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Kgsb. den 25 Aug. 81.

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HöchstzuEhrender Herr Kapellmeister, Landsmann und Freund,

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Heute ist meines lieben Gevatters-Orestes uns seines jüngsten Sohns in

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Weimar doppelter Geburtstag, den ich nicht beßer zu feyren weiß, als mit

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einem schriftlichen Denk- und Merkmal meines mir im Geist und Gemüth

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immer gegenwärtigen Eindrucks und Einflußes Ihrer wolthätigen

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Freundschaft, die mir –
haec otia fecit,
unter denen ich übermorgen mein 52stes

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Jahr mit Gottes Hülfe antreten werde.

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Ungeachtet des bisherigen Stillschweigens in Poesie und Prosa
, ist

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unser Herz desto lauter, und der kleine Hayn Mamre ein Zeuge manches

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hustenden und stammelnden Gesprächs auf Ihre Rechnung und Ihres

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Innhalts – wie eine ausgeschüttete Salbe.

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Der Nachtrag des Wandsbeckschen Steckbriefes
sine die et consule
hat

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mir mehr Vergnügen gemacht, als wenn ich
ihn
damals erhalten hätte.
Nach

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mehr als einem Kindelbier, das unser Asmus, wie seine eigene, aus

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Otterndorf gemeldet, war es mir sehr willkommen endlich einmal zu erfahren, daß

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der dasige Rector den 15
Julii
Hochzeit gehalten, woran ich hätte zweifeln

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können, weil der
Referent
bey der ersten Schwangerschaft sich eines

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Kunstworts aus der Weidsprache bediente, woraus sich ein Verstoß gegen die

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Kirchenpolicey hätte vermuthen laßen. Es ist mir um keine Nachfolger meines

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Beyspiels zu thun, und ich ziehe den papistischen und herrnhutischen Süß- und

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Sauerteig immer jener niederträchtigen Politik vor, durch Libertinismum die

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edelste Fabrik zu entweyhen, worüber der eifersüchtige Monopolgeist

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ausschlüßend walten sollte. Die unmittelbarste scheuslichste Folge von:
qu’on

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prie comme on veut
– – zeigt sich wol am stärksten dort an der Qvelle.

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Das Wort:
HOMO sum
– bleibt immer die schwerste Aufgabe, das tiefste

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Rätsel für den
sensum communem,
besonders der Potentaten, die
von

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Gottes Gnade
– und nun vollends durch das Verdienst und die Würdigkeit

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ihrer Philosophie die letzte Oelung bekommen haben, und ebenso leichtsinnig,

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wie Ruben, ihre
erste
verscherzen können, aus sophistischer Unwißenheit

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jener alten Wahrheit und ihrer Cultur, die Menschheit als das allerhöchste

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Product der Natur und das einzige
Regale
ihrer Majestät zu erkennen.

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Von einem aufs andere, von der Einlage auf den noch angenehmern

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Ueberbringer zu kommen: so ist es mir eine herzliche Freude gewesen, Ihnen,

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HochzuEhrender Freund, diese Bekanntschaft auch schuldig zu seyn. Ich habe

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ihn zwar nicht nach Verdienst und Würdigkeit unterhalten können, aber doch

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mit aller meiner transcendentalen Laune genoßen, und mir seine in voller

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Blüthe stehende und fruchtbringende Gesellschaft so schmecken laßen, daß

19
ich das Andenken davon durch den fast tägl. Umgang seines älteren HE

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Bruders und deßen
Fellow-student Lieut.
von
Bentevegni
fortsetze und

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beyde vielleicht
– si Diis placet –
zur engl. und griechischen Lectur zu

22
initii
ren suche. Wünschen Sie Ihm eine glückliche Reise über Weimar – und bey

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seiner Heimkunft der
Sophronisbe p
eingedenk zu seyn.

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Bin fest entschloßen den nächsten Frühling wo nicht ein Gärtner zu werden,

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doch Bäume zu pflanzen. Meine eigne Lese von den alten Stämmen die noch

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übrig geblieben, giebt mir mehr Geschmack an Obst, als ich bisher gehabt.

27
HE
D.
Laubmeier hat mich auch schon mit seiner Frau und Söhnchen besucht,

28
und unser Misverständnis ist zu eine
m
r freundschaftl. Vertraulichkeit

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übergegangen. Bey so manchen Misverständnißen als Stampen, durch des

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ehrlichen
Bernouilli
seins in der Trutenauschen Papiermühle, bin ich so

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außerordentlich glücklich gewesen mir niemals einen Feind zugezogen zu

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haben. Desto ärgerlicher für mich, Ihnen jetzt einen angeben zu müßen,

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der ich weiß gar nicht unter welchem Verhältnis an Sie geschrieben haben

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soll. Das ganze Mährchen besteht darinn:

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Es war einmal ein NadlerMeister Brahl, der einige Gedichte in unsern

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Zeitungen einrücken ließ, die mir gefielen. Er legte sein Handwerk nieder,

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gab sich bey unserm Frey
Corps
an und wurde mir von nunmehrigen Abt

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Penzel zugeführt. Seit dieser Epoche hab ich keinen Geschmack mehr an seiner

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Muse finden können, und kein gutes Gedicht mehr von ihm gelesen. Obs

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Vorurtheil von meiner Seite oder mit seinem Handwerk der Geist
aus
ihm

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ausgefahren war, weiß ich nicht, weil ich mir weder eines musikalischen noch

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poetischen Gehörs bewußt bin. Er begieng hierauf ohne mein Wißen und vor

6
seinem Kopf die Thorheit eine recht elende Sammlung, wie sie mir u andern

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vorkam, einem großen Mann zuzueignen und auf
seine Kosten
drucken zu

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laßen; ließ sichs noch mehr
kosten
, um den kleinsten Dienst zu erhaschen.

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Weder diese Bescheidenheit sich mit dem
kleinsten Gehalt
zu begnügen, noch

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die Mittel zu einem solchen Zweck, waren nach meinem Sinn; man machte

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mich aber immer erst nach geschehener That zum Vertrauten. Hierauf kam

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es zu einem sehr ungebührlichen Recensentenunfuge in unsern ärschlichen

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Zeitungen, die den gelehrten Schwantz zum Kopf haben. – Ein sehr romanhaftes

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Fieber hatte ihn auch befallen und ich wurde durch ein erdichtetes
Billet,
das

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er in meinem Namen schrieb, zum unbekannten Verehrer seine
s
r nunmehr

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leibhaften Muse creirt. Endlich wurde das ganze Geschwür, das ich lange

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unter meiner Schlafmütze herumgetragen hatte, zum Ausbruche reif.

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Den 2
huj.
erschien unser
liebe
Prof. Politices
,
als ein sehr seltenes

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Phänomen, in meinem Hause, in Begleitung des
bel-esprit

20
surnumeraire
,
und mutheten mir ein Empfehlungsschreiben an Sie zu, worauf ich

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mit gutem Gewißen und aus Gründen nicht anders als
Nein
! sagen konnte,

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und auf den ersten Nadelstich – gieng ich auf den Clienten mit meines

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seeligen Vaters Scheermeßer und seiner Badwanne los – daß ich ihn und seinen

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ganzen Kram seitdem nicht wieder in meinem Hause gesehen habe. Hinzu

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kam, daß die
GeneralAdm.
ihm unmittelbar vorher einen Posten in Memel

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angewiesen, den er muthwillig ausgeschlagen und man sich in dem deshalb

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abgestatteten Berichte des lächerl. Vorwandes bedient, daß er sich nicht

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überwinden könnte, den
Schoos seiner literarischen Freunde hier zu

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verlaßen
, mit deren keinem ich meines Wißens in Verbindung stehe – und es

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dürfte ihm eben so schwer werden zu mir als zu seinem ehrl. Handwerk

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zurückzukehren, deßen goldnen Boden er aus Uebermuth ausgestoßen. Mein

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Mährchen ist also zu Ende; aber der Köcher meines Briefes noch nicht

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leer –

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Wenn Ihnen, HöchstzuEhrender Freund, unser dirigirende Herr

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Bürgermeister keinen Gruß von mir abgeliefert; so liegt die Schuld weder an meiner

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deshalb genommenen Abrede, noch seinem geneigten Anerbieten und

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Versprechen: sondern – vielleicht an den Zerstreuungen und schönen Aussichten

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auf der großen Straße von Berlin nach Charlottenburg – oder in der
habitude

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die man sich in der großen Welt erwirbt mit Versprechungen einen

3
Actien
handel zu treiben, in welchem Fall ich ihn mit einem
Scimus et hanc veniam

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petimus damusque vicissim
zu mahnen bitte.

5
Wünsche zu Ihrer Muße und neuen Residenz viel Glück und Heil, daß

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Sie mit Ihrem ganzen Hause gesund und zufrieden, im sanften Joche der

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Musen und Gratien – für sie und sich Seide spinnen mögen. Ohngeachtet

8
weder ein Virtuose noch
Dilettante
bin: so kann ich doch der Versuchung nicht

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widerstehen, des prächtigen Lavaterschen Formats wegen, mir auch ein

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Plätzchen für meine Vor- und Zunahmen und accreditirten Packhofverwalter-

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Titel
sub littera
H. zu bedingen. Die baare Fortsetzung dürfte allenfalls von

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meiner Unternehmung abhängen, Schatten und Obststämme aus Lübeck

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meiner seel. Mutter Heimath über See zu
schon ver
verschreiben.

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Nun was sagen die Herren Metaphysiker an der Spree zur Preuß.
Kritik

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der reinen Vernunft, welche ebenso füglich
Mystik
hätte heißen können, wegen

16
ihres Ideals? – die aller
speculativen Theologie
der Spaldinge,

17
Steinbarte
ppp
und jesuitischen Betrachtungen unserer Hephästione das Maul stopft.

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Meine im Mercur zu spät angekündigte Uebersetzung der Humischen

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Dialogen wurde gleich
ad Acta reponi
rt, sobald ich im MeßKatalog Michaelis

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pr.
eine andere angekündigt fand, die reichhaltiger seyn sollte. Aufgebracht

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über die hochtrabende verlogne
Freymüthigkeit
, welche sich durch den

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prologum galeatum
des
brachii secularis
selbst verrieth, wurde ich zu dieser

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Uebersetzung hingerißen und brachte selbige im Geburtsmonath meines

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halben
Saeculi
zu stande, ohne den freymüthigen Verf. zu wißen noch zu

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vermuthen, der ebenso ungeschickt durch seinen
Theismum
die Theisten in den

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Schaafstall zu führen meint wie er die Kirchenväter beschuldigt durch ihren

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Gentilismum
u
Judaismum
zur Mördergrube der Wahrheit gemacht zu

28
haben
beschuldigt
– der alle Symbole verdammt und voller Aberglauben

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ein Theistisches Kalb aufstellt. Wenn meine Uebersetzung je wider meine

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Neigung herauskommen sollte: so hätte wenigstens durch diesen Verzug Zeit

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gewonnen, dem engl. u preuß. Hume auf einmal zu antworten, mit denen

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beyden ich in Ansehung der Kritik völlig einig bin, aber desto mehr von ihrer

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mystischen oder sceptischen Synthese abweiche. Will aber erst die

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Bibliothecam Fratrum polonorum,
mit der ich eben den Anfang gemacht,

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durchlaufen und ihre Analogie mit unsern zeitigen Kirchenvätern u

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Reformationsseuchtigen ein wenig näher kennen lernen – wenn ich nicht an der
pituita

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molesta
und den Folgen meiner sitzenden
Bulimie
berste.

S. 331
Gehts mir doch mit gegenwärtiger
Epistola familiari
wie den
Cantoribus

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inter amicos
die nicht aufzuhören wißen – überlaße es nunmehr der

3
hochlöblichen poetischen Facultät ihr Heil zu versuchen und mit meinen Fughen

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zu wetteifern. Noch eine glückliche Reise an
Mynheer van Hogendorp
– so

5
wie
dito
Heimkunft aus Wien und
p
an Herrn
Nicolai
und unbekannter weise

6
an HE
D. Biester
einen so langen Honigmond, wie mein Gänsekiel –.

7
Schlüßlich umarme Sie mit alter landsmännischer Freundschaft, empfehle mich

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bestens Ihrer liebwerthesten Hausehre und Hälfte nebst dem kleinen Paar

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unter tausend Seegenswünschen, ersterbend mit aufrichtigster Theilnehmung

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und Innigkeit Ihr ergebenst verpflichtester Freund, Landsmann und Diener.

11
Johann Georg Hamann

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 1.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VI 206–214.

ZH IV 327–331, Nr. 631.