691
S. 28
W. den 17. Febr.
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Nur um ein Zeichen des Lebens von mir zu geben, schreibe ich heut, Bester
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Einziger meiner Freunde. Ich habe mich von einem Fieber wieder erholt, das mich
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vorige Woche im Bett hielt u. mir noch nicht recht aus den Gliedern ist: indeß
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bin ich heut u. gestern ausgewesen. Sie werden vielleicht schon durch die
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Zeitungen von der Freude unsers Landes wißen, das den 2. Febr. endlich seinen
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Wunsch u. lange Hoffnung,
den
einen Erbprinzen erhalten. Mittwoch war die
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Taufe u. ich lege die Taufrede bei; zuerst in einem beschnittenen Exemplar, das
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beßere sollen Sie für sich u. meine Schwester mit der allmälich annahenden
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Meße erhalten. Bei der Geburt ists hart hergegangen u. das Kind, das
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ungewöhnlich groß u. stark ist, ist am Rande des Lebens gewesen; dafür befindet es
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sich jetzt desto beßer u. gesunder. Der Herzog ist ungewöhnlich froh, die
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Herzogin innig erquickt, weil sie Gott ihren langen Wunsch fast ohne Hoffnung
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(denn sie erwartete wieder ein oder gar 2. Mädchen) hat erleben laßen. Meine
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Frau besucht sie oft u. von der Seite lebt alles hier in Gedichten,
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Glückwünschungen u. Freude. Meine Anrede bei der Taufe beurtheilen Sie nach dem
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Auditorio gnädigster Taufzeugen u. einer Menge des Adels, aller Diener u.
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einiger tausend Personen des Volks, denen nichts anders, Eingängliches in ihr
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Ohr, gesagt werden konnte. Unser
Capellmstr.
Wolf, Reichards Schwager,
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arbeitet jetzt an einer Cantate zum Kirchgange, den Gott frölich u. gesund wolle
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seyn laßen. Und so viel hievon. Nun von uns selbst. Meine Frau befindet sich
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Gottlob wieder beßer: eine neue Schwangerschaft hat ihr gegeben, was alle
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Arznei nicht geben konnte, Gesundheit u. ziemliche Stärke. Sie lernt jetzt mit
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dem Gottfried u. ihm zur
Anmunterung
Griechisch, hat die Declinationen schon
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recht gut inne u. schlägt sich jetzt mit
τυπτω
herum. In Jahr u. Tag wird sie
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Ihnen einen Griechischen Brief schreiben. Die Buben u. Mädchen sind alle
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wieder wohl; vor einigen Wochen war es anders u. Ihr August lag sehr
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gefährlich danieder. Er ist uns wiedergegeben u. hat Sie sehr lieb, redet täglich von
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Ihnen u. erinnert mich immer, an Sie zu schreiben, er wolle es auch thun. Ihm
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haben Sie also auch zum Theil diesen Brief zuzuschreiben, u. einer Stimmung
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des Gemüths, die mich nirgend Ruhe finden läßt, als bei Ihnen. Gehe es Ihnen
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recht wohl, bester Alter! Mich dünkt, es ist ein Jahrhundert, seit ich Ihren
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letzten Brief empfing; u. doch bin ich selbst Schuld daran, daß ich ihn noch nicht
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beantwortet habe. Aber verzeihen Sie. Mein Kopf ist so verwirrt, mein Herz so
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matt, u. alles so leer um mich u. in mir, daß ich Ihnen ja nur ein hohles
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Scherbengefäß darbringen könnte u. eben jetzt darbringe. Hier blühet keine Freude u.
S. 29
Wonne für mich mehr. Das letzte Zutrauen habe ich zu meinem Fürsten
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verloren u. die um ihn, die in Geschäften vor- u. mit mir sind, sind Rohrstäbe u.
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Dornen u. vergiftender Taxus. Aus der Tiefen rufe ich also mit Sprachlosem
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Laut; u. der Alles kennt u. leitet, wird zu rechter Zeit auch mich hören. Dulde
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dich, liebes Herz, du hast schon Größers erduldet. –
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Der 2te Th. v. der Ebr. Poes. ist unter der Preße u. 4. Bogen abgedruckt: er
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geht über die Psalmen hinaus; ist aber dürre u. todt, geschrieben im Lande da
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man nichts
gedenk
t
et
. Desto mehr freue ich mich auf die Salomonische
u.
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Prophetische Aue des 3ten; zu dem mir Gott auch Gesundheit, Ruhe u. einen guten
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Muth geben wolle. –
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Den 10. März.
So weit war der Brief u. er blieb, ohngeachtet der
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Anmahnungen Augusts, ob ich den Br. denn noch nicht fortgeschickt hätte, da Seiner so
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lang fertig sei, liegen. Gottlob, heut ist mit dem gestrigen Tage unser
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Freudentumult zu Ende u. Alles geht zu seiner alten Ruhe. Die Cantate, die gestern
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gesungen wurde, kommt auch hiebei: sie ist sehr schön u. feierlich componirt, ward
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aber wegen der unzählichen Menge
Volks
das unaufhörlich zuströmte, etwas
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dumpf aufgeführt. Meine beiden Predigten am Geburtsfest u. Kirchgange
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sollen u. müßen gedruckt werden, weil die Bürgerschaft sich erst an mich durch
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Deputation über Deputation gemacht hat u. endlich den Herzog darum anging:
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also gehe ich heut oder morgen an die Arbeit u. wäre sodenn fertig. Ich habe
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außer Rechnungen u. einem
examine
mit seinen lästigen
speciminibus,
noch ein
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kleines Büchelchen für Hartknoch zum Druck zurecht zu machen, das dem
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größten Theil nach seit 2. Jahren daliegt, doch aber die letzte Hand fodert; also habe
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ich bis Ostern u. zu der Meße mein beschiednes Theil: Präparation der
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Confirmanden u. den übrigen Zug meiner Amtsgeschäfte mit eingerechnet. Bei der
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Predigt am
Geburtsfest
hat sich unmittelbar nach dem Amen folgender
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Dialogus
in der Kirche, in dem sogenannten
Rathsstande
zugetragen:
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Göthe
. Was denkst Du zu der Predigt?
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Wieland
. (wie er wenigstens sagt:) Nun, es war eine wackre Predigt.
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Göthe
. Er hat doch aber so eine harte Manier, die Sachen zu sagen.
W
Nach
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solcher Predigt bleibt einem Fürsten nichts übrig, als abzudanken.
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(Ergreift seinen Hut u. geht still aus der Kirche.)
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Zweiter Dialogus bei der Herzogin Mutter.
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Sie
. Was denken Sie von der heutigen
Predigt
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(Wiel. ohngefähr wie oben.)
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Sie
. Mich dünkt aber, daß sie doch vor diesen Tag unerwartet war:
am
beim
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Regierungsantritt oder solchen Tagen könnte sie wohl gehalten werden.
S. 30
W. Je nun! weil der Herzog sonst nicht in die Kirche kommt, so hat H.
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vermuthlich den Augenblick ergriffen, da er ihn hatte.
3
Sie
. Er sollt freilich mehr in die Kirche gehn
,
p
doch
–
–
4
Dritter Dialogus, Abends im grossen Saal bei Hofe.
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Herzog
. Sind
s
Sie
heut in der Kirche gewesen.
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W. Ja Euer
Durchl.
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Herz
. Wie hat Ihnen die Predigt gefallen?
8
W. (wie oben.)
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Herz
. Ich weiß doch aber nicht, was die Leute bei einem Kind für erstaunende
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Hoffnungen haben. Es ist doch nur ein Kind.
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W. Aus dem indeßen doch Alles werden kann u. da hofft jeder, daß das Beste
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aus ihm werde.
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Herzog
. Uebrigens war die Predigt ganz ohne
Piques
. (das ist ein
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Lieblingswort hier.)
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W. O ganz ohne Piques: sie war dünkt mich so rein wie sie von der Kanzel
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kommen muste.
17
H
. Es war eine brave Predigt.
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Dies ist was der Hofpoet in
eine
n
r
Ergießung seiner guten Laune und neuen
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Freundschaftswärme erzählte, dazu ihn vor wenigen Wochen ein Genius in der
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Nacht ermahnt hat. Ich muß Ihnen doch auch diesen Traum hersetzen.
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„Mich dünkte, ich stand bei einem Concert an Hofe im Saal an der Wand u.
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hörte. Herder so
angekleidet,
wie er bei Hofe erscheint, (d. i. in Mantel u.
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Kragen) tritt vor mich u. sieht mich mit sehr ruhigem, guten Blick an. Mir
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war das fatal: denn ich hatte mir fest vorgenommen, gar nicht mehr an Sie
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beide zu
denken
u. hatte diesen Vorsatz auch ein paar Wochen glücklich
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ausgeführt, wo Sie mir nicht in die Gedanken gekommen sind: desto merkwürdiger
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ist mir mein Traum. (Er hatte sich in einer Gesellschaft gegen meine Frau, die
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sonst seine größte Patronin u. Muse ist, grob aufgeführt; drum war auf eine
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Zeit alles Commercium mit ihm aufgehoben) Also Herder stand vor mir, sah
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mich sehr ernsthaft u. gut
se
an, ergrif endlich meine Hände u. sagte: „Aber,
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lieber W., wenn wollen Sie einmal zuverläßig werden.
“
Ich war im Traum
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sehr unartig, u. ohngefähr ließ ich mich sehr ungeduldig vermerken, daß das
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immer so wäre, daß ich immer bei ihm unrecht haben mußte. Drauf
lies
er
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sanft meine Hand gehen u. ging ohne ein Wort weiter weg. Ich erwachte pp.“
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Sie lernen auch hieraus den Poeten kennen, bei dem immer 2. Genien, ein
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schwarzer u. weißer geschäftig sind. –
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Da doch mein Brief schon eine Rhapsodie von poetischen Novitäten
S. 31
geworden ist, kann ich nicht umhin, auch meiner Frauen Griechischen Beitrag zu
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diesen Feierlichkeiten zu erzählen. Die Herzogin hatte sie u. die Oberstallmstrin
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von Stein (die beide haben die Ehre, als Freundinnen bei ihrer Niederkunft zu
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seyn u. besuchten sie also währenden Wochen oft) geneckt; ob sie Ihr denn nicht
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auch Verse machen wollten, da Alles Alles jetzt Verse machte. Und es ward also
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die Raillerie folgender Gestalt zu Stande gebracht. Beigehende Verse wurden
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mit goldnen Buchstaben auf einen weißen Milchflor gemahlt: die 2. Sterne der
8
Ilyth
i
yien
oben, ihre 2. hübsch große Fackeln unten u. so, da sie aus der Kirche
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kam, fand sie das Zaubertuch in ihrem Zimmer, deßen bringende Wesen sie
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denn gleich erkannte. Die Idee ist von meiner Frauen: sie mag also die Verse
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selbst abschreiben u. Sie müßen sie hübsch finden, weil sie von ihr u.
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wohlgemeint sind. – Gnug der für Sie unintereßanten Solennitäten, an denen Sie nur
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Theilnehmen, sofern wir dabei zu spielen hatten. Ein andermal etwas beßers.
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Die Post will fort u. ich muß nothwendig aus, um frische Luft zu holen. Leben
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Sie wohl, Bester, Patriarch Ihres Hauses, unser Freund u. Gevatter u.
auch
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eine Gestalt älterer Zeiten. Leben Sie glücklich mit alle den Ihren u. schreiben
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bald; ich schreibe bei erster Muße wieder. – An Nikolai habe ich bei sobestallten
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Sachen nicht denken können; vorm Sommer habe ich dazu auch keine Zeit. Er
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hat eine Recens. der Ebr. Poesie (deren Druck solange gelegen hat) bei Eichhorn
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bestellt: denn er bestellt u. stimmt die Urtheile über die allgem. Deutsche Lit. in
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allen Sprachen, Wißensch. u. Künsten. Er habe sich glücklich.
adieu, adieu.
Gott
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empfohlen! u. zum baldigen Wiedersehn. Von
mein
s
em
Hause grüßt u. liebt
23
s
Sie Alles, Alles.
24
H.
25
Von Caroline Herder:
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Eins muß ich noch berichtigen verEhrtester Herr Gevatter, daß die Verse
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nicht von mir sind, ich verstehe nicht in der Sprache der Götter zu reden, ich lalle
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kaum mit meinen Kindern u. Einfalt ist meine einzige Tugend, mit der ich Sie
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auch herzl. liebe treuer Freund meines Mannes! – Sie haben letzt ein Wort
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gegen ihn fallen lassen, als ob er mürrischen Humors seie, das that mir sehr
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weh u. Hartknoch ist die Quelle ders Ihnen sagte – Hartknoch macht meinem
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Mann durch seine Gegenwart u. ewigen Vorwürfe nie wohl, er
ist
wird
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verstimmt durch seine Knausereien u. das macht ihn freilich
unmuthig
– Von
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seinem letzten Hierseyn war er beßer, zieht andre Saiten auf, denn er sieht daß
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wir auch für die Kinder sorgen
müssen
.
Sehn
Sie meinen Mann nicht als
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einen grimgramischen Hausvater an, er verbittert sich das höchste Glück auf der
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Welt nicht selbst.
S. 32
Leben Sie tausendmal wohl, ich küße Ihre Kinder u. vorzügl. mein
2
Pathchen! Lieben Sie uns.
Provenienz
Krakau, Jagiellonenbibliothek, Slg. Autographa der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin (ehemalige Berliner Signatur: teils Acc. ms. 10787, heute gänzlich bei Acc. ms. 1886. 53, Nr. 27).
Bisherige Drucke
Bernhard Suphan, Aus ungedruckten Briefen Herders an Hamann. In: Vierteljahrschrift für Litteraturgeschichte I (1888), 141–143.
In Auszügen bei Heinrich Düntzer, Ungedruckte Briefe zwischen Hamann und Herder. In: Bremer Sonntagsblatt. Siebenter Jahrgang, No. 42: 16. October 1859, 332–333.
ZH V 28–32, Nr. 691.
Zusätze fremder Hand
31/26 –32/2
|
Caroline Herder |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
28/19 |
Capellmstr. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Capellm. |
28/24 |
Anmunterung ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Aufmunterung |
29/8 |
u. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: und |
29/8 |
gedenk t et ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: gedenket |
29/16 |
Volks ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Volks, |
29/26 |
Geburtsfest ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Geburtstag |
29/27 |
Rathsstande ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Rathsstande, |
29/30 |
W Nach ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Nach |
29/34 |
Predigt ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Predigt? |
29/36 |
am beim ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: beim |
30/3 |
, p ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: p. |
30/5 |
s Sie ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Sie |
30/6 |
Durchl. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Durchlaucht. |
30/18 |
eine n r ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: einer |
30/22 |
angekleidet, ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: angekleidet |
30/25 |
denken ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: denken, |
30/33 |
lies ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: ließ |
31/8 |
Ilyth i yien ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Ilythyien |
31/22 |
mein s em ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: meinem |
31/33 |
unmuthig ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: unmuthig. |
31/35 |
müssen ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: müßen |
31/35 |
Sehn ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Sehen |