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Königsberg den 17 April 82.
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Herzlich geliebtester Freund,
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Kaum sind Sie fort, daß ich erfahre, wie die Baroneße von Bondeli ein
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dringendes Anliegen gehabt, von Ihrem Herrn Bruder in Bern einige
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Nachrichten zu haben, und wenigstens zu erfahren, ob er noch lebt und wie es ihm
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geht, da sie seit 2 Jahren keine einzige Zeile von ihm erhalten. Ich weiß nicht,
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ob Ihre
Route
auf Bern geht, aber ich hoffe, daß es Ihnen nicht schwer seyn
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wird, einige Nachrichten unterwegs oder auch in Zürich deshalb einzuziehen.
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Sein eigentlicher Titel ist mir entfallen; er ist aber ungefehr ein
Inspector
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des dortigen Kriegs
etats.
Unser liebe Kapellmeister ist heute früh abgereist –
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den 20 –
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Diese Woche nichts als Abschied genommen. Sie machten den Anfang,
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denselben Nachmittag gieng auch
Vetter Becker
an Bord. Dienstag Abends
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wurde in der Kutsche zum Valetschmaus mit der Reichardschen Familie
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abgeholt. Mitwoch beurlaubte sich ein junger Israelite aus Koppenhagen nach
S. 371
London, und den Tag drauf ein naher Anverwandter meiner Hausmutter
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nach Lißabon.
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Gestern hatte das Vergnügen Ihren lieben Schwager HE. Motherby, und
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vorgestern die Ehre den Kanzler von Korf bey mir zu sehen. Noch eine
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Anfrage! der hiesige Buchhandel hat ein vollständiges Exemplar von Guthrey
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erhandeln wollen. Der Handel ist durch eine Kritteley zurückgegangen. Der
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Preis war etwas über 100 fl. Ich habe den Antrag ihn für 100 fl.
netto
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loszuschlagen. Ist er Ihnen dafür anständig, so haben Sie den Vorzug, und
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die Sache kann bey Ihrer Rückkunft abgemacht werden. Er ist gut
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conditionirt
u halbfr. oder engl. gebunden.
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Heute, so Gott will, schreibe nach W. Um alle Klätscherey zu vermeiden,
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werde die
Qvelle
Ihrer Vermuthung nicht anzeigen; sondern blos Ihre
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freundschaftl. Anerbietung
diesem Unheil, wenn es gegründet ist
,
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abzuhelfen.
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Vergeßen Sie nicht obige Nachfrage in der
Schweitz
, um eine deshalb
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unruhige Schwester zu befriedigen, die hier mit ihrem traurigen Schicksal wie eine
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Männin kämpft, unterdeßen jeder ein beßeres misbraucht oder verschleudert.
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Gott begleite Sie, erhalte Sie gesund, seegne Ihre Meßgeschäfte und gebe
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Ihnen viel Freude in der Schweitz – laße es allen Ihrigen wol gehen! Auch
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lesen Sie doch auch des
Pestalozzi,
wie er heist, Buch für das Volk. Wie ich
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mich in dieser Mäurer Hütte erqvickt, nach der mühseeligen irrenden Fahrt
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nach beyden Indien in 10 Theilen! Ich habe mir das Büchlein gekauft und
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will sehen, ob es auch meinen Freunden so schmecken u behagen wird. Lesen
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Sie es doch auch. Auch hier ist von
Philosophie
und
Politik
die Rede, aber
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freylich nicht von jenen Oelgötzen in Osten und Westen, von jenen Seifenblasen
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der Declamation und Marktschreierey.
Au revoir, au revoir.
Ich ersterbe
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Ihr alter treuergebener Freund u Diener
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JGH.
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Adresse mit rotem Lacksiegelrest:
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Herrn / Herrn Hartknoch /
gegenw
/ in /
Leipzig
.
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Vermerk von Hartknoch:
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H Hamann in Königsberg / Empf. in Leipzig.
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 5.
Bisherige Drucke
ZH IV 370 f., Nr. 645.
Zusätze fremder Hand
371/32 |
Johann Friedrich Hartknoch |