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Wolgeborner Herr Kriegsrath,

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HöchstzuEhrender Freund,

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Verzeyhen Sie meine späte Antwort. Ich bin seit dem Ende voriger Woche

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wider mit einem kleinen Flußfieber heimgesucht worden, und der elendeste

S. 128
Sclave meiner innern und äußern Umstände. Alle Bücher habe richtig zurück

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erhalten und übersende auch das mir geliehene. Meine Ausgabe vom
Repos de

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Cyrus
war schöner und vor jedem Buch ein Kupfer, auch das Format größer;

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unterdeßen hab ich ihn mit ebensoviel Vergnügen als das erste mal gelesen. Die

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Lettres sur les physiognomies
von eben demselben Verfaßer, der meines Wißens

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sonst nichts mehr geschrieben und deßen rechten Namen ich auch nicht weiß, ob

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er Bernetti oder Pernetti – besitz ich noch. Auch im Wilden des Mercier ist etwas

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wenn gleich nicht viel. Schon bey der schwedischen Gräfin hab ich gemerkt, daß

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ich mit den Empfindungen die
sich
auf das Verbrechen, welches man

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Blutschande nent, wenn sie dazu ohne Wißen und Willen begangen wird beziehen,

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nicht im allergeringsten zu sympathisieren imstande bin, und mir gar keinen

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Begriff davon machen kann. Ich lege
des
Mirabeau Werk bey von

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Staatsgefängnißen und Verhaftsbriefen, welches einem guten Freunde gehört.

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Ich habe jetzt fast gar keinen Canal um das Neue in theol. kleinen Schriften

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kennen zu lernen. Sollte mir etwas aufstoßen, und es ist mir möglich auf einige

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Zeitlang etwas zu erhalten so werde mich des mir vorgeschlagenen Weges zu

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Nutze machen. Die zwey letzten Theile von
M.
Hartwichs Apologie der

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Apokalypse habe auch kürzlich erst gelesen. Vielleicht das einzige und beste Buch, was

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darüber gelesen zu werden verdient und wodurch die Authenticität deßelben

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wenigstens entschieden und wider hergestellt wird. Eine Göttingsche Recension

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hat mich auch zu
Storrs
Abhandl. neugieriger gemacht.

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Der Verf. des Horus hat sich selbst genannt, ist der jetzige Prof. der Math.

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Wünsch zu Frankf. an der Oder, kosmologische Unterhaltungen in 3 Theilen u

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eine Theorie der Atmosphäre ist auch von ihm.

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Das Reisegespräch von Gleim wird Ihnen vermuthl. auch schon zu Handen

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gekommen seyn.
Hartwich
ist Pastor zu Groß Hartmannsdorf bey Freyberg;

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hat 72 eine
Monatsschrift aus Mitleid
herausgegeben die ich gern kennen

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möchte; Gedichte und poetische Abhandl. 80, welche mir Herder schon damals

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anmeldete.

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Den vierten Theil von Schultzens Versuch einer Anleitung zur Sittenlehre

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für alle Menschen habe auch erst vorige Woche lesen können. Am Ende der

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langen Vorrede meldet er eine gewiße andere Arbeit an, die er dem Publico

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nächstens vorzulegen gedenkt. Ich bekam den ersten Theil zum Geschenk, weiß

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aber nicht ob die 3 andern nachkommen werden. Allenfalls könnt ich es Ihnen

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von eben dem Freunde verschaffen dem der Mirabeau gehört, wenn Sie dies in

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seiner Art ebenso merkwürdige Buch nicht schon bereits kennen.

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Erhalt heute von unserm Capellmeister einen Brief mit einer Jahralten

S. 129
Einlage von Vetter Becker, der sich in Wilhelm Birken verwandelt. Der Brief ist

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von Bermudas wo er gestrandet und beynah all das Seinige verloren den

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14 Jänner 83. Der Brief an R. ist vom 17. Febr. Die Reisen eines Franz. welche

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man einem jungen
Riedesel
auch Leichsenring zuschrieb sollen vom
Abbé

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Beroldingen aus Speyer seyn der vor einigen Jahren mit
Me de La Roche

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gereist seyn soll. Ihre Pomona hat mir viel Freude gemacht, so ungern ich daran

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gieng sie zu lesen.

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Vorigen Sonntag erhielte einen sehr angenehmen Brief von dem ältesten HE

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von Hogendorp der bereits im Oct. vom Vorgebirge der guten Hofnung

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abgegangen war.

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Daß HE.
D.
Biester vom Könige persönlich zum 2ten Bibliothekar mit

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500 rthl u Wohnung an Pernetti Stelle ernannt worden, wird Ihnen bereits

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bekannt seyn. Daß er bey Ihnen um einen milden Beytrag angehalten und sich

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selbigen vermuthet, dürfte Ihnen vielleicht entfallen seyn; deshalb eine

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widerholte Erinnerung mir zu vergeben bitte. Werde auch nicht ermangeln das erste

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Heft
Viertel dieses laufenden Jahres wenn ich es selbst erhalte prompt

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mitzutheilen.

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An Ew. Wolgeboren Familien Trauer nehme desto herzlichern Antheil, da

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ich einen sehr vergnügten Sonntag in Steinbeck verlebt. Ich that diese

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Spazierfahrt theils
ex officio
theils meinem Sohn zu gefallen. Jetzt da der König die

21
Fooi
gelder gestrichen, könnt ich sie auch nicht mehr thun. Ich bin mir selbst so

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zur Last, daß ich an Ihre geneigte Einladung nicht denke, geschweige darauf

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antworten kann.

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Sie haben an
meinem
Ciceroniani
schen Funde
Antheil genommen; meine

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Besorgnis, daß die Definition aus einer anderen Stelle eingerückt war, ist

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leider! eingetroffen. Ich schlug den
Nizolium
voller Furcht und Mistrauen

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nach, und übersehe in einer freudigen Unruhe nichts zu finden, welches ich

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gleich in der ersten Stelle als eine Erklärung vermuthete, die letzte Zeile des

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Articuls, wo ausdrücklich steht:
Valeat aequitas, quae paribus in causis paria

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iura desiderat! Topic. Cap.
4. Was mich noch sicherer machte war daß keiner

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von beiden Heusingern in ihren Anmerkungen diese Stelle angeführt und der

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eine gar selbst
ex proprio Marte
eine Erklärung zusammengesudelt.

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Unterdeßen bleibt es immer eine Seltenheit, daß kein einziges
mst.
dies
glossema

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hat.

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Einer Sage nach arbeitet unser liebe Pr Kant der sich des Maler Becker Haus

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gekauft an einer Antikritik – doch der Titel ist noch nicht ausgemacht – gegen

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Garvens Cicero als eine indirecte Antwort auf deßelben Recension in der A. d.

S. 130
Bibl. Seine Absicht ist es auch gewesen in die Berl. Monatsschrift Etwas über

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die Schönheit zu liefern.

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Nach ergebenster Empfehl. an Dero Frau Gemalin habe die Ehre mit der

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vollkommensten Hochachtung zu seyn

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Ew Wolgeboren

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ergebenster Freund und Diener

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Johann Georg Hamann

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den 18 Febr. 84.


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Adresse mit Siegelrest:

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HErrn Kriegsrath Scheffner / Erbherrn von und / zu /
Sprintlacken
. /

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Nebst zwey
Evangel
.
Büchern
.

Provenienz

Druck ZH nach dem überlieferten Typoskript Walther Ziesemers, mit stillschweigenden Änderungen Arthur Henkels (unten werden nur semantisch abweichende Änderungen vermerkt). Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Preußisches Staatsarchiv Königsberg, Nachlass Johann George Scheffner.

Bisherige Drucke

ZH V 127–130, Nr. 731.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
128/9
sich
]
So ZH. Im Typoskript Ziesemers:
ich
128/12
des
]
So ZH. Im Typoskript Ziesemers:
das
128/26
Hartwich
]
So ZH. Im Typoskript Ziesemers:
Harbich
129/24
meinem […] Funde]
So ZH. Im Typoskript Ziesemers:
meiner Ciceronianischen Freude