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Mein herzenslieber Sohn

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Du wirst diesen Brief aus den Händen Deines Wohlthäters erhalten; den ich

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gebeten auf die Deinigen ein wenig Acht zu geben bis auf die Nägel. Erfreue

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mich doch bald mit einigen Zeilen, die aber wie ich wünsche ein wenig gerader

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gerathen mögen.

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HE Lindner ist auch Sonntags nach Steinbeck gereist, wird aber heute

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widerkommen.

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Gestern Abend fiel mir etwas im Bett ein das mich sehr beunruhigt und

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worauf ich Deine Antwort erwarte. Wo ist
Linnaei Systema
geblieben, das ich auf

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meinem Pulte vermiße? Hat es HE. Prof. Kraus wieder bekommen; denn ich

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weiß, daß er einmal darum gemahnt. Ich erinnere mich aber auch daß Du es

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zum
Botanisi
ren einmal mitgenommen u nicht wider zu Hause gebracht.

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Solltest Du das Buch gantz aus der Acht gelaßen haben: so würde mich eine solche

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Nachläßigkeit sehr betrüben
. So bald ich den Prof. sehe, werde nicht

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vergeßen mich darnach zu erkundigen. Es mag nun seyn wie es wolle; so gieb mir

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Antwort auf diesen Punct.

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Pilkowski
besuchte mich vorige Woche und brachte mir Arnoldts Leben der

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Altväter, die ich gekauft, mehr für die alte Consist. Räthin als für mich.

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HE Calc. Brahl besuchte mich vorigen Sonnabend und ist auf 8 Tage nach

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Litthauen gereist. Pleßing hat sich um ihn sehr verdient gemacht, und er bekommt

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nunmehr sein halbes Gehalt mit der Bestallung eines
Commis.
HE Kr. R.

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Dohm und ein gewißer
Siebmann
– der eine sehr schöne Hand schreibt und

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von dem ich gern wißen möchte, was er dort für einen Posten bekleidt, welches

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Du vielleicht dort erfahren kannst – haben sich seiner mit vieler Wärme

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angenommen.

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Die Stiefel wirst Du
mit
gegenwärtig auch erhalten. Sorge doch bey Zeiten

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für dergl. Bedürfniße, u. laß
er
Deinen Vater auch Antheil daran nehmen,

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der diesen Articul allen übrigen Kleidungsstücken vorzieht, weil er Gesundheit

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betrift und auf den Kopf vorzügl. Einfluß hat: Hab es nicht länger der Mühe

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werth gefunden davon zu schreiben, u dies soll eins meiner ersten Bücher seyn

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die ich lesen werde. Gottlob Dengels Meßgut liegt am Baum.

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Nun mein Herzens lieber Sohn, wenn Du vergnügt bist und man mit Deiner

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Aufführung zufrieden ist, will ich Dich gern noch entbehren. Auf mein Abholen

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darfst Du Di
ch
r kaum Rechnung machen. Mir ist nirgends recht zu Muth –

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und ich habe seit Deiner Abreise außer meinem Hause herumgeschwärmt.

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Empfiehl mich so gut Du nur kannst, der grosmüthigen Familie in deren

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Schooß Du lebst und mache Dich Ihres Vertrauens und Ihrer Gewogenheit

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immer mehr und mehr werth, durch Gesinnungen und Aufmerksamkeit.

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Mutter u Schwestern grüßen u küßen Dich. Ist die Witterung gut; so sollen

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letztere morgen zur Baroneße gehen, die ich endlich einmal Sonntags besucht, u

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mit einem schönen Blumenstrauß noch nach den Huben schwärmte. Meine

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verdorbene Säfte sind vermuthlich schuld daran, daß mich alles niederschlägt und

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unterdrückt, was sonst zum Aufrichten dient.

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Gott geb daß Du einmal Deine
praxin
an Deinem alten Vater so einweyhen

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kannst wie unser liebe
Doctor
an seiner alten Mutter. Unter dieser Bedingung

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wünsch ich fast, älter zu werden.

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Leb wohl lieber Junge und umarme Deinen lieben Gespielen von mir.

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Raphael grüst Dich; ich hoffe daß wo nicht er, doch vielmehr ihr alle beyde mit

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meinem
Vicariat
zufrieden seyn werd. Wir haben das 2 Kap. Matthäi gestern zu

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Ende gebracht.

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Mit Hill möchte ich schwerl. etwas fortsetzen vor Deiner Widerkunft, den Fall

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ausgenommen, daß Köppens Epistel an die Römer die noch bis
dato
in unsern

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Buchläden fehlt, mir zu Theil werden sollte. Für seine Gesundheit bin noch

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besorgt und er hat wider französische Schriften zu übersetzen von ähnl. Innhalt

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mit den Engl. Auf die Woche wird er auch eine Wallfahrt ins Land thun mit

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dem guten Vorsatz sich durch Schmant u Glums und Kirschen zu curiren, auch

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das Seebad zu versuchen.

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Und hiemit Gott empfohlen von Deinem treuen Vater.

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den 29
Julii
83.


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Adresse mit Mundlackrest:

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An / meinen lieben Sohn Johann Michael / Hamann

Provenienz

Druck ZH nach der überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 57.

Bisherige Drucke

Heinrich Weber: Neue Hamanniana. München 1905, 68–69.

ZH V 58–60, Nr. 705.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
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er
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: