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Kgsberg den 10 Febr. 83.

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HöchstzuEhrender Herr Hofrath und Freund,

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Es ist mir recht sehr lieb, daß Ihre
aurea praxis
Sie verhindert hat auf mein

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letztes zu antworten, um voll mein Herz gegen Sie ausschütten zu können, und

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durch eine gute
Vorrede
aller übeln Nachrede vorzubeugen. Daß Ihr lieber

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Sohn den 27
pr.
bey mir eingezogen und daß sich von diesem
dato
seine
Pension

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anfängt hab ich Ihnen bereits gemeldt. Er kam am
III.
Sontage nach

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Epiphanias den 2
huj.
vom Lande zurück und ich fieng denselben Abend meine

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Prüfung mit ihm an im lateinschen, die so auslief, daß ich mich schäme Sie

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damit zu unterhalten, und es auch nicht für nöthig finde, da seine

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Verwahrlosung Ihnen binnen den Jahren, wo er sich bey Ihnen aufgehalten, nicht

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unbekannt seyn kann. Mein Flußfieber gab mir die Muße die ganze Woche mich

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mit ihm zu beschäftigen und ich bin so glücklich gewesen, die Grammatik mit ihm

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zu Ende zu bringen. Vorgestern ließ ihn sein
Oncle
in Steinbeck bitten mit ihm

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zu fahren, und ich fand keine Bedenklichkeit ihm solches einzuräumen, da er die

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Woche durch nach Möglichkeit gearbeitet hatte. Er kam gestern früher, wie ich

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ihn vermuthete,
heimkam
. Wir fiengen noch denselben Abend die
Historias selectas

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an, und haben heute das erste Kapitel zu Ende gebracht, und er noch obenein fast

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die ganze Uebersetzung deßelben, schriftlich – Was ich in Ansehung seiner

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geschrieben habe, bin also im stande zu bekräftigen. Es fehlt ihm nicht an

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Fähigkeiten und er hat das sanfte folgsame gute Gemüth, das jedermann hier an ihm

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gekannt, und den besten Willen, und ich hoffe, daß sich der
neruus rerum

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gerendarum
auch finden wird. –

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Seine Stärke im Französischen bin ich noch nicht im stande zu beurtheilen.

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Wir lesen alle Tage etwas im
Wailly.
Er versteht u übersetzt
ziemlich
; aber die

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Anfangsgründe scheinen auch gänzlich zu fehlen, daß man vermuthen sollte, er

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hätte nichts als eine fr. Mamsell zur Lehrmeisterinn gehabt, welcher

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Vermuthung doch seine geschriebene Papiere im fr. widersprechen, wovon ich einige

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angesehen. Auf meine Frage wuste er weder
fut
noch
eut
zu unterscheiden ob

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selbige von
avoir
oder
etre
herkämen.
Sapienti sat.

S. 22
Unser allergnädigster Landesvater hat ⅓ vom
Etat
der
Regie
gestrichen und

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eingezogen. Er hat meinen allerunterthänigsten Bettelbrief keiner Antwort

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gewürdigt – doch es war kein Bettel- sondern, unter uns geredt, ein wahrer

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Hirtenbrief, und ich bin sehr froh, daß er sich begnügt mit einem allergnädigsten

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Stillschweigen darauf zu antworten, und freue mich, daß er meinen alten

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Freund, Verleger und Gevatter eine Vergütung von 8000 rth zugestanden. Da

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er mir zu hoch ist seinen Geitz ahnden zu können, so bin ich wenigstens fest

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entschloßen diese eben so
lächerliche
als
abscheuliche
Leidenschaft, welche eine

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Wurzel alles Uebels
ist, wo ich nur kann zu verfolgen, am meisten aber an

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meinen guten Freunden.

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Wenn Sie also höchstzuEhrender Herr Hofrath Bedenklichkeit finden, sich

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zwischen 400 und 500 fl. pr. zu entschlüßen: so seh ich mich genöthigt Ihnen

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anzumelden, daß ich unter 600 fl. vom 27
Januar.
an zu rechnen, nicht den

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Unterricht, will nicht sagen den Unterhalt Ihres unschuldigen Sohns nicht zu

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übernehmen gesonnen bin, denn wie St Paulus sagt
I Tim V.
8.
So jemand die

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Seinen, sonderlich seine Hausgenoßen nicht versorget, der hat den

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Glauben
verleugnet und
ist ärger denn ein
Heide
; und es wird mir eben

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so leicht werden die Freundschaft der ganzen Welt zu verleugnen, als es einem

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Mann, der sich zu keiner Pflicht als zu dem Geld versteht,
Schaam
,
Glauben
,

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und
Gewißen
, und Ehre und
guten Namen
. Werden Sie so reich u glücklich

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wie der Salomon von Norden. Dies sind die
letzten
Gesinnungen Ihres alten

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ergebenen Freundes u Dieners
Johann Georg Hamann.


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Adresse mit rotem Lacksiegel (Sokrateskopf):

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Des / HErrn Hofraths Lindners / Wolgeboren / zu / Mitau


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Vermerk von Hamann:

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den 12 Marz durch
D. Lindner
/ zurück erhalten

Provenienz

Druck ZH nach der überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 3.

Bisherige Drucke

Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, II 423 f.

ZH V 21 f., Nr. 689.

Zusätze fremder Hand

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Johann Georg Hamann

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
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heimkam
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
heim