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S. 363
Königsberg den 11 Jänner 782.

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Herzlich geliebtester Freund

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Ihre Zuschrift erhielte gestern von HE
T.
offen durch einen Licentträger,

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der lange Jahre bey dem seel. HE Commercienrath gedient, und in deßen

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Treue ich so wenig Ursache habe ein Mistrauen zu setzen, als er. Unter deßen

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daran nichts versehen, auch keine
Staatsgeheimniße
enthalten waren: so

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ist man doch nicht immer im stande alle kleine Zufälle vorherzusehen.

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Der Wett- u Rathsherr ist ohne Zweifel eine
einzige
Person, neml. HE

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Christoph B. Was die Sache selbst anbetrift, so möcht ich wol eben nicht im

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stande seyn Gnüge zu thun, weil mein Posten so eingeschränkt wie mögl. ist

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und mein Geschmack mehr wie sonst entfernt außer meinem Circul zu gehen.

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Das
Minimum
ist das Gesetz meiner Wirksamkeit oder vielmehr Unthätigkeit.

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Je weniger ich weiß, desto weniger hab ich zu verantworten. Ich habe weder

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mit
Accise-
noch Zollsachen das geringste zu thun, sondern bin von Gottes

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Gnaden lediglich Verwalter der beyden Magazine, wovon eins bereits fast

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eingegangen. – Die Licentträger (nicht einmal der Licentfuhrmann) stehen

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unter mir, und nur die Waaren, welche über die erlaubte Zeit liegen bleiben,

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zahlen das Lagergeld, und kommen in mein
Depot
Register, sehr selten

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Beschläge.
Zeisigarbeit
,
Eselsfutter
, hat einer meiner seel. Vorfahren gesagt,

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der noch bey meinem jetzigen Posten die
Inspection
des Licents verwaltet.

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Unwißenheit
und
Ruhe
ist mein Loos, mein Element und mein Wunsch.

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Chansons
und
cupido sordidus
sind
der Geist aller zeitigen

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Reformationen, Qvacksalbereyen und Experimentensucht in
hoc vili corpore.
Kurz, jeder hat

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seinen Beruf, sein Gewißen, und seine Hausplage,
alias
Ehre, um wenigstens

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aus der Noth Tugend machen zu können.

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Wir haben hier einen neuen
Accise-Tarif
von 69, aber keinen neuen

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Zolltarif seit 25. von dem kein gedrucktes Exemplar mehr aufzutreiben. Ich besitze

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weder ein gedrucktes noch geschriebnes Exemplar, womit sich viele
Officiant
en

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in Ermangelung des ersteren behelfen müßen, weil er ohnehin nur aus

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wenigen Bogen besteht. Wie
Gesetze
durch Sitten ergänzt, so manche
Sätze
durch

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usance
.
Uebrigens werden die Rechnungsbücher eben so strenge
controli
rt

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und verificirt, als die
redevables exerci
rt, und die geringste
Irregulari
tät

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geahndet und zur Verantwortung gezogen.

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Beym
Zoll
findt keine Vergütung statt; sondern blos bey der
Consumtions-

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Accise,
welche die
Gros
händler gar nicht angeht, sondern bey jedem Verkauf

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von dem
Detailleur
bezahlt werden muß. Die übrigen stehen auf ⅓, das heist,

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zahlen nur ⅓ von der
Consumtions Accise
und sind dadurch völlig von allen

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Vergütungen ausgeschloßen, welche nur denjenigen zu gut kommt,
welche

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die die völlige
Consumtion
beym Eingange bezahlen, wenn sie nemlich für

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eine gewiße Summe auf einmal nach fremden Ländern gehen laßen. Die

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Eintragung und Abschreibung aller Posten geschieht von drey Buchhaltern,

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und der würkliche Ausgang muß durch Begleitscheine nachgewiesen werden,

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die innerhalb einer gewißen Zeit von den Gränzämtern bescheinigt zurück

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kommen müßen.

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Wenn die Nachfrage bloß der Vollständigkeit wegen, oder aus Liebhaberey

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geschieht; warum wird die Beantwortung so dringend gemacht? Auch das

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wenige was ich zu liefern imstande bin, ersuche nicht
offen
und unter meinem

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Namen mitzutheilen.

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Ihr neuer Anfall beunruhigt mich sehr. Gott gebe Ihnen doch Gesundheit

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und Kräfte zum neuen Jahr.

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Hartung hat mir vorgestern Kleukers Anhang nebst einem Briefe von

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Hertel überschickt. Ich habe es gleich zum Buchbinder befördert und mich

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herzl. über Ihre freundschaftl. Vorsorge gefreut.

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Heute habe 2 zu Batavia gedruckte holländische
Brochuren
erhalten.

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Sophronisba
über die Pocken
inoculation
und
Kraspoekol
oder ungl. Folgen

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von der Strenge gegen die Sclaven, die mir der liebenswürdige Sohn des

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Verfaßers, Herr von Hogendorp zugeschickt. – Von seinem älteren Bruder

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nebst dem Grafen von Kayserlingk aus Kurl. auch einen Besuch gehabt.

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Dafür muß ich über meine gewohnte Zeit mit meinem eben so ungewohnten

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Kopfweh schreiben. Gevatter Claudius Kasten schwimmt noch, wenigstens kann

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keine sichere Nachricht erhalten, daß er in Memel eingelaufen, wie man erzählt.

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Meinen Jubel über HE George Erscheinung habe noch denselben Abend

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nach Weimar ausgeschüttet aber bisher keine weitere Nachricht erhalten. Gott

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gebe daß wir uns diesen Sommer auch einander sehen, und beschere mir
auch

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meinen alten lieben Joseph, den Ratsherrn Christoph, nebst dem zweyten

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Candidaten, den er ins Philanthropin schickt. Daß mir der erste so entwischt,

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hat mir weh gnug gethan; aber St. George hat alles gut gemacht.

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Mein ganzes Haus schläft. Hans Michel hat das polnische diese Woche

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glücklich angefangen, und ich habe ihm
Cnapii Thesaurum
für 6 fl. gekauft.

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Er hat aber sein Verdienst, das er sich auf der
Auction
erworben, ganz

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verloren durch einen tummen Streich, den ich heute nicht erzählen mag.

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Kant arbeitet an der
Metaphysik der Sitten
– für weßen Verlag weiß

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ich nicht. Mit seiner kleinen Schrift denkt er auch gegen Ostern fertig zu seyn.

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Gott schenke Ihnen Leben und Seegen und Wohlthat. Er erhalte und

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erfreue Sie und Ihr ganzes Haus mit allem Guten. Ich ersterbe Ihr alter

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treuer Freund

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Johann Georg Hamann.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 5.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VI 233–236.

ZH IV 363–365, Nr. 641.