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Kgsberg den 14 Christm 82.
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HöchstzuEhrender Herr Hofrath,
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Herzlich geliebtester Freund,
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Gestern erhielt in aller Frühe eine Antwort vom HE Bruder, mit der ich
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gleich nach dem Roßgarten lief, um Ihre ehrwürdige Mutter zu erfreuen,
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die ich wider Vermuthen auf dem Sorgstuhl antraf, unterdeßen Ihre alte
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Köchin bettlägericht war. Weil ich nicht weiß, wo sich HE Bruder aufhält,
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und mir auf das dringendste eingebunden worden, ihm auf das baldigste
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ihr sehnlichstes Verlangen
zu melden, ihn
noch zu sehen und zu sprechen in
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Ansehung mancher Dinge, wovon Sie ihr Herz erleichtert wünscht: so halte ich
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es für das sicherste gerade an Sie zu schreiben, weil Sie am nächsten alsdenn
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imstande seyn werden diese Angelegenheit ihm mündlich oder schriftlich
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mitzutheilen. Ohngeachtet unsers beiderseitigen Stillschweigens bin ich gewiß
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daß selbiges weder Einfluß noch Folgen auf unsere alte und bewährte
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und verjährte Freundschaft und Vertraulichkeit gehabt hat noch haben wird.
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In dieser Voraussetzung habe ich bereits diesen Morgen einen Israeliten,
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Namens Moses Oettinger, der sich in
Hasenpoth
niederlaßen wird und hier
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einige Jahre in einem der vornehmsten und besten HandlungsHäuser,
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nemlich bey HE
Wulff Friedlaender,
Hofmeister oder
Bocher
gewesen, ein Paar
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offene Zeilen zu seiner Empfehlung mitgegeben. Er ist ein rechtschaffener
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dienstfertiger Mann, durch den ich immer freyen Genuß von der ziemlich
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ansehnlichen Bibliothek der ganzen Familie gehabt habe. Wenn Sie ihm
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also mit Kenntnißen des dortigen Adels, mit gutem Rath und mit der That
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worinn behülflich zu seyn imstande sind, so verbinden Sie nicht nur dadurch
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mich, weil ich an seinem Glück einen aufrichtigen Antheil nehme, sondern
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auch ihn als einen ehrlichen Mann, der sich Ihrer Güte nicht unwürdig
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machen wird, und in seinem Betragen gewißenhaft ist.
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Avthentike Nachrichten von Ihrem eigenen Wohlbefinden und Ihrem
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ganzen geehrten Hause erwarte mit der grösten Sehnsucht durch den Herrn
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Bruder, der Ihnen dergleichen von meiner Seiten auch mitbringen wird.
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Befördern Sie seine Abreise um die Ungedult einer mehr sterbenden als
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lebenden Mutter und Ihren letzten Durst durch einen Labetrunk zu stillen;
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denn ihre letzte Stunde hangt von einem Faden ab, der feiner als Seide
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und Haar ist.
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Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemalin und ich weiß nicht recht – wie?
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zahlreichen Familie. Meine vier Kinder nebst ihrer Mutter sind Gottlob!
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gesund, und ich –
passable.
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Beschließen Sie das alte Jahr mit vielem Seegen – und noch mehr zum
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Neuen. Ich umarme Sie und ersterbe Ihr alter treu ergebenster Freund
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Johann Georg Hamann.
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Packhofverwalter seit 77.
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Adresse mit Mundlackrest:
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Des / HErrn Hofraths Lindner / Wolgeboren / zu /
Mitau
.
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 3.
Bisherige Drucke
ZH IV 466 f., Nr. 679.