697
45/24
Königsberg den 24 April 83.

25
HöchstzuEhrender HErr Gevatter, Landsmann und Freund,

26
Eine dreyfache Schnur reist nicht. Ich nehme also mit beyden Händen an

27
Ihrer Hausfreude Theil, und wünsche daß meine liebe Pathin ein neues

28
Unterpfand Göttlichen Seegens für Sie und Ihr ganzes Haus seyn und werden

29
möge. Meiner holden Gevatterin Gesundheit und Stärke zu neuen Pflichten

30
und neuen Wohlthaten, wie mir selbst! Aus W. u W. erwarte ähnliche gute

31
Nachrichten. Ich
begreifs noch weniger
, wie so oft ich von Ihnen schon

32
erfreut worden bin und den Dank immer schuldig bleibe. Also Ihr Stillschweigen

33
hat mich beunruhigt, weil ich es für eine Lehre angesehen, oder vielmehr

34
Beyspiel, stille zu seyn. Demohngeachtet bin ich schon Wochenlang willens gewesen

S. 46
Sie zum
dritten
mal heimzusuchen. Gestern Mittags erhielt Ihren
liebreichen

2
Brief zuvorkommenden
, wie einen Balsam auf mein kahles Haupt. Ob den

3
14 oder 24
h.
meine Erscheinung im Geist hatte geschehen sollen, werde ich

4
zuverläßiger beym ersten Besuch, den ich abzulegen imstande seyn werde von Ihrer

5
Frau Schwester oder unserm
Dorow
ausmitteln. Ihre Einladung ist vom 12 als

6
dem Geburtstage meiner ältesten Tochter
dati
rt, den Sie im vorigen Jahr (statt

7
meiner) gefeyert, und an dem wir uns auch am Palmensonntag Ihrer erinnert.

8
Unter uns gesagt, denken Sie sich an Ihrem Gevatter nichts mehr als einen

9
armen alten Mann, mit deßen Gesundheit, Kopf, Zunge u Feder es je länger je

10
mehr stockt; sonst irren Sie sich wie unser wallfahrende Vetter, deßen

11
Eingeweide ich Ihnen zurücksende, nachdem ich selbige
coll amore
durchgewühlt.

12
Seine Beobachtungen sind gleichwol sehr unterhaltend und voller Scharfsinn u

13
ehrl. Laune. Ihm geht es aber im Grunde bisweilen nicht beßer wie seinem

14
Holl. daß er die
Form
der Staatsverfaßungen im Mark und nicht in der Rinde

15
sucht. Ich hoffe in allem Ernst, daß er seine Zufriedenheit ebensogut unter den

16
Antipoden u Qväkern finden wird, wie mein Gevatter K. unter den Mährischen

17
Brüdern, und
vbi bene, ibi Patria,
oder deutscher zu sagen; des
Menschen

18
Wille
ist
sein Himmelreich
, in sehr vielseitigen Verstande. Erfahren Sie

19
Nachrichten von seiner glückl. Anlandung dort, so laßen Sie mich ihrer auch

20
genießen – und o
daß Sie auf lange Zeit finden mögen
,
was jenseits

21
des Waßers gefahren
!!

22
Durch Friedrich, der mich eben besucht, habe Ihren Wink an Dengel bestellt.

23
Sind Sie mit dem alten Freund Kanter auch zufrieden? Ich erwarte alle

24
Stunden Hartknoch. Ohngeachtet das überschickte nicht der Mühe lohnt, und ich kaum

25
viel mehr erwarten kann: so werd ich alles was da ist, ihm mitgeben, u den

26
Eckel, mit dem ich mich in jene Lagen zurückführen muß, überwinden
kann
;

27
car c’est le ventre de ma mere!
Kennen Sie den Verf. des
Etwas
,
daß

28
Leßing gesagt
,
die
was bey Decker dort gedruckt worden?

29
Was macht in aller Welt Ihr Hogendorp? Ungeachtet meines flehentl.

30
Bittens, mich von der Abfahrt uns.
William Birken
Nachricht zu geben, hab ich

31
nicht eine Zeile von ihm seit der Zeit erhalten. Sein Bruder hat sich noch meiner

32
am Bord des Kriegsschiffes erinnert, und allen meinen Groll ausgelöscht, daß

33
meine besten Wünsche beynahe zwischen
beyde Ebentheurer
getheilt sind, u

34
ich an keinen ohne Wallung der Seelen denken kann, der Contrast meines

35
Urtheils mag Ihnen so lächerlich vorkommen, als er wolle.

36
Ist Ihnen zufällig ein gewißer
Jodois
oder
Geodois
bekannt gewesen? u weiß

37
man nicht wo der hingekommen? Ungeachtet Ihres Stillschweigens hab ich

S. 47
immer im Sinn vorausgesetzt, daß, wenn Sie etwas von uns.
Reforme

2
zuverläßig wüsten, Sie mir gemeldet. Der Himmel gebe, daß jedes Stillschweigen

3
sich in eine so angenehme Harmonie auflösen möge, als durch Ihren letzten

4
Brief geschehen.

5
Umarmen Sie meine treue Gevatterin – mit ebenso halb erstickten

6
Gesinnungen, womit Sie sich des alten Gevatters Hamann erinnert. Gott seegne

7
Louischen
, unser liebes
Wilhelminchen
, und laße auch Ihren Pflegsohn

8
gedeyen! Mein Lindner komt eben vom Lande zu Hause. Ich hatte ihn beynahe

9
nicht mehr gekannt; so sehr war er mir entfallen. Hänschen mit seinen 3

10
Schwestern u die Hausmutter bezeugen alle ihre herzl. Mitfreude. Empfehlen Sie mich

11
ihrem kleinen
Club
, zuförderst Jonathan u den
Dioscu
ren, B. u G. Ich

12
umarme Sie u ersterbe Ihr ewig verpflichteter Gevatter u Freund

13
Johann Georg Hamann.


14
Ist
Becker
in Dresden oder Deßau, dem der Vetter das
Diplom

15
zurückgesandt? Auch
Colonel Dirks
ist eine neue unbekannte Person für mich? Ich

16
thue auf allen Fall diese Fragen, wenn Sie liebster Gevatter! einmal Muße

17
haben darauf zu antworten. – und schreibe
ruhiger
, sobald ich kann. Heil mit

18
Ihnen!

Provenienz

Druck ZH nach der überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 1.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VI 340–342.

ZH V 45–47, Nr. 697.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
46/1
–2
liebreichen Brief […] zuvorkommenden]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
liebreichen zuvorkommenden Brief
46/28
die
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
die