655
402/14
Den 11.
Jul.
von Hamann:
82

15
Darunter Vermerk von Hamann:

16
27 – erhalten.

17
Geantw den 11
Aug. Dom. XI. p Trin.


18
Liebster Freund u. Gevatter, Ihr langerwarteter Brief kam mir am

19
Johannisfest eben, da ich in der großen Hitze müde u. matt von der Kanzel kam

20
u. war mir, wie ein angenehmer Mittagsregen. Ich konnte nicht begreifen,

21
warum Sie schwiegen u. jetzt sehe ichs. Hartung hat das Päckchen zu bestellen

22
übernommen, in dem die Ebr. Poesie u. Br. 1. 2. über den Baphometus war.

23
Ich hatte es Bertuch, der nach Leipz. ging, mitgegeben u. der hats durch den

24
Markthelfer ihm einhändigen laßen. Fordern Sies also von ihm: ich glaube,

25
es ist böser Wille, daß ers zurückgehalten hat u. es soll das letzte mal seyn,

26
daß etwas durch ihn bestellt wird. Empfangen Sies auch offen, so schadets

27
nicht: denn ein
Br.
war nicht dabei. Künftig soll so etwas nicht mehr

28
vorkommen.

29
Hier sind die 3. letzten Br. über den Baphometus; schwächer als die ersten,

30
woran d
ie
as hiesige
n
Geschnatter schuld ist; so daß ich den
5. ten
Br. schon

31
gar nicht schreiben wollte. Es ist unsägl. was der große lange
Baphomet.

32
überall für Anbeter hat, die seine Ignoranzen noch nicht glauben wollen, wenn

33
sie sie auch mit Augen sehen. Aus frommem Eifer schickte ich die ersten Br.

34
an den Herzog von Gotha, der für eine große Säule des Ordens geachtet

35
wird u. war mir nichts gewißer, als seine klare Beistimmung vermuthen.

36
Dafür bekam ich einen 4. Quartseiten langen Br., dem ich noch keinen Namen

37
weiß. Den 3. u. 4. Br. schickte ich ihm mit ein paar Zeilen, weil er die

S. 403
Fortsetzung gewünscht hatte u. damit
basta.
Sie können nicht glauben, wie

2
jämmerlich die Heerde sich in der Wüste umhertreibt u. wie gelegen ihr alles

3
kommt, was auch mit Ochsenstimme nur rufft: hieher! dorthin! Zur Gnostik

4
haben sie alle herzl. Appetit: die Rosenkreuzer kommen ihnen auch recht: ein

5
Tempelh. Geheimniß wäre ihnen rechtes Futter, u. die Goldmacherkunst hat

6
unser Jahrhundert am notwendigsten. Also findet HE.
Nik.
überall schon die

7
Fäulniß bereit, wo er seine Eier wohlweise hereinlegt; u. da der große Haufe

8
weit ignoranter als er ist, so hat er gut predigen. Ich muß dies schreiben, um

9
Ihnen einen Wink zu geben, warum ich im 3. u. 4. Br. so schreckl. citirt u.

10
im 5. Br. den
Excurs.
auf die Goldmacherk. gethan habe. Jetzt erwarte ich

11
ruhig sein Benehmen u. habe das dickste Ende mit Fleiß zurückbehalten: denn

12
seine Hauptideen sind alle aus Leßing, dazu ganz mißverstanden u. plump

13
angewandt, gestolen. Auf der Meße hat er sich sehr demüthig
bezeigt:
er

14
nehme gern Wahrheit u. Ueberzeugung an, habe aber diese
Br.
noch nicht

15
geprüft: sein Zweck sei gewesen, Wahrheit zu suchen u. er habe geglaubt, sie

16
zu finden: ihn wundre es, warum ich so warm schriebe? u. f. In diesem

17
gusto
wird denn nun auch wohl seine Antwort werden. Sei sie indeß wie

18
sie wolle; meine Partei ist genommen: ihm zu antworten u. die Sache stehn

19
zu laßen, wo sie steht; da bei einem so verdorbnen Körper weiter nichts heraus

20
kommt. Noch muß ich hinzusetzen, daß das, was ich Br. 4. als Vermuthung

21
vortrage,
factum
ist: das ich aber, als solches, dem werthen Publik. nicht

22
darlegen konnte. Spittler in den Gött. Zeit. hat sich sonderbar mit
mit
mir

23
begegnet, wenn er nicht, wie ich vermuthe, meine Br. schon gehabt hat: denn

24
diese waren 1. Monat früher gedruckt, als seine Zeitung, die erst zu Ende

25
Mays hier angelangt ist u. ich leider oder Gottlob nach der Mitte des
Jun.

26
erst zu sehen bekommen habe. Schloßer ist ein grober
Asinus
u. ich bin weit

27
entfernt, ihm zu antworten; ich glaube, ich habe Ihnen gesagt, daß ich an

28
seine Brochure nur ging, weil sie hier als ein Heiligthum von Göthe in Curs

29
gebracht war, der auch die Unverschämtheit gehabt hat, mir sein 3. Gespr.

30
anzumelden. – – Ach, was sind alle die Lappereien u. Altflickereien, wenn uns

31
das Beßere fehlt: mit meiner Fr. Gesundheit wills immer noch nicht

32
aufwärts
u. der ganze politische Zustand rings um mich wird mir von Tag zu

33
Tage so widriger, so preßhafter, daß ich Psalmen aus einem andern Ton

34
bete, als der solche Makulaturwaare betrift. Helfen Sie mit mir beten, daß

35
Gott – mir helfe, Amen!

36
Hier sind ein paar Ankündigungen von Bertuchs
poetas:
vielleicht finden

37
sich in Kgsb. Liebhaber. Kreuzfeld wird Ihnen helfen, den Zettel unter die

S. 404
Leute zu bringen
: empfehlen Sie mich ihm bestens. – Roußeaus
Confessionen

2
werden Sie gelesen haben; wie bist du vom Himmel gefallen, du

3
Morgenstern! u. was wird Kant zum Leben seines ehemaligen Helden sagen! Bei

4
allem Reiz der Schreibart ist der Inhalt mir so schmerzhaft u. fatal gewesen,

5
daß
es
mich der Gedanke ängstigt, wenn Eins meiner Kinder den Weg

6
gehen sollte. Einen Schlüßel zu seinen Schr. haben wir nun freilich; ich wollt

7
aber, man hätte ihn nicht. So sehr er mit Wahrheit pralt, ists doch überall

8
nur Halbwahrheit: denn auch ein Blinder muß den Schleier sehen, der über

9
seiner Gesch. mit der Warens liegt. Unter seinen
Oeuvr. posthum.
ist ein

10
Aufsatz
sur l’Origine des
langu.
den ich zu lesen bitte; es sind freilich bekannte

11
Sachen, aber doch stark u. hübsch gesagt. Mendels. hat mir seine beiden neuen

12
Productionen geschickt, aber ohne Brief. Von seinem Leßing weiß ich nichts;

13
aber mit seinem Gemälde vom Graf. zu Bückeb. am Ende des Supplem. zum

14
Abbtischen Briefw. hätte er zu Hause bleiben können. Die letzten Reste von

15
Leßing im 5. Beitr. aus der Wolf. Bibl. müßen Sie doch lesen. Die

16
Priameln gefallen mir am besten; übrigens ist aber sein Geist von hinnen

17
geschieden – – Sonst kann ich Ihnen von neuen Meßsachen nichts schreiben: was

18
ich gesehen habe, ist Staub u. Asche nach dem mich wenig lüstet. In Mendels.

19
Supplem. zu Abbts Br. steht über Hume’s Dialogen ein hartes Urtheil.

20
Gestern ist
de
n
r
hiesige Kammerpräsident von hier abgegangen, mit 1000.

21
Thl. Gehalt verabschiedet. Er ist ein junger Mann unter meinem Alter, der

22
Göthe hiehergebracht, bei dem dieser zuerst gewohnt hat, der sich nach der

23
allgemeinen Stimme auf seine Geschäfte sehr wohl verstand u.
den
Göthe

24
an seine Stelle brachte. Er ist mit großen Complimenten verabschiedet
worden

25
„weil der Herz. kein Zutrauen auf ihn hat u. er gemerkt habe, daß Kalb

26
(so heißt er) auch keins zu ihm
habe“
u. nachdem seine Ehrenvolle Dimißion

27
im Conseil diktirt worden, ist Göthe zum Kammerpräsid. ernannt, doch ohne

28
diesen Namen, der für ihn ohne Zweifel auch als
appendix
zu klein ist.

29
Er ist also jetzt wirkl. geh. Rath, Kammerpräs., Präsident des Kriegscollegii,

30
Aufseher des Bauwesens bis zum Wegbau hinunter,
Director
des Bergwerks

31
dabei auch
directeur des plaisirs,
Hofpoet, Verfaßer von schönen Festivitäten,

32
Hofopern, Ballets, Redoutenaufzügen, Inscriptionen, Kunstwerken
etc.

33
Direktor der Zeichenakademie, in der er den Winter über Vorlesungen über die

34
Osteologie gehalten, selbst überall der erste Akteur, Tänzer, kurz das
fac

35
totum
des Weimarschen u. so Gott will, bald der
maior domus
sämmtl.

36
Ernestinischer Häuser, bei denen er zur Anbetung umherzieht. Er ist

37
baronisirt u. an seinem Geburtstage (wird seyn der 28. Aug.
a. c.
) wird die

S. 405
Standeserhebung erklärt werden. Er ist aus seinem Garten in die Stadt

2
gezogen u. macht ein adlich Haus, hält Lesegesellschaften, die sich bald in

3
Aßembleen verwandeln werden
etc. etc.
Bei alle dem gehts in Geschäften,

4
wie es gehen will u. mag: meine Gegenwart ist hier beinah unnütz u. wird

5
mir von Tag zu Tage lästiger. Was anders wohin weiß, sehnt sich weg u.

6
ich fürchte, Seckendorf (der Compon. der Volkslieder, der einzige Mensch,

7
mit dem man noch von Herz u. Seele weg reden kann) wird auch seinen Weg

8
ad penates
suchen. Indeßen bewahre ich mich auch für jedem nur zu lauten

9
Wunsch
meines Herzens; ich weiß es aus der Erfahrung, daß die Vorsehung

10
uns am liebsten mit Erfüllung derselben züchtigt oder strafet. Werde nur

11
meine Frau gesund, das übrige wird sich von selbst machen u. geben.

12
In Absicht meiner Oekon. Lage, lieber H., sind Sie ganz
falsch
bericht
igt
et

13
worden, wie Ihnen Hartkn. ein mehreres wird gesagt haben. Ich bin über

14
seine Relation erstaunt u. erschrocken: ich möchte den Lügner wißen, der so

15
was erfunden u.
R
wahrscheinl. Reichardten (denn wer sollte es Ihnen

16
sonst gesagt haben? zumal da sein Schwager Buchholz im Spiel ist)

17
aufgebunden. Außer einer Kaufmannsschuld, die nicht der Rede werth ist, bin

18
ich hier nichts schuldig; geschweige daß ich mich mit Lumpenhändlern,

19
Apothekern u. dgl. u. auf so thörichte niedrige Weise einlaßen sollte. Also ist das

20
die Rede eines Schurken, die weiter keine Antwort verdienet – – Ich läugne

21
es nicht, daß wir uns krümmen u. winden musten u. zum Theil noch müßen,

22
weil das Aufbrechen mit einer Familie u. das Etablißement einer neuen

23
Wirthschaft
in der Residenz Geld kostet
u.
überdem
faux frais
von allen Seiten auf

24
uns stürmten;
gerade
,
aber, weil wir in einer Stadt, wo alles mehr ausgiebt

25
als es einnimmt, uns vor dem breiten Wege der Gastereien
p.
der zum Teufel

26
führt, hüteten, hat ein unbekannter guter Fr. wahrscheinl. die barmherzige

27
Sage erfunden. Seis! man hüte sich vor der That u. damit Gott empfohlen!

28
Ich wünschte indeßen doch den zu wißen,
der
s
Ihnen am Baltischen Meer

29
diese
arcana oeconomica
hat sagen dörfen; böse Folgen sollen daraus nicht

30
werden.

31
Die Gesch. des Chiliasm. hat ein junger Zürcher geschrieben,
v. d.
M.,
d. i.

32
Candidat,
ein großer oder vielmehr sehr kleiner Gegner Lavaters, Anhänger

33
Semlers
, Steinbrüchels
p.
Sein Name geht auf
li
aus, fällt mir aber den

34
Augenblick nicht bei: er
hat
ging im 1. Jahr meines Hieseyns hier durch,

35
nach Leipzig hochdeutsch zu lernen um künftig für Orell u.
Comp.
zum

36
Uebersetzen gebraucht zu werden, sah aus
halb
wie ein Zwerg u. eine Kröte,

37
schmutzig u. grinsend – – was er sagt,
hat
es
Semmler lange gesagt: er arbeitet

S. 406
stark an dem Journ. zur Beförder. des Nachdenkens in der Rel.,
daß
das

2
unter Steinbrüchel herauskommt, wo er die Auferstehung der Todten
pp

3
schon wegphilosophirt hat. Die Apol. der Vern. habe weder gesehen noch

4
gelesen. Auch Schmidts 1. Th. kenne noch gar nicht. Mit Lilienthal hat die

5
Akademie viel verlohren; Deutschl. hat nicht viel Lilienthale. Wielands Horaz

6
kommt auf die fahrende Post; es ist mein Ex. u. ich kann leicht Eins wieder

7
haben. Es wird
Ihm
Freude seyn, daß Sie sich darum bekümmern. Das Papier

8
ist am
End
’;
Gott helf uns All
, wie es im Kirchenlied heißt: so singen wir

9
mit großem Schall, Hallelujah! Leben Sie wohl, Bester, mit Ihrem ganzen

10
Hause u. behalten uns lieb.

11
H.


12
Meine Frau empfielt sich u. grüßt sie ehrerbietig u. herzl. Sie hält sie wofür

13
man den Johannes hielt, für Elias oder einen der alten Propheten. Sie

14
gehören höher hinauf, als ins Buch Esther.

Provenienz

Krakau, Jagiellonenbibliothek, Slg. Autographa der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin (ehemalige Berliner Signatur: Acc. ms. 1886. 53, Nr. 26).

Bisherige Drucke

Herders Briefe an Joh. Georg Hamann. Im Originaltext hg. von Otto Hoffmann. Berlin 1889, 182–186.

ZH IV 402–406, Nr. 655.

Zusätze fremder Hand

402/14
Johann Georg Hamann
402/16
–17
Johann Georg Hamann
404/30
Caroline Herder

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
402/14
Jul.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Juli.
402/27
Br.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Brief
402/30
5. ten
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
5ten
402/31
Baphomet.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Baphomet
403/6
Nik.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Nikolai
403/13
bezeigt:
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
bezeigt;
403/14
Br.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Briefe
403/25
Jun.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Juni
403/32
aufwärts
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
aufwärts,
404/1
Leute zu bringen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Leute bringen
404/10
langu.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
langues,
404/20
de
n
r
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
der
404/23
den
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
de
n
r
404/24
worden
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
worden,
404/26
habe“
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
habe“;
404/30
Director […] Bergwerks]
Hinzugefügt nach der Handschrift (in ZH in den Nachweisen erwähnt).
405/12
falsch
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
falsch
405/23
u.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
u
405/23
Wirthschaft
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Wirtschaft
405/24
gerade
,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
aber
405/28
der
s
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
der
405/31
M.,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
M.
405/33
Semlers
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Semmlers
405/37
hat
es
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
hat
406/7
Ihm
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
ihm