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93/28
Königsberg
Dom XX. p
Tr.
den 2 Nov 83.
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HöchstzuEhrender HErr und Freund,
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Ihre liebreiche und höchsterfreuliche Zuschrift nebst der gedruckten Beyl. vom
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16
Jun.
erhielt im Päckchen unsers Claudius eben an Seinem Geburtstage.
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Heute vor 8 Tagen schickte mir eine Freundin zu eine kleine Erzählung nach
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Raphael, die mir eine seelige Viertelstunde machte, und worinn ich Sie zu erkennen
S. 94
glaubte, daß ich die ganze Woche an Sie gedacht und mich dabey meiner alten
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Schuld erinnert. Ich schreibe gegenwärtig auf dem Bette, weil ich einen kleinen
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Anfall von der Gicht in den beyden großen Zehen, fast ohne alle Schmerzen,
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während dem Gebrauch der bittersüßen Stengel oder
Dulcamara
bekommen.
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Ich habe mit 6 Qventchen heute den Anfang gemacht und hoffe mit dieser Woche
6
zu schlüßen.
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Die Reisen der Päpste haben eben den Eindruck auf mich gemacht und mich
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mit dem ersten Theil der Schweitzergeschichte ausgesöhnt, worinn zu viel
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achillisches für mich war und dem Gott Mäusim zu viel geräuchert worden.
10
Die
Reisen
stimmen mehr mit meinem Geschmack an der Odyßee und mit
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meinen übrigen Grillen über die
Jüdische
und
Kirchengeschichte
;
als die
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ältesten, fruchtbarsten, unerkannten Qvellen einer transcendentalen
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Philosophie u Politik. Auch was Leßing gesagt,
komt
mir eben so
alt
als wahr vor.
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Ohne den Verfaßer zu ahnden machte ich eine Ausnahme von
dem
15
Nothgesetz
, und kaufte mir diese kleine Schrift bey dem ersten Anblick. Ich hatte also
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beym Empfang Ihres Geschenks wenigstens die Freude den Vater und Freund
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zu kennen, und habe mir oben angeführte Erzählung nicht gekauft, ohngeachtet
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der innigen Beziehung zweyer Stellen auf meine Umstände und
Bedürfniße
.
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Ihre Vorsicht mir die Stelle meines eignen Briefes
mir
wider mitzutheilen,
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ist wirklich nicht überflüßig gewesen, weil es mir sonst schlechterdings
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unmöglich gewesen mich auf einen einzigen Buchstaben zu besinnen, und jetzt ebenso
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wenig im stande bin mich in den damaligen Gang meiner Begriffe zu versetzen.
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An ein wenig Unzufriedenheit mit dem Wege unserer Philosophie fehlt es mir
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auch wol nicht, und in diesem Punct konnt ich wol sagen, was Horatz zu Mäcen:
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Vtrumque nostrum incredibili modo
26
Consentit astrum –
27
Dem ohngeachtet scheint mir doch
jenes ungeheure Loch
, jener
finstere
28
ungeheure Abgrund
beynahe ein wenig
à la Pascal
ergrübelt zu seyn. Nicht
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daß ich an den Tiefen der menschl. Natur den geringsten Zweifel hätte; aber
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diese Schlünde zu erforschen, oder den Sinn zu solchen
Gesichten
auch andern
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mitzutheilen ist mißlich. – Ich zweifele beynahe wie Sie Selbst,
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HöchstzuEhrender HErr und Freund, daß ich Sie verstehe; denn Ihre Resultate scheinen mir
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Folgen individueller Erfahrungen, getäuschter Erwartungen fehlgeschlagner
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Entwürfe zu seyn die vielleicht noch gar
in crisi
sind.
Que sais-je?
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Ich hoffe, daß alle unsere Misverständniße der Freundschaft keinen Eintrag
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thun werden, und fahre mit aller Sorglosigkeit u Freymuth fort. Es geht mir
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mit der Vernunft wie jenem alten mit Gott (dem Ideal der reinen Vernunft
S. 95
nach unserm Kant) je länger ich darüber studiere, je weniger komm ich von der
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Stelle mit diesem
Ideal
der Gottheit oder
Idol
– Das ist die Natur der
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Leidenschaft, daß sie nicht am Dinge selbst, sondern nur an seinem Bilde hangen kann
4
– und ist es nicht die Natur der Vernunft, am Begrif zu hangen – Trift also
5
nicht
also nicht
beide der Fluch des dürren Holtzes? Sie machen die Vernunft
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zum Strom und die Leidenschaft zum Ufer. Thür oder Mauer!
wie man’s
7
nehmen will
. Wenn’s ja Strohm seyn soll: so ist’s der
einzige
in seiner Art,
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der wunderbare des weisen Ägyptens.
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Werdt wie die Kinder, um glücklich zu seyn, heist schwerlich so viel als: habt
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Vernunft, deutliche
Begriffe. Gesetz und Propheten gehen auf Leidenschaft
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von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften – auf Liebe. Ueber
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die deutlichen Begriffe werden die Gerichte kalt und verlieren den Geschmack.
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Doch Sie wißen es schon, daß ich eben so von der Vernunft denke, wie St Paulus
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vom ganzen Gesetz und seiner Schulgerechtigkeit –
ihr nichts als Erkenntnis
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des Irrthums zutraue, aber sie für keinen Weg zur Wahrheit und Leben halte
. Der
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letzte Zweck des Forschers ist, nach Ihrem eigenen Geständniße, was sich nicht
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erklären, nicht in deutl. Begriffe zwingen läst – und folglich nicht zum
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ressort
der Vernunft gehört. –
19
Ich habe aber diese Untersuchungen gantz aufgegeben wegen ihrer
20
Schwierigkeit und halte mich jetzo an das sichtbare
Element
, an dem
Organo
oder
21
Criterio
– ich meyne
Sprache
. Ohne
Wort
, keine Vernunft – keine Welt.
22
Hier ist die Qvelle der
Schöpfung
und
Regierung
.
23
Was man in morgenländischen Cisternen sucht, liegt im
sensu communi
des
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Sprachgebrauchs, und dieser Schlüßel verwandelt unsere beste und wüste
25
Weltweisen in sinlose Mystiker, die einfältigsten Galiläer und Fischer in die
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tiefsinnigsten Forscher und Herolde einer Weisheit, die nicht irrdisch, menschlich und
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teufelisch ist, sondern einer heimlichen verborgenen Weisheit Gottes, welche
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Gott verordnet hat vor der Welt, zu unserer Herrlichkeit – welche keiner von den
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Obersten dieser Welt zu erkennen im stande ist – – 1
Cor.
II.
– und diese
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Philosophie läßt keinen Rechtschaffenen, der an öde Stellen und Wüsten
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hingeängstigt wird, ohne Hülfe und Trost.
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Ich weiß auch nicht
, lieber Verehrungswürdiger Freund, ob
Sie mich
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verstehen
– was ich Ihnen von meinem Lager ins Ohr sage. Für die Dächer
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gehört es noch nicht.
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den 22
Novbr
36
Hier kam eben der Besuch eines Fremden aus Deßau, HE Becker, der mich
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zweymal besucht, ohne daß ich einmal im stande gewesen, ihn recht ins Gesicht
S. 96
zu faßen. Mein angefangener Brief ist 20 Tage liegen geblieben, während
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welcher ich schon ziemlich hergestellt gewesen, aber wider das Bett hüten muß, doch
3
Gottlob! ohne sonderliche Schmerzen, wenn ich liege und die beyde Patienten in
4
Ruhe und Ausdünstung erhalte.
5
Sie vergeben es mir, daß ich ohne Bedenklichkeit über Formen und Regeln
6
des Weltbrauchs fortfahre und mit Uebergehung aller verdrüslichen
7
Kleinigkeiten blos der angenehmen Eindrücke mich erinnere, die ich in dem
8
Zwischenraum der ganz zufälligen Lectur von den 8 Heften der Pomona zu danken
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gehabt. Ich hatte dies Buch von einem Freunde für eine Freundin besorgt, die es
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mir zurückgeschickt hatte. Meine Unpäßlichkeit und der Aufenthalt meines Sohns
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auf dem Lande verhinderten die Ablieferung – Es lag mir vor Augen, ohn daß
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ich Muth hatte anzubeißen. Ich verschwende so viel Zeit im Lesen, daß ich mir
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bisweilen aus der Enthaltsamkeit auch am unrechten Ort ein Verdienst machen
14
muß. Unterdeßen war der Name Bondeli zu anzüglich, nicht wenigstens in
15
Ansehung deßelben meine Neugierde zu befriedigen.
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Eine Baroneße von Bondeli ist eine alte und unschätzbare Freundin für mich,
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bey deren seeligen Vater ich auf 2 Jahre wie ein Miethsmann und wie ein Kind
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beynahe im Hause gelebt. Seine einzige Tochter hat ihre beste Lebenszeit der
19
Pflege ihres von Jahren und Krankheiten erschöpften Vaters aufgeopfert, der
20
ein sehr verehrungswürdiger Mann und Tribunals- u Pupillenrath war. Er
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genoß in den letzten Jahren, da ich bey ihm lebte, die Zufriedenheit seinen Sohn
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in Bern, wo er herstammte, auf eine sehr vortheilhafte Art versorgt zu sehen,
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als Aufseher der dortigen Militz. Ich habe ihn selbst nicht gekannt; seine
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herrschende Neigung zum Spiel, und noch mehr seine fast
unverzeihlige
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Vernachlässigung einer einzigen verdienstvollen Schwester scheinen mir eben keine
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Empfehlung seines Characters zu seyn. Zwar aus
Noth
Verlegenheit, aber mit
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dem edelsten Gefühl der Ehre und des Gewißens entschloß sie Sich zum Beruf
28
einer
Beaumont
, und hat mit genauer Noth die Anzahl ihrer
Pensionairs
auf
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5
gebracht,
ohne erkannt noch unterstützt zu werden. Sind Sie im stande von der
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seel.
Julie
noch einige Umstände mir sowol als Ihrer Hiesigen an Geist und
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Herz so nah verwandten
Bondeli
mitzutheilen oder allenfalls durch die
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dortigen Verbindungen der
Me. de la Roche,
von dem dortigen Bruder: so würde
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ich dies wie eine neue Wolthat Ihrer Gewogenheit erkennen. Die so reitzende
34
Scene zwischen Fritz – Seiner
Betti
und Ihrer Sophie gehört wol nirgends als
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in
Pempelfort
zu Hause?
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Ich bin auch genöthigt dieses
offene
Blat meinem Gevatter Claudius
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beyzulegen, und seiner Verantwortung es zu überlaßen, ob er es zurückhalten oder
S. 97
befördern will. Es geht schon in die 6te Woche, daß ich nicht aus dem Hause
2
gewesen. Bey aller Gemächligkeit meines
Packhofverwalter
dienstes
am
3
hiesigen Licent, bey aller meiner Entfernung von Umgange und
4
gesellschaftlichen Verbindungen weiß ich nicht die
meiste Zeit
, was ich mit ihr anfangen
5
noch wo ich sie hernehmen soll, und
bin
also ein Märtyrer entgegengesetzter
6
Bedürfniße. Meine geläufigsten und ergiebigsten Thränen qvellen aus Wollust
7
und Freude; Ungedult und erstickter Zorn arten desto leichter bey mir in ein
8
Lachen aus. Nach dieser kleinen Idiosynkrasie habe ich mir einen etwas
9
abweichenden Character jener beiden
übelberüchteten
Philosophen gemacht. Mein
10
gröstes Hauskreutz liegt vielleicht darin, daß ich meine
r
natürlichen Liebe zu
11
den vier gesunden Kindern, welche mir Gott geschenkt hat und deren ehrliche
12
Mutter zwar nicht meine Frau aber doch Haushofmeisterin ist, durch eine
13
angemeßene
Erziehung zu befriedigen außer stande bin. Mein ältester und einziger
14
Sohn geht ins 15te Jahr, hat sich der Arzneywißenschaft gewiedmet, auch
15
hierinn nach meines Herzenswunsch, und lebt seit diesen Sommer auf dem
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Lande wenige Meilen von der Stadt, bey einem HE. Kriegsrath
Deutsch
, der
17
unlängst aus Potsdam als künftiger Erbe eines sehr ansehnlichen Gutes
18
Graventin
ins Land gezogen und zur Gesellschaft und Aufmunterung seines
19
einzigen Kindes und deßen geschickten Hofmeisters sich meinen Sohn
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ausgebeten, der von gleichem Alter mit jenem ist und mit dem er gleiche Vorrechte in
21
allem genießt. Dieser außerordentliche Beweis göttlicher Vorsehung beruhigt
22
mich zugleich für meine 3 jüngern Töchter, deren Wachsthum ich blos zusehen
23
mu
ßte
ß
, ohne ihre nöthige Bildung befördern zu können. Was aber am meisten
24
die Oekonomie meiner Kräfte und ihres freyen Gebrauchs stört, ist wol ein
25
hypochondrisches Wechselfieber von Uebertreibung und Erschlaffung.
26
Vielleicht finden sich, HöchstzuEhrender Herr und Freund, in diesem Gespinst
27
einige
stamina
unser sympathetisches Gefühl zu entwickeln, oder zu berichtigen
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oder auf die Zukunft zu befestigen. Vielleicht aber werden Sie gänzlich vereckelt
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und abgeschreckt von Ihren günstigen vorgefaßten Meinungen – In beyden
30
Fällen unterwerfe mich dem Gewinn und Verlust meines Schicksals, wiewol
31
mit stärkerem Vertrauen auf Ihre Nachsicht und Liebe, als auf mein Verdienst
32
und Würdigkeit.
33
Gott
laße
es Ihnen und Ihrem ganzen Hause an keinem Guten fehlen, und
34
erfülle mit vollem Maas den Seegenswunsch der Göttin
Pomona!
Ich ersterbe
35
mit der herzlichsten Ehrerbietung
36
Ihr
37
ergebenster verpflichteter Freund und Diener
38
Johann Georg Hamann.
39
Vermerk von Jacobi:
Fischer
u
Lengnick
zu Konigsberg
Provenienz
Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.
Bisherige Drucke
Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, I 368–374.
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 5–10.
Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 3: 1782–1784. Hg. von Peter Bachmaier, Michael Brüggen, Heinz Gockel, Reinhard Lauth und Peter-Paul Schneider. Stuttgart-Bad Cannstadt 1987, 222–227.
ZH V 93–97, Nr. 721.
Zusätze fremder Hand
40/39 |
Friedrich Heinrich Jacobi |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
40/39 |
Fischer […] Konigsberg] |
Hinzugefügt nach der Handschrift. Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): Am Fuß der Seite, von Jacobis Hand: Fischer u Lengnick zu Konigsberg |
93/28 |
Dom XX. p |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Dom. XX. p. |
93/31 |
Jun. |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Jun. |
94/11 |
Kirchengeschichte ; ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Kirchengeschichte , |
94/13 |
komt ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: kömmt |
94/18 |
Bedürfniße ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Bedürfnisse Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): Bedürfniße |
95/2 |
Ideal |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Ideal |
95/2 |
Idol |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Idol |
95/10 |
Begriffe. […] Leidenschaft] |
Geändert nach der Handschrift; in ZH Absatz nach „Begriffe.“ |
95/14 –15
|
ihr […] halte] |
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen. |
95/29 |
II. |
Geändert nach der Handschrift; ZH: II |
95/35 |
Novbr |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Novbr. |
96/24 |
unverzeihlige ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: unverzeihliche |
96/29 |
gebracht, ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: gebracht |
96/36 |
offene ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: offne |
97/2 |
Packhofverwalter […] dienstes] |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Packhofverwalter dienstes |
97/9 |
übelberüchteten ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: übel berüchteten |
97/13 |
angemeßene ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: angemessene Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): angemeßene |
97/23 |
mu ßte ß ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: muß Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): mu ßte ß |
97/33 |
laße ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: lasse Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): laße |