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Königsberg den 31 Jänner 83.
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HöchstzuEhrender Herr Hofrath 
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Geliebtester Freund, 
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Ihr Herr Bruder überraschte mich am 
III
 Sonnt. nach 
Epiph.
 des Morgens, 
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u Nachmittags lernte ich Ihren lieben Sohn kennen, der auch gleich den Tag 
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drauf als am 27. 
huj.
 bey mir eingezogen und die erste Nacht geschlafen, weil 
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ein längerer Aufenthalt in einem öffentl. Wirthshause kostbarer gewesen wäre. 
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Den andern Tag nahm ihn sein HE 
Oncle,
 der eben in Kgsb. war aufs Land, 
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woher ich ihn alle Augenblicke wider erwarte. Alle das Gute, was mir 
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jedermann von seinem guten Character, gesetzten u sittsamen Wesen gesagt, scheint 
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mir einzutreffen und ich wünsche Ihnen zu einem so hofnungsvollen Sohne 
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Glück und nehme an Ihrer Freude den nächsten Antheil, weil es immer das 
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menschl. Leben erleichtert, wenn Zuneigung u Hang des Herzens und der Seelen 
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zum Grunde liegt. Also von dieser Seite hab ich nicht die geringste Einwendung 
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noch Bedenklichkeit, und eben dies ist der Fall bey meinem Sohn. 
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Seine Stärke oder Schwäche in Sprachen habe noch nicht untersuchen 
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können noch mögen. Nach einigen Wahrzeichen seiner Aufrichtigkeit und 
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Bescheidenheit, ist mir seine Versicherung hinlänglich, daß es noch nicht bis zum Eckel 
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gegen die gelehrten Sprachen gekommen, und daß es ihm daher garnicht 
an
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Lust
 fehlt darinn weiter zu kommen; welches auch zur großen Beruhigung für 
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mich dient. Die wenigen Schulbücher die er hat, haben eine so altfränksche eckle 
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Einkleidung
, daß das 
vehiculum
 allein eine widrige Wirkung auf den 
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Geschmack eines jungen Menschen thut. Ein altes elendes 
Lexicon
 ohne Anfang 
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u Ende, fast lauter Trödelausgaben von claßischen Schriftstellern. Kurz die 
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Garderobe
 der Musen und des guten gesunden Geschmacks ist außer allem 
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Verhältnis gegen das übrige. 
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So ein geschickter und fast parteyischer Unterhändler Ihr Herr Bruder ist, hat 
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er mir doch nicht mein Mistrauen gegen die nachtheilige Gerüchte, die mir ganz 
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zufällig aufgedrungen worden u von allen Seiten aufgestoßen, gänzlich 
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benehmen können. Armuth u Reichtum – Geitz und Verschwendung gieb mir 
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nicht, ist wol immer das beste oekonomische Gebet gegen den schwarzen und 
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weißen Teufel. Da ich beyde Anfechtungen aus der Erfahrung kenne; so wollte 
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nicht gern in den Verdacht bey Ihnen kommen, daß der Geitz bey mir stärker 
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wäre als 
Pflicht
 und 
Freundschaft
 und 
Erkenntlichkeit
. Ich muß mich 
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also in Ansehung der 
Pension
 erklären, nachdem ich mit klügeren Leuten darüber 
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zu Rath gegangen bin, denen zufolge ich 400 fl. als das 
geringste
 und 500 fl. 
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als das 
höchste
 aussetzen muß, doch so daß ich alle 4
tel
 oder halbe Jahre, nach 
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Ihrem eigenen Befinden, 
ratam
 zum voraus 
erhalte
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Ich habe Ihnen, liebster Freund, bereits meine Verlegenheit gemeldt in 
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Ansehung der 
Foye-
Gelder, die ich zu Holtz und Kleidungsstücke immer bestimmt 
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gehabt. Ich habe den 1 
huj.
 ins Cabinet geschrieben, ohne eine Antwort erhalten 
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zu haben. Mein kleines Haus am alten Graben habe ich für tausend rth 
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verkauft u eben so viel daran verloren. Jetzt bin ich wieder im begrif 
von
 einem 
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paar durch den 
Concurs
 mir zugefallenen Häusern aus des seel. Bruders 
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Erbschaft die mir auf dem Halse liegen 
nolens volens
 ein Häuschen für 1300 fl. 
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loszuschlagen, woran ich wider über die Hälfte einbüße. Der Miethsmann von dem 
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letzten Hause hat sich auch vorige Woche berichten laßen u wird kaum dem 
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Tode entgehen, weil er eine zehrende Krankheit 
an
, wo ich neue Ausfälle zum 
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voraus sehen muß. Ich war also auf 2 
ressources
 gefast mich so kümmerl. als 
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mögl. einzuschränken, und 
Caffe,
 Bier u Toback sind die einzigen Articul, 
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welche mir einzuschränken übrig bleiben oder durch eine leidige Autorschaft mir 
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zu helfen, woran ich auch wenig Gnüge finde. Im erstern Fall wünschte ich 
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keinen Zeugen meines häuslichen Kummers zu haben. Also muß ich entweder in 
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verlornen Stunden mir etwas durch Uebersetzen oder erst wie zu erwerben suchen, 
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oder bey der 
Pension
 Ihres Sohns darauf Rücksicht nehmen, damit ich Muße u 
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Lust gewinne mich auf meinen Pfleg- u natürl. Sohn ganz allein einzuschränken. 
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Freilich bin ich nicht im Winter vermögend ihm eine eigene Stube zu geben, 
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aber dies ist eine Unbeqvemlichkeit für uns beyde, u es würde mir angenehmer 
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seyn; aber auch ein Vortheil für beyde uns immer so nahe u zur Hand als mögl. 
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zu seyn, besonders bey der Aussicht eines guten Vernehmens, womit ich mir 
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unter uns schmeichle. Die franz. Einrichtungen haben mir 2 vortrefl. Stuben 
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entzogen, mein Nachbar ist in den Besitz der seinigen gekommen gegen alles 
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Recht u Billigkeit. Ich habe diesen Umstand auch an den König geschrieben, u 
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kann mich durch diesen gewagten Schritt wenigstens gegen meinen Nachfolger 
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legitimi
ren u. in meinem eigenen Gewißen, und das ist auch alles, was ich 
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dabey gewonnen. 
S. 17
Beliebt es Ihnen ja, Geliebtester Freund, einen Ueberschlag zu machen, so 
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bedenken Sie ja, daß alles von Jahr zu Jahr hier theurer geworden u tägl. 
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wird; und ich erinnere mich, daß Sie den Unterscheid auch schon bey Ihrem 
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damaligen Aufenthalt, wie Sie ein Jahr hie zubringen musten fühlten. Unser 
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jüngster Prof. Mangelsdorf hat hier gleichfalls um 
Pensionair
 geworben, auch 
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100 # blos für 
Pension
 u. Aufsicht angesetzt. Jeder lachte ihn mit einer so 
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außerordentl. Forderung aus; unterdeßen haben sich doch schon 2 junge Leute, wie es 
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heist, gefunden, ungeachtet ich keinem Vater eben die Anvertrauung seiner 
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Kinder einem Klotzianer empfehlen möchte, bey allen den kleinen Vortheilen 
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die ich diesem Mann zutraue zur Schau junge Leute aufzustutzen. 
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Stunden dürften vor der Hand nicht nöthig seyn; aber beym 
Anfange
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werde ich nichts versäumen, ihn theils in Gang zu bringen theils meinen Sohn 
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zu erleichtern, der mit der Kinderlehre u seinem pollnischen gnug zu thun hat, 
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auf den Sommer eingeseegnet u vermuthl. auch das academische Bürger Recht 
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erhalten dürfte. 
Zeichnen u Mathematik
 wären denn die ersten Stunden für 
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beyde. Es ist mir lieb, daß er keine musikalische nöthig hat; denn diese Kunst ist 
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gegenwärtig Mode u sehr kostbar. Richter nimmt, wohin er selbst geht, 6 rth u 
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zu Hause 4. u dem ohngeachtet fehlt es ihm nicht an Stunden. Lateinisch 
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(griechisch, wenn er dazu Gnüge hat) franz. engl. nehme auf mich, welsch (mit 
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Hülfe meines 
Hills
), so wie spanisch u etwas portugiesisch, wenigstens 
Don
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Quixotte
 u 
Camoens.
 Polnisch treibt mein Sohn u zum Ruß. hab ich auch 
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Hülfsmittel. Meine lateinischen Autoren habe damals mit dem seel. Bruder 
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getheilt u sind alle verbrannt. Es fehlt mir an 
Cicero, Liuius, Tacitus, Plinius
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den jüngerm. Können Sie bey Gelegenheit dort etwas zu uns. gemeinschaftl. 
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Lectur auftreiben, so denken Sie daran. 
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Wild
 und 
Wein
 komt auf meinen Tisch nicht, findt sich auch nicht in meinem 
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Keller. Mittags sauf ich Waßer u Abends Bier. Mein Gevatter 
Asmus
 schickt 
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mir bis weilen Wein, u die Gräfin von Hogendorp aus dem Haag, und 
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Haselhüner kommen bisweilen von Hartknoch in mein Haus geflogen. Dafür hab ich 
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Freunde, wo ich beydes reichl. genießen kann. Der 
Caffe
 ist das einzige 
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Praerogativ
 als Hausvater, alles übrige theile ich gern mit meinen Hausgenoßen. 
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Abends eße gar nichts oder ein Butterbrodt, oder Kartoffeln oder dergl. Dem 
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ohngeachtet komt mir meine Haushaltung ordentl. 60 fl. und diesen Monath 
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80 weil ich Korn eingekauft. 
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Ich bin gestern mit einem Flußfieber zu Hause gekommen u habe die 
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Ausdünstung abwarten müßen. Verzeihen Sie also wenn ich mit schwachen Kopfe 
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geschrieben. Empfehlen Sie mich Ihrer lieben Frau Gemalin. Ihr Herr Sohn 
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wird diesen Abend vermuthlich eintreffen; er wollte gern die Reise abmachen 
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um darnach nicht im Anfange seiner Arbeiten gestört zu seyn. Erwarte Ihre 
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GegenErklärung mit eben so viel Aufrichtigkeit als ich die meinige gethan. Ich 
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umarme Sie und ersterbe Ihr alter ergebenster Freund u Diener  
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Joh. Ge Hamann.
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den 1 
Febr.
Provenienz
 Druck ZH nach der überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 3. 
Bisherige Drucke
 Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VI 314–319.
 ZH V 15–18, Nr. 687. 
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
                geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
                vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
                vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
                Quellen verifiziert werden konnten.
            | 16/9 | erhalte] |   Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:  erhalte. | 
| 16/19 | an] |   Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:  hat | 
