734
134/24
Wenn Sie, lieber Hamann, beym um vergebung Bitten anfangen, wobey

25
muß ich anfangen? Laßt nur alles das
vorübergehen,
und sonst fünf Minuten

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mit einander etwas gutes oder freundschaftliches reden. Auch ich kann das Ende

27
oder den Ausgang meiner Bearbeitungen schlechterdings nicht absehen. Daher

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üb ich mich immer mehr, mich auf den gegenwärtigsten Moment zu fixieren, und

29
den so gut wie möglich zu prägen, und damit alles gut seyn zu laßen.

30
Sehr wünscht ich für Geld und gute Worte zu haben Hamans, des

31
Esrahiten unterweisung von der
Schwachheit der Elenden
. Ohne Zweifel ist’s

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auch ein Spiegel meiner eigenen Armensünderey.

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In diesen Tagen des tausendgestaltigen, millionenköpfigen und völlig

34
herzlosen Unglaubens mach ich mir’s zur zehnfachen Pflicht, alle die öffentlich für

S. 135
Brüder
zu erklären, die sich des gekreuzigten Herrn der Herrlichkeit nicht

2
schämen, und mit weisheit die Thorheit seines Evangeliums vertheidigen. Izt

3
heißt’s‥ Wer nicht für uns ist, der ist wieder uns.

4
Gott Lob‥ der
III.
Theil des
Pilatus
ist zu Ende. Und ich darf sagen: ich

5
freue mich mit Zittern. Sonderbares Schiksal, daß ich diese Schrift immer

6
gerade zuerst denen in sechsfache Censorhände geben muß, die am tiefsten dadurch

7
verwundet werden. Dieß macht mich gleich vorsichtig und stark. Auch ist eine

8
Herzenserleichterung
von mir unter der Preße, die Ihnen, lieber Hamann,

9
für mich, wohl und wehe, weh und wohl machen wird.

10
Es ist eine harte Zeit für die Kinder der Wahrheit – so ohne Gott für Gott

11
zustehen – und sich unaufhörlich rufen zu laßen: Wo ist Euer Gott?

12
Für alle brüderliche Nachrichten, die Sie mir geben sag ich Ihnen herzlichen

13
Dank. Es regt sich dabey immer was gutes im
Herzen,
und wie können wir Gott

14
spühren, als wenn sich
etwas
Gutes in uns regt?
Pfenninger
(der wieder

15
gesunde, in seinen 7 blühenden Kindern und Gott vergnügte) soll an der

16
Fortsetzung der
Samlungen
zum christlichen Magazin erinnert werden.

17
Lieber Hamann, eine Bitte,
womöglich,
für meine immer schwächern Augen

18
etwas leserlicher zu schreiben. Ich kann manches Hauptwort bis izt nicht

19
entziefern.

20
Immer wollt’ ich
Kants Kritik der Vernunft
lesen. Aber ich weiß nicht:

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Noch wollt’ es mich nie recht annehmen. Doch muß ich’s lesen, um meines

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Einmahleins
willen.

23
In
Moses Jerusalem
hab’ ich vortrefliche Erläuterungen, Beleuchtungen,

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wollt’ ich sagen, gefunden, und die Dißkretion und Schonung bewundert,

25
womit er sowohl den Veranlaßer dieses werks, als unsern Herrn behandelt. Daß

26
Er die christliche Pfingsten nicht für moralische positife Aufhebung der

27
mosaischen
Gesezgebung
(nach der
Regel – „
wenn Lieber kommt, muß Lieb weichen)

28
erkennen konnte, ist leicht zu begreifen. Ich muß das Buch nochmahls lesen, um

29
es recht, das ist, umständlicher beurtheilen zu können.

30
Es ist sonderbar, daß Du unsere
s
Söhne
so liebreich traust und daß jeder

31
derselben
einzig
und der
Medezin
sich zu widmen entschloßen ist. Mein Heinrich

32
soll in einigen Wochen von
Stolz
aus Offenbach
zurükkommen
, um in meines

33
großmüthigen und geschickten Bruders Offizin und unter seiner medizinischen

34
Aufsicht, soweit es möglich ist, sich zum Arzte zu bilden. Er macht mir viele

35
Hoffnung und Freude – und sein beßerer
Sinn,
so wie seine sonderbare

36
Führung – gehört unter die Monumente demüthig erflehter Gottesgnade.

37
Freund
Pfenninger
treibt und drängt mich immer zum Herrn. Er belaurt

S. 136
und behorcht mich immer ob er keinen Stral von oben, keinen Geruch des Lebens

2
zum Leben an mir bemerke? Aber – ach! Ich rieche nichts als den Geruch des

3
Todes zum Tode. – Dennoch harr’ ich blicke nach der Höhe, ob Er das äußerste

4
seines Fingers regen wolle? Ach! Bruder! Es ist eine harte Zeit, die Zeit
unsers

5
Vielredens und
Seines
Still
Tiefschweigens.

6
Pfenningers
Jüdische Briefe
müßen einem Kinderherzen, wie das Ihrige

7
ist, ich hätte bald gesagt, wie das Deinige, wohl gemacht haben.
Reichhart
war

8
mit mir in Teinach, bey mir in Zürich, lieb, edel, und gut. Lezten Herbst war die

9
Fürstinn
von –
Deßau
bey uns, die Du aus meiner
Dedikation
des zweyten

10
Bandes meiner Meßiade liebgewinnen wirst. Sie höhrte
Häfelin
predigen

11
über
Hebr:
1. „Ach daß wir bey uns einen solchen Prediger hätten!“ Der Fürst

12
sah ihn, gewann Achtung und Liebe für Ihn; – verreißte, rief Ihn zum
extra

13
Hofkaplan, den Er aus
S
seiner
Chatull bezahlen will. Häfelin nimmt den

14
ungesuchten Ruf kindlich an. Noch wußt es niemand in Deßau. Die Fürstinn gab

15
den
IV.
Band seiner Predigten
Bernhorsten
, einem natürlichen Sohn des

16
alten Deßauers zu lesen. Der kommt mit großem Erstaunen zum Fürsten „ach!

17
Gott! Daß wir bey uns einen solchen Prediger hätten!“ – „wir haben ihn!“ –

18
„unmöglich!“ – „Ganz gewiß – Ruf und Annahme sind geschehen!“ Sogleich

19
liefen beyde zur Fürstinn, um sie an der Freude Theil nehmen zu laßen. Diesen

20
Sommer reißt also Häfelin nach
Wörlitz

21
Mein Blat u. meine Zeit geht aus. Gott segne Sie für Ihren
Seegen

22
Richterschwil d. 25 März 1784

23
L.     

Provenienz

Eine Abschrift vmtl. von einem Sekretär Johann Caspar Lavaters; aufbewahrt in: Zürich, Zentralbibliothek, Signatur FA Lav Ms 563.60. Original verschollen. Letzter Aufbewahrungsort unbekannt.

Bisherige Drucke

Heinrich Funck: Briefwechsel zwischen Hamann und Lavater. In: Altpreußische Monatsschrift 31 (1894), 120–123.

ZH V 134–136, Nr. 734.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
134/25
vorübergehen,
]
Geändert nach der zeitgenössischen Abschrift; ZH:
vorübergehen
135/13
Herzen,
]
Geändert nach der zeitgenössischen Abschrift; ZH:
Herzen
135/14
etwas
]
Geändert nach der zeitgenössischen Abschrift; ZH:
was
135/17
womöglich,
]
Geändert nach der zeitgenössischen Abschrift; ZH:
womöglich
135/27
Gesezgebung
]
Geändert nach der zeitgenössischen Abschrift; ZH:
Gesetzgebung
135/27
Regel – „
]
Geändert nach der zeitgenössischen Abschrift; ZH:
Regel – :
135/30
s
Söhne
]
Geändert nach der zeitgenössischen Abschrift; ZH:
Söhne
135/31
Medezin
]
Geändert nach der zeitgenössischen Abschrift; ZH:
Medezin
135/32
zurükkommen
]
Geändert nach der zeitgenössischen Abschrift; ZH:
zurückkommen
135/35
Sinn,
]
Geändert nach der zeitgenössischen Abschrift; ZH:
Sinn
136/9
von –
]
Geändert nach der zeitgenössischen Abschrift; ZH:
von
136/11
Hebr:
]
Geändert nach der zeitgenössischen Abschrift; ZH:
Hebr.
136/13
S
seiner
]
Geändert nach der zeitgenössischen Abschrift; ZH:
seiner
136/20
Wörlitz
]
Geändert nach der zeitgenössischen Abschrift; ZH:
Wörlitz.
136/21
Seegen
]
Geändert nach der zeitgenössischen Abschrift; ZH:
Seegen.
136/22
Richterschwil […] 1784]
Geändert nach der zeitgenössischen Abschrift; ZH:
Richterschwil, den 25. März 1784