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S. 126
Königsberg den 30 Jänner 84
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Herzlich geliebtester Herr Gevatter, Landsmann und Freund,
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Wenigstens schlafen Sie nicht, wie ein Brutus – sondern wie man halt!
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schläft in den Armen eines lieben zweiten Ichs! Wenn Sie nicht Zeit zu
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schreiben haben; so nehmen Sie sich wenigstens welche zu lesen.
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Daß unser Freund Kreutzfeld auch schläft, wißen Sie. Er verschied am
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Krönungstage, ohne ihn besungen zu haben, und selbst seine
würdige
Mutter
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– denn dafür erkennen Sie alle seine Freunde – wünschte ihm Ruhe und hatte sie
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auch nöthig. Er soll diesen Montag beerdigt worden seyn. Ich verbat das
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Gefolge und bin deshalb auch nicht eingeladen worden. Ungeachtet unser Umgang
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schon seit Jahr und Tag beynahe abgebrochen und auch unsere Freundschaft
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dadurch etwas erkaltet war: so blieb der Grund doch feste. Er hatte noch bis auf
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die allerletzte Wochen eine ungemeine Heiterkeit des Kopfs und Ruhe des
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Gemüths – und seine poetische Ader behielte ihre Schnellkraft bey aller
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Leichengestalt, die er an sich trug. Er machte mir ein paar Vorwürfe oder gab mir ein
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paar Lehren zu guter Letzt – die mir lang geahndet hatten, und die mir im Grunde
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lieb waren und das ganze Misverständnis von keiner Bedeutung. Seine letzte
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Schrift verlegt Hartung u wird wie man mir gesagt bey Decker gedruckt. Sie
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handelt vom Preuß. Adel u ist gegen die Braxeinsche Familien Nachrichten u
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durch selbige veranlaßt. Akademie u Königl. Bibl. leidet einen kaum ersetzl.
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Verlust an ihm. Beyl. ist von seinem Gehülfen Prof Reusch. Von seinen
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hinterlaßenen Handschriften erklärte er sich, daß er blos zu seiner eigenen Uebung
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ohne Rücksicht auf das Publikum gearbeitet. Ich glaube daß Kraus und ich an
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d
em
iesem Vermächtnis ss
Bruders
soviel Antheil, als wir wollen, nehmen
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können.
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Ich habe vorigen Sontag an HE
D.
Biester geschrieben und seh mich
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genöthigt meine ihm ertheilte Nachricht einer Ciceronianischen
Definition
von der
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Billigkeit zu berichtigen. Den Verdacht hatte ich gleich, daß sie aus einem andern
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Buch eingerückt war – so gewiß ich sie auch für
Ciceronis
hielte. Erstlich
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verführte mich Heusinger der
ad Lib. II. Cap XII.
eine
Definition de Aequitate
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giebt. Da dachte ich, wenn der Mann eine in
Cicero
gefunden hätte, so hätte er
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gewiß solche für seine angebracht. Den
Ernestin
schen Schlüßel konnte ich nicht
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sogl. habhaft werden; besinne mich einen
Nizolium
selbst zu besitzen. Finde ihn
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nach vielem Suchen, schlage ihn mit einer
Furcht
auf, laufe den Articul durch
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und überseh die letzte Zeile; denn eine Erklärung des Worts muste nach meiner
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Einbildung allen übrigen Stellen vorgehen. Heute komme ich zufällig noch
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einmal über meinen
Nizolium,
ein wenig ruhiger und aufmerksamer, und finde zu
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meinem großen Erstaunen in der letzten Zeile
Topic
.
Aequitas in paribus causis
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paria jura desiderat.
Nun ist es für mich ausgemacht, daß mein vermeinter Fund
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ein offenbares
Glossema
ist, das in den Text meiner Handschrift gerathen.
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Mangel der Verbindung hab ich immer vermißt und eben so gut
gefühlt
die
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Aechtheit als das Misverhältnis der Stelle.
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Also auch diese Freude ist zu Waßer – und da kein Unglück ohne Gesellschaft
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komt: so soll die
Direction
vorgestern von der
Gen.Adm.
die Königl.
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Entscheidung erhalten haben daß die ganze Einnahme der Biergelder von
Fooien,
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(
Quittance
u Judensechsern) in die Kgl. Spaarbüchse fließen sollte. Sehr mögl.
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ist es; ob es
wahr
ist, steht noch dahin. Desto wahrscheinlicher aber wird diese
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Biergelderdiät Kopfweh und Bauchgrimmen nach sich ziehen, ohngeachtet
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unserer Zöllner- und Sünderwünsche:
Wol zu bekommen
! Gute Nacht!
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Bier! Pfeife!
Tabatiere! Caffe! Porto!
Freundschaft! Vaterland! du falsche
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beste ganze Welt!
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Haben Sie ein Wort des Trostes für Ihren Freund: so laßen Sie ihn nicht
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drauf warten. Mein Gott! ist es denn nicht mögl. etwas von unserm Vetter
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zu erfahren? Nicht einmal eine Antwort auf so viel Fragen; oder hab ich sie
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alle in Gedanken gethan? Empfehlen Sie mich Ihrer lieben jungen Frau, küßen
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Sie Pathchen – – und Ihr liebes Schwester Louischen. Mein Sohn lebt noch in
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Graventihn und ich kann nicht die Zeit erwarten ihn wider zu sehen. Mein
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übriges kleines Gesindel ist Gottlob! gesund und empfiehlt sich Ihrem gantzen
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Hause – den jungen Hänsler nicht zu vergeßen. Gott seegne Sie und vergeßen
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Sie nicht Ihren
alten Freund, Landsmann, Gevatter u Diener
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Johann Georg Hamann.
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Adresse mit Mundlackrest (Kopf des Sokrates nach links):
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Des / Königlichen Capell Meisters /
HErr
Reichardt / Wolgeboren / zu /
28
Berlin
. /
Einschl
.
Provenienz
Druck ZH nach der überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 1.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VI 375 f.
ZH V 126 f., Nr. 730.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
127/27 |
HErr ]
|
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: HErrn |