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HöchstzuEhrender Herr,

20
Ich bin der Mann des Todes, – der alte Mann vom Berge bin ich, der die

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2 Scherfl. ausgefertigt hat, u. Ueberbringer so wol als Heimsteller sind beide

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gl. unschuldig. Mache mit der Bekenntnis meiner Schuld den Anfang, weil

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eben die Gründe für den kundbaren Niemanden ein Anonym zu seyn, mich

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zu einer individuellen Erklärung gegen einen Mann von Ihrem Namen u

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Verdiensten bestimmen.

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Ihre Orthographie kam mir wie des Alcibiades Hund vor u hatte allen

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meinen Beyfall als ein politisches
fascinum
als ein magischer Talisman den

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unumgängl. Neid zu besprechen u die Verlegenheit eines lebenden

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Schriftstellers gegen seinen Eusthatius Cuper zu büßen. Daher machte ich mir kein

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Gewißen diese
materiam publicam priuato iure
zu behandeln, als ein vortrefl.

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vehiculum
meinen alten Groll gegen unsere unpolitische Reformatoren

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auszulaßen
welche nichts zu glauben empfehlen, als was sich hören u sehen oder

33
mit Händen greifen läßt. Nach dem gewöhnl. Schicksal der
Einkleidung
aber

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ist die Sache selbst
pars minima sui
geworden. Anfang u Ende zeigen wenigstens,

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daß es mir eigentl. nicht um Orthographie zu thun gewesen.

S. 227
In Ansehung der
Grundsätze
, worauf Ihre Rechtschr. beruht, bleibt noch

2
immer mein Unglaube u Scepticismus
in saluo.
Meine Hauptzweifel fließen

3
aus der allgemeinen Theorie der Sprachen, welche ich größtentheils der

4
unseel. Mühe, die mir Reden u Schreiben macht, zu verdanken habe. Meine

5
Kenntnis der Muttersprache geht nicht weiter, als Ihre u anderer

6
Ueberlegenheit bewundern u ohngefehr beurtheilen zu können; daher ich mich auch mit

7
fremden Federn behelfe. Die unsere zu einer gebenedeyten Ausnahme von allen

8
lebendigen Sprachen u ihrer Weise zu machen u die vorgeschlagene Mittel

9
diese Ausnahme zu erhärten, sind u bleiben für mich
απροσδιονυσα
.

10
Wollen Sie, höchstzuEhrender Herr, mich
hier
meines Irrtums – am

11
liebsten unter vier Augen – vorläufig überführen: so wird mir Ihre

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Zurechtweisung sehr willkommen seyn u ich erbiete mich zu einer schuldigen

13
Verbeßerung u Erkenntnis deßelben: so wie ich auch von ihrer Seite die Billigkeit

14
voraus setze keine Stellen, welche ledigl. die leidigen –aner u Herrherrsager

15
angehen zu misdeuten, mir Ihre Freundschaft und den Beweis davon, ich

16
meyne das mir einst zugedachte Exemplar Ihrer Meßiade, zu seiner Zeit nicht

17
zu entziehen; denn Ihre
Oden u Republick
besitze ich, sonst nichts, trotz

18
meiner Wünsche nach allem.

19
Ueber den Ton u die Physiognomie meines lakonischen Schnabels mag ich

20
kein Wort verlieren: sondern wolle beyderseits mit dem weisen Frühprediger

21
der Mitternacht dem Können u Wollen eines jeden seine Andacht u Nothdurft

22
anheimstellen – u die Gedult unsers
HErrn
(sämtl.) für unsere Seeligkeit

23
achten.

24
Ich habe die Ehre mit der aufrichtigsten u ergebensten Hochachtung zu seyn

25
Meines höchstzuEhrenden Herrn verpflichtester Freund u Diener

26
Kgsb. den 15 8br.
Dom. XXI. p Trin.
80.
Johann Georg H.

27
Packhofverw.


28
Adresse mit rotem Lacksiegelrest
(MC)
von Matthias Claudius nebst Vermerken

29
von fremden Händen; von Matthias Claudius:

30
An den Herrn Packhofverwalter /
Hamann
/ in

31
Königsberg
/ hiebey ein Kästgen in / Matten gep. /
H. H. Königsberg
.“


32
Vermerk von Hamann:

33
Erhalten mit
Henr. Dietr. Voß
von Lübeck den 6 8br 80.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 59.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VI 163–166.

Friedrich Gottlieb Klopstock: Werke und Briefe. Historisch-Kritische Ausgabe, Bd. VII, 1: Briefe. Hg. von Helmut Riege, Berlin, New York 1982, 178–179 (Nr. 163); vgl. Bd. VII, 3: Apparat/Kommentar. Hg. von Helmut Riege, Berlin, New York 1982, 880–887.

ZH IV 226 f., Nr. 603.

Zusätze fremder Hand

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–31
Matthias Claudius
227/33
Johann Georg Hamann