645
370/20
Königsberg den 17 April 82.

21
Herzlich geliebtester Freund,

22
Kaum sind Sie fort, daß ich erfahre, wie die Baroneße von Bondeli ein

23
dringendes Anliegen gehabt, von Ihrem Herrn Bruder in Bern einige

24
Nachrichten zu haben, und wenigstens zu erfahren, ob er noch lebt und wie es ihm

25
geht, da sie seit 2 Jahren keine einzige Zeile von ihm erhalten. Ich weiß nicht,

26
ob Ihre
Route
auf Bern geht, aber ich hoffe, daß es Ihnen nicht schwer seyn

27
wird, einige Nachrichten unterwegs oder auch in Zürich deshalb einzuziehen.

28
Sein eigentlicher Titel ist mir entfallen; er ist aber ungefehr ein
Inspector

29
des dortigen Kriegs
etats.
Unser liebe Kapellmeister ist heute früh abgereist –


30
den 20 –

31
Diese Woche nichts als Abschied genommen. Sie machten den Anfang,

32
denselben Nachmittag gieng auch
Vetter Becker
an Bord. Dienstag Abends

33
wurde in der Kutsche zum Valetschmaus mit der Reichardschen Familie

34
abgeholt. Mitwoch beurlaubte sich ein junger Israelite aus Koppenhagen nach

S. 371
London, und den Tag drauf ein naher Anverwandter meiner Hausmutter

2
nach Lißabon.

3
Gestern hatte das Vergnügen Ihren lieben Schwager HE. Motherby, und

4
vorgestern die Ehre den Kanzler von Korf bey mir zu sehen. Noch eine

5
Anfrage! der hiesige Buchhandel hat ein vollständiges Exemplar von Guthrey

6
erhandeln wollen. Der Handel ist durch eine Kritteley zurückgegangen. Der

7
Preis war etwas über 100 fl. Ich habe den Antrag ihn für 100 fl.
netto

8
loszuschlagen. Ist er Ihnen dafür anständig, so haben Sie den Vorzug, und

9
die Sache kann bey Ihrer Rückkunft abgemacht werden. Er ist gut

10
conditionirt
u halbfr. oder engl. gebunden.

11
Heute, so Gott will, schreibe nach W. Um alle Klätscherey zu vermeiden,

12
werde die
Qvelle
Ihrer Vermuthung nicht anzeigen; sondern blos Ihre

13
freundschaftl. Anerbietung
diesem Unheil, wenn es gegründet ist
,

14
abzuhelfen.

15
Vergeßen Sie nicht obige Nachfrage in der
Schweitz
, um eine deshalb

16
unruhige Schwester zu befriedigen, die hier mit ihrem traurigen Schicksal wie eine

17
Männin kämpft, unterdeßen jeder ein beßeres misbraucht oder verschleudert.

18
Gott begleite Sie, erhalte Sie gesund, seegne Ihre Meßgeschäfte und gebe

19
Ihnen viel Freude in der Schweitz – laße es allen Ihrigen wol gehen! Auch

20
lesen Sie doch auch des
Pestalozzi,
wie er heist, Buch für das Volk. Wie ich

21
mich in dieser Mäurer Hütte erqvickt, nach der mühseeligen irrenden Fahrt

22
nach beyden Indien in 10 Theilen! Ich habe mir das Büchlein gekauft und

23
will sehen, ob es auch meinen Freunden so schmecken u behagen wird. Lesen

24
Sie es doch auch. Auch hier ist von
Philosophie
und
Politik
die Rede, aber

25
freylich nicht von jenen Oelgötzen in Osten und Westen, von jenen Seifenblasen

26
der Declamation und Marktschreierey.
Au revoir, au revoir.
Ich ersterbe

27
Ihr alter treuergebener Freund u Diener

28
JGH.


29
Adresse mit rotem Lacksiegelrest:

30
Herrn / Herrn Hartknoch /
gegenw
/ in /
Leipzig
.


31
Vermerk von Hartknoch:

32
H Hamann in Königsberg / Empf. in Leipzig.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 5.

Bisherige Drucke

ZH IV 370 f., Nr. 645.

Zusätze fremder Hand

371/32
Johann Friedrich Hartknoch