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446/11
Kgsberg den 11
Novbr.
am St. Martinstage 82.

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Herzlich geliebtester Herr
Doctor
und alter Freund,

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Gestern kam ich wie ein Engel zu ihrer lieben alten mehr todten als

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lebenden Frau Mutter, die den Abend vorher einen so lang erschmachteten

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Brief erhalten hatte und nicht im stande war ihn zu lesen, sich nach mir

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gesehnt und gewünscht hatte, – als ich durch
eigene Schickung
und in einer

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dringenden Gelegenheit des HE. Canzler von Korf Excell. etwas durch die

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Hinterthür
insinuirt
hatte. Wenn Sie wüsten, wie oft wir von Ihnen als

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einem verlornen Sohn gesprochen hatten, der bald in Wien katholisch

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geworden, bald zu den
Patribus libertatis
in der neuen Welt übergegangen

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bald
ppp.
Gottlob! daß Sie leben, wie Salomo sagt: Ein lebendiger Hund

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ist beßer als ein todter Löwe. Wenn Sie Ihre alte würdige Mutter von 81

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Jahren noch sehen und Ihr ein sanftes Ende – so wird sie vor Freuden

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sterben und Sie werden Ihren mütterl. Seegen als eine Beute davon bringen.

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So viel schreibe in Ihrem Namen und aus Ihrem Munde.

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Mein junger
Doc
torandus Johann Michel nimmt sich die Freyheit

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Erkundigungen einzuziehen, ob Sie die Seidelbastrinde – die Sibirische Schneerose –

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und das Barclaische Theerwaßer versucht und überläßt Ihnen die Wahl dieser

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drey Mittel.
Kolpins
Betrachtungen über das mittelste werden Ihnen

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bekannt seyn.

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Nachdem ich mich zehn Jahre mit einer Flechte
à posteriori
geqvält, welches

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für meine hypochondrische Einbildungskraft ein wahres Philisterübel war,

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und ich alle äußere u innere Aertzte die meine Freunde sind darüber zu Rath

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gezogen und mich einer
ocularinspection
meines ganzen Hintercastels mehr

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wie einmal meiner junggeselligen Schamhaftigkeit zum Trotz unterworfen

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hab, wurde ich durch einen göttl. Anfall meines alten Landsmanns,

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Gevatters und Freundes in Weimar durch einen kaum 14tägigen Gebrauch des auf

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meinem eignen Grund u Boden häufig wachsenden Unkraut, Qvecken, so

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vollkommen curirt, daß ich seit der Zeit keinen Anstoß mehr
à posteriori

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gehabt.

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Kommen Sie, kommen Sie – Eine gantz neuerlich angelegte Ehrenpforte

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von Tannen wartet auf Sie. Zu Eßen und zu trinken sollen Sie nicht kriegen,

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aber mehr als eine
Syris
und
Recipe
und
Consilium Medicum
wartet auf

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Sie. Hier ist die hohe Schule, das wahre
Salernum.
Was sind die Waßer

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Amana und Pharphar gegen unsern Jordan. Was sind alle kursche und

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pollnische Hofräthe
sanitatis
– mit ihren versilberten Pillen und Gold

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Tinct
uren – gegen den alten verborgenen Magum, ehmals am Bache Kidron

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und am Jordan unserer siebenmal gehügelten Mutterstadt. Kommen Sie

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bald – grüßen Sie Ihren HE Bruder mit seinen 7 Kindern und die Mutter

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Leda. Ich umarme Sie zum voraus mit meinem Hausgesinde – sind mit

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einer alten pollnischen Magd auch sieben. Leben Sie recht wohl. Was haben

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Sie mit dem Briefe und der Einlage an Freund Kraus, unsern jetzigen Prof.

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der Politik gemacht? Bitte selbigen auch zu überbringen. Ich ersterbe Ihr

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alter in 53 gehender

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Johann Georg Hamanski.


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Von 2 alten Schulcameraden Lauson und Miltz einen freundl. Gruß zuvor

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vor dem Wiedersehen!


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Adresse mit rotem Lacksiegelrest:

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à Monsieur / Monsieur Lindner / Docteur en Medecine / à /
Mitow
. /
cito
.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 4.

Bisherige Drucke

ZH IV 446 f., Nr. 671.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
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Kolpins
]
Geändert nach Druckbogen 1943; ZH:
Kölpins