5
und alles was ich darüber geschrieben, zum Besten auszulegen und
6
anzuwenden. Gott seegne Sie mit Gesundheit und Zufriedenheit! Amen.
7
Adresse mit Mundlackrest:
8
An des / HErrn Hartknoch HochEdelgeboren / zu /
Riga
. /
Einschl
.
9
Vermerk von Hartknoch:
10
HE
Hamann
in Petersb
11
Empf den 24
Jul
1784
12
beantw
d.
27
Jul
–
Provenienz
Druck ZH nach der überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 5.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VII 141–146.
ZH V 167–171, Nr. 750.
Zusätze fremder Hand
171/10 –12
|
Johann Friedrich Hartknoch |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
168/20 |
Wenn Sie, ]
|
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: Wenn, Sie |
168/20 |
konnten ]
|
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: könnten |
169/17 |
2. |
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: 2 |
171/3 |
Joh ]
|
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: Joh. |