604
S. 228
Den 25 8br. 80.
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Herzlich geliebtester Gevatter, Landsmann u Freund,
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Am heil. Michaelis, meines Sohns Tauftage kam Ihr erwünschter Brief
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wie eine gestopfte Gans Vormittags ins Haus geflogen; den Geburtstag
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vorher hatte auch Claudius geschrieben und
meldete
mir auch ein Päckchen an,
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war also keine so
baare
Freude, sondern hatte die Ungedult der Erwartung
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mit sich.
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Ihr Büchlein wurde sogl. verschlungen, ich habe es aber zum zweyten mal
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mit gedoppeltem Vergnügen gelesen, und auch schon andere mit erfreut,
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wiewol ichs nicht recht unter meinem Kopfküßen entbehren kann. Brenne nach
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der Fortsetzung, die Gottlob! schon im Meß
Catalog
steht.
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Bin in meiner hebr. Bibel nicht mehr zu Hause, und nehme sie erst jetzt
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wider mit Hänschen vor, geht aber
mühse
l
elig
u langsam von beyden Seiten,
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zum Theil aus Mangel tüchtiger Hülfsmittel. Zwey Erl. bitte mir aus; S. 87
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habe ich die hebr. Worte nicht finden können und auch den Grund nicht,
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warum sie eins für hebräischer als das andere halten. Im andern Theil S. 302.
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fehlt meinem Gedächtnis ein deutl.
Locus
vom Meßia in den Büchern der
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Maccab.
Jerusalems Auslegung von Bileam ist mir eben so wie Ihnen
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vorgekommen; desto beßer hat mir Ihre Widerlegung u Uebersetzung geschmeckt.
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Von Ihrer Preisschrift ist keine Spur im Meßkatalog, noch von Ihrer
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Ausgabe der Werke des Andreä in deutscher Sprache, wovon ich läuten
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gehört.
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Des Layenbruders u Philosophen zu Zwingenberg Brief sende mit Dank
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zurück; habe auf dem weißen Blatt eine
Copie
genommen, halb aus
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Aberglauben – so wie ich
Dom. XXI.
den Einfall bekam auf die Hälfte von
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Claudius
Frachtbrief ein
Billet
an Klopstock zu schreiben, das aber noch hier
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liegt, weil ich denselben Tag einen Anfall vom Fieber bekam, auch noch nicht
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seitdem aus dem Hause gewesen.
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Habe bisher auf eine Einl. gewartet, aber umsonst aus Morungen, so
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dringend ich auch darum gebeten. Das
Mst.
des
Ziehens
fieng an
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abzuschreiben, als ich aus den hamb. Zeitungen ersahe daß es im Druck erschienen. Im
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Meßkatalog steht es nicht, u es ist die Frage, wenn u ob es herkommen wird.
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Des Verf.
Resultat
über die hieroglyphische Sprachkunst hat mich
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außerordentl. aufmerksam gemacht, und ich kann Ihnen nicht sagen, wie viel mir
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daran gelegen nähere Nachrichten besonders von dem Buch
Chevilah
zu haben.
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Ein gewißer Hofrath Ehrenreich hier will versichern in seiner Jugend ein
S. 229
kabbalistisches
Mst.
unter diesem Namen bey seel.
Prof.
König in Gießen
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gesehen zu haben. Da es im Druck erschienen, liebster Herder, so hoff ich, daß ich
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ohne Nachtheil dieses
Mst.
behalten kann. Das vom Erdbeben habe flüchtig
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durchgelaufen, mag mich darüber nicht einlaßen. Kant schreibt dem Verf.
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ganz falsche Begriffe in der Astronomie zu, u
D. Reccard
hält selbige
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gleichfalls für
Kindermannsche
Grillen. Ich schränke mich bloß auf die
Urkunde
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u die
hieroglyphische Sprachkunst
ein und wünschte um alles in der
8
Kabb
Welt mehr Auskunft und nähere
data
darüber. Alle
sonderbare
9
Sonderbarkeiten
, die sich darauf beziehen, sind für mich
interessant.
Der Verf. lebt nicht
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mehr, sollte nicht dieses Stück von ihm ausgearbeitet in der Handschrift
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geblieben seyn, und hätten Sie auch nicht Selbst Neugierde u Canäle hierüber mehr
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Licht zu verschaffen. An Ihrem guten Willen mir alten Mann
angenehme
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Stunden zu machen
und meinen Grillen beßere entgegenzusetzen, fehlt es
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nicht.
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Meine Uebersetzung des Hume habe
reponirt ad Acta,
da mit künftiger
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Meße eine andere erscheinen wird. Kant, Lauson,
Kreutzfeld
, Hippel haben
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meine durchgesehen und ihr
vû bon
gegeben, wiewol nur einer im stande
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gewesen sie mit dem Engl. zu vergleichen. Deswegen wird die Arbeit nicht
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verloren seyn, sondern vielleicht zu einem kleinen Bändchen von
Briefen die
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natürl. Religion betreffend
de
s
m 50jährigen Geistl. in Schwaben
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gedeyen. Gesetzt also daß eine Ankündigung der Uebersetzung auch geschehen
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wäre; so wäre dadurch nichts versehen. Hier will man zuverläßig behaupten
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daß die freymüthigen Betrachtungen über das
Χ
stentum von Stark sind, auch
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redt man von einem Ruf deßelben nach Mecklenburg. Meine Uebersetzung
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hatte das gröste Augenmerk auf dies Buch –
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Habe in meinem Flußfieber ein vortrefl. Buch kennen gelernt, das ich mich
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schäme so spät gelesen zu haben, für Sie aber wol keine Neuigkeit mehr seyn
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wird, ich meine die 3 Theile von Irwings Untersuchungen über den Menschen.
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Des Mannes Philosophie u Styl i
ch
st sehr nach meinem Geschmack u ich habe
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dimidium animae meae
darinn gelesen.
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Alles Gute, was Sie unserm Landsmann dem CapellMeister gethan haben
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und noch zu thun imstande sind, sehe ich wirklich als Selbst genoßen an.
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Meine Dankbarkeit gleicht leider! einem unterkötigen Geschwür oder
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fistu
lösen Schaden.
Claud.
meldt mir von Reichards Reise nach Weimar ohne
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ihn in der Liste von gelehrten u Standes
passag
iers zu nennen, welche diesen
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Sommer in Hamburg gewesen. Er hat mir seinen
Cyrus,
6
Bout.
Rheinwein,
37
worunter eine noch einmal so alt wie ich seyn soll u einen ganzen Jahrmarkt
S. 230
von Kinderspielen für meine Mädchen
geschickt
. Drey
Bouteill
en habe unter
2
meinem Beichtvater, dem neuen Hofhalsrichter Hippel u
Me Commere
3
vertheilt, eine mit der einzigen Tischgesellschaft, die ich habe, Brahl, seiner
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Freundin Schimmelpfenning ausgetrunken, die alte in meiner Unpäßlichkeit
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angebrochen, welche wirklich ein
aurum potabile
in sich zu halten scheint – und
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die dritte ist noch
in salvo.
Bin nicht gewohnt Wein zu halten und damit zu
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wirthschaften. –
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Von unserm Diedrichs werden wir wol wenig Frucht erleben. Ich habe
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ihn seit seiner Ankunft nicht gesehen. Seine Gesundheit ist gänzl. gestört. Er
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geht wie ein Kind, das die engl. Krankheit gehabt. Ißt mit einem
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Wolfshunger alles was ihm vorkomt – und soll eben so wenig Herr von seinen
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Ausleerungen von vorn und hinten seyn. Vom Leßing schreibt mir
Claud.
daß
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er eine Art von Lähmung u Schlafsucht haben soll. Von seinen
Briefen
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nichts zu sehen noch zu hören; auf die ich mich so gespitzt.
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Nun, der freudige Geist enthalte Sie! – Nach Ihrer Autorschaft zu
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urtheilen, können Sie mit Hiob sagen:
mein Bogen beßert sich in meiner Hand
.
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Mag wol wahr seyn, daß die einzige Kraft der Natur im Druck bestehe. Was
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ist Ihr Herr Schwager dort, der seine Hälfte verloren? War das nicht eben
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das Paar, welches zu Ihren
Liedern der Liebe
Anlaß gab? Ist das Kind
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nicht wenigstens erhalten worden? Der Leibjäger aus
Eutin
ist in Wandsbeck
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gewesen.
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Erwarte eben keine Antwort vom Statthalter, wünschte aber zu wißen,
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ob er meinen Brief erhalten, weil er unter jüdischem Einschluß nach Leipzig
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gegangen, und ich mit Schellenberg Verwirrung gehabt, deßen Geld ich im
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Junio
abgeliefert, so bald ich es zusammgebracht, und mich in diesem
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Monathe drum mahnt durch einen Brief vom 1
Sept.
Wißen Sie nichts von
27
Kaufmann
? Ich habe es für meine Schuldigkeit gehalten mich gegen
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Klopstock zu erklären, will es aber dem
Cl.
überlaßen, ob u wie er das
Billet
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abgeben will. Wenigstens ersehe aus der drollichten Frage, daß es gewirkt. Wie
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aber, weiß ich nicht.
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Zu meinen Briefen werde den Winter über sammeln, aber so Gott will erst
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den Sommer dran arbeiten. Mein Aderlaßen glückl. überstanden, ohne
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gichtigen Anfall. Mein Kopf taugt aber gar nichts, wie leider! aus den Früchten
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u grauen Haaren zu ersehen.
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Hartkn. wird vermuthl. Verleger des Kanten
werden
.
Ich kann die
Chevila
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nicht aus dem Sinne kriegen. Der Mann scheint mit so gutem Sinn
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geschrieben zu haben und verspricht doch so viel Wunder, daß kein
Iudaeus Apella
S. 231
draus klug werden kann. Wenn es Ihnen mögl. ist sich und mich zu
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befriedigen, so ermangeln Sie es doch nicht.
3
Was Sie mir von dem alten Freunde
schreiben
, den Sie in den
4
Schaafstall führen müßen, stimmt zieml. mit den Nachrichten überein, die ich schon
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in Curl. von ihm gehört, aber für Verleumdungen hielt.
Habeat sibi cum
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otio suo pleonectico!
Der physiognomische Reisebeschreiber scheint mir ein
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homuncio lepidissimus
zu seyn – ich habe seine 4 Bändchen mit Vergnügen
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kürzlich widerholt.
9
Den 26 –
10
Gestern kam der
Prof.
den ich lange nicht gesehen. Wie der fort war, ließ
11
sich mein Nachbar anmelden. Heute bin zum ersten mal auf der Loge gewesen.
12
Vor einer Stunde
entre chien et loup
schickt mir mein Nachbar einen Brief,
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den Penzel aus Krakau an ihn geschrieben, um zu melden, daß er den Weibern
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entsagt, die heil. Weihe angenommen, seinen blauen Rock mit rothen Klappen
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in einen schwarzen mit Mantel u Kragen, u seine Patrontasche in ein sehr
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schön goldenes Kettchen verwandelt, als Abt (
bonae spei
einer beträchtl.
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Pfründe), Bibliothekarius u Prof. der griechischen und deutschen Sprache.
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Reicher Stoff zum Nachdenken, Wundern und den Speichelgang zu
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erleichtern! Wie dem armen Vater zu Muthe seyn mag! Von seiner jüngsten
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Schwester hab ich einen sehr launichten Brief an ihn zum Andenken. Er pflegte
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immer von ihren Talenten mit Entzücken zu reden.
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Dom. XXIII.
29. Oktober
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Habe heute einen unruhigen wüsten Tag gehabt. Unser Prinz ist gestern
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angekommen. Heute ihm zu Ehren ein großes Schiff abgelaßen worden richt
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über meinem Fenster, wobey 3 Kutschen in meinem Gehöft u die halbe
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Judenschaft u
Χ
stenheit wider bey mir gehabt. Den Beschluß machten Hippel
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u Scheffner. Ersterer ist den 18
huj.
als wirkl. Hofhalsrichter installirt u von
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Lauson auf einem blutrothen Bändchen besungen worden. Letzterer
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privatisirt auf dem Stoltzenberg bey Danzig. Diesen Abend bringt die Akademie
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ein Ständchen und morgen reist der Prinz ab. Sein Leibchirurgus u
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Pensionair Rhod hat mich
auf
heute besucht. Graf Görz sich meiner erinnert.
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Lichtenbergs Deduction in den Addreß Nachrichten habe gestern gelesen u
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stimmt vollkommen mit den hiesigen Urtheilen überein. Weder seine
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Weißagungen noch astronomische Irrthümer gehören in mein
Forum;
ich verlange
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nichts als seine hieroglyphische Grammatik und Chevila näher zu kennen.
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Kant war gestern sehr unzufrieden seit 14 Tagen noch keine Antwort von
S. 232
Hartknoch erhalten zu haben. Ich u
Green
beruhigten ihn damit, daß er seinen
2
Brief nicht erhalten haben müste, u er wollte deßhalb auf der Post
3
Erkundigung einziehen u noch einmal schreiben, welches ich auch zu thun versprochen.
4
Fischer
hat mir eine Einl. versprochen u ich werde morgen darnach schicken.
5
Daß Kraus des
Christiani
Stelle erhalten, werden Sie schon wißen.
6
Den 30 –
7
Hier ist sie – Ich habe der Neugierde nicht widerstehen können drein zu
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gucken, da er mir neulich ein sehr warmes
Billet
über Ihre theologische Briefe
9
geschrieben. Erfreuen Sie den guten Mann doch mit einer Antwort. Er ist
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Pfarrer am Königl. großen Hospital. Er hat einen jungen Edelmann in
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Pension
u einen armen Waysen, der seiner Frauen Schwester Sohn ist, Schultz
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heist u ein außerordentl. aufgewecktes Kind mit einer etwas auffallenden
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Physiognomie ist. Sein häusliches Glück ist wider alle meine Erwartung. Sie
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ist eine
Damus
. Wie Aspecten u Gerüchte trügen können!
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Hievon künftig mehr. Hoffe bald eine Einl. aus Morungen zu erhalten
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und bey Beförderung derselben zum Schreiben aufgelegter zu seyn. Mein Kopf
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ist wie ein stetiges Pferd und will nicht von der Stelle. Wird alles mit
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Gottes Hülfe beßer werden. Er sey Selbst Ihr Schild und Ihr sehr großer Lohn!
19
Meinen herzlichsten Handkuß der besten Frau, Mutter und Gevatterin, welche
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verdient Freunde u Freundinnen im Himmel wie auf Erden zu haben. Gott
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seegne mein Pathchen u seine 3 tapfern Brüder. Marianchen ist heute ein
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wenig krank zu Bette gegangen. Ist bisher fast gar zu gesund gewesen.
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Nächstens wills Gott! mehr u vielleicht beßer. Ich ersterbe
24
Ihr alter treuer Johann Georg Hamann.
Friedrich Carl von Moser an Johann Gottfried Herder, Darmstadt, 6. Juli 1780, Abschrift von Hamanns Hand mit Vermerk von Hamann links oben auf der Seite; Provenienz: Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 208:
479/30
Erhalten am Michaelistage und abgeschrieben auf dem andern Blatt
31
des Originals.
32
Darmstadt den 6 Jul. 80.
33
Ew. Hochwürden
34
Bekänntnis: durch Stille seyn u Hoffen werdet ihr
35
stark seyn; war mir EngelsStimme in der Stunde der Noth, da ich
S. 480
diesen Zuruf erhielt, sie ists mir auch noch jetzt und noch mehr, da ich
2
Gott vor meine Erlösung aus einem Joch danken kann, unter dem
3
meine Seele schmachtete und fast verdorrte. Ich habe mich gedrungen
4
gesehen, vor etwa 3 Wochen mich zum Opfer der Treue vor ein Land
5
hinzugeben, dessen Werkzeug der Unterdrückung zu werden ich mich
6
nicht entschließen konnte. Ich gehe in wenigen Tagen mit dem Stabe in
7
der Hand, aber einem Herzen voll Lob, Dank u kindlicher Zuversicht in
8
die tiefe Stille einer ländlichen Hütte zu Zwingenberg 3 St. von hier.
9
Ew Hochwürden Seegen u. Andenken wolle mich auch dahin begleiten,
10
meine Ihnen gewidmete innige Verehrung und Liebe wird nur mit
11
meinem Leben aufhören.
12
Den Seher Hamann bewundere, ohne ihn zu verstehen.
13
Ew. Hochwürden
14
gehorsamster Diener
15
Moser
.
Provenienz
Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 209–210.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VI 166–168.
ZH IV 228–232, Nr. 604.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
228/13 |
mühse l elig ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: mühseelig |
230/35 |
werden . |
Geändert nach der Handschrift; ZH: werden. |
231/31 |
auf ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: auch |
232/4 |
Fischer |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Fischer |