674
453/2
Theuerster Freund
3
Diesen Augenblick – eine Viertelstunde vor Abgang der heutigen reitenden
4
Post – erhalt ich Ihren Brief und kann keinen Augenblick versäumen Ihnen
5
zu sagen, daß Sie nach meiner Meinung sehr wohl thun, wenn Sie die
6
Beilage die hier zurück komt gehörigen Orts einschieben, nur statt des den
7
franz. Herrn sehr anstößigen Schlusses, lieber noch hinzufügen wie Sie aus
8
vestem Vertrauen auf die Hülfe der Gen-Adm. den Weg nach dem Cabinet
9
der
Sie
jedem treuen Landesunterthanen u Diener zu seinem Gewinn
10
offen strömt, noch unbenutzt gelaßen: und erhalten Sie darauf nicht
11
beruhigende Antwort so schicken Sie daßelbe, was hier in der Beilage steht
12
gerade an den König nur so viel als möglich abgekürzt: Vorausgesetzt daß
13
die fürchterliche Baschasorder wirklich aus dem Cabinet gekommen.
14
Daß Sie sich das nicht so geradezu gefallen laßen wollen, hab’ ich kein
15
einziges Wort zu sagen. Auch ich bin der Meinung daß wenn einem die
16
Hälfte des Einkommens genommen wird u man von der andern Hälfte nicht
17
gut leben kan, man auch an den Verlust dieser zweiten Hälfte nicht viel
18
verliert. Und Sie lieber edler Mann können ja durch jede Veränderung nur
19
gewinnen, nie verlieren: es sey denn daß Sie Ihr Vaterland für keinen
20
Gewinn verlieren wollten.
21
Ich bin in Potsd. gewesen, deshalb hab’ ich für die Sache Ihres lieben
22
Freundes noch keine ernstliche Erkundigung einziehen können: soll aber
23
nächstens geschehen.
24
Denina ist ein lieber sanfter ruhiger doch sehr heiterer bisweilen gar lustiger
25
Mann. Er hat in seiner Physiognomie u Wesen ganz die gute fast edle
26
Symplicität die sein Styl hat: gar nichts italiänisches, so deutsches.
27
Raynal
lebt seit 8 Wochen bey Prinz Ferdinand eine Weile von der Stadt.
28
Künftigen Monath komt er herein, denn werd’ ich oft mit ihm u Denina
29
seyn, u zuletzt Ihnen erst ausführlich über ihn schreiben.
30
In meinem Hause stehts Gott sey gedankt alles wohl. Von Dorow hab’
31
ich noch nichts erhalten, aber ihm gestern mit der fahrenden Post 2 Zeilen
32
geschrieben, dabey auch Ihnen zu melden daß Vetter bereits in ofner See ist
33
und seinem künftigen Wohnort in der neuen Welt entgegensegelt. Nun sind
34
Sie allem Zwange entbunden. Die Post will fort: nur noch unserer beider
35
auch Jonathans herzlichste liebevolle Umarmung.
36
Ganz Ihr
Reichardt
S. 454
Bl. den 16 Nov 82
2
Wär der etwas poßierlich böse Schluß nicht in der Beilage gewesen, hätt’
3
ich die Schrift gleich selbst in Ihrem Nahmen abgegeben. Mit einer andern
4
Hand, da man Ihre kennt, mocht’ ichs aber nicht thun. An Deutsch meinen
5
herzinnigsten Gruß.
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2553 [Gildemeisters Hamanniana], I 40.
Bisherige Drucke
ZH IV 453 f., Nr. 674.